Zwei Jahre Pandemie mit Folgen

Eine Umfrage der KV Berlin offenbart eine entscheidende Lektion: Bei künftigen Pandemien muss die Ärzteschaft viel stärker in politische Entscheidungen eingebunden werden.
Zugegeben: Es war eine Herausforderung sondergleichen, doch die Politik hat sich während der Corona-Pandemie definitiv nicht nur mit Ruhm bekleckert. „Vieles wurde auf uns abgewälzt“, so fasst der Hausarzt Dr. Hanns Iblher das Stimmungsbild der Berliner Praxen zusammen. „Welche Arbeitslast die Praxen tragen mussten, interessiert bis heute leider fast niemanden.“ Iblhers Resümee spiegelt die Ergebnisse einer Mitgliederumfrage der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin mit fast 1.600 Teilnehmenden.
So nahm die Arbeitsbelastung im Zuge der Pandemie bei 89 Prozent der Befragten zu, davon bei 63 Prozent erheblich. Besonders betroffen waren die grundversorgenden Fachgruppen (Hausärzte und -ärztinnen, Gynäkologinnen und Gynäkologen, Innere Medizin, Kinderheilkunde sowie Psychotherapeuten und -therapeutinnen). Die Zahl der Patientenanfragen schnellte in die Höhe, hinzu kamen neue Aufgaben wie COVID-19-Testungen und das Impfen. Ständiges Telefonklingeln war für 63 Prozent der Befragten belastend bis sehr belastend, vor allem für Hausärzte und -ärztinnen. Auch das so oft übersehene Praxispersonal musste viel leisten. 55,5 Prozent der Befragten gaben an, die Arbeitsbelastung für das Personal habe sich im gleichen Maße verändert wie bei ihnen.
Hohe Erwartungen und teils auch Aggressionen bei den Patienten
Das Organisieren von Schutzausrüstung wie Masken oder Schutzkleidung gestaltete sich für 41 Prozent beschwerlich. Zu hohe Erwartungen der Patienten und Patientinnen belasteten 53 Prozent der Befragten. Rund ein Drittel hatte auch Aggressionen seitens der Patienten oder Patientinnen erlebt. Hiervon berichteten vor allem Fachärzte und -ärztinnen aus der Orthopädie, Augenheilkunde, Gynäkologie, HNO, Dermatologie und aus der Inneren Medizin.
Ständige und oft sehr kurzfristige politische Änderungen
Die ständigen Änderungen durch politische Verordnungen und Gesetze stresste 70 Prozent der Befragten zusätzlich. Quer durch alle Fachgruppen erlebten die Befragten dies als überwiegend belastend oder sehr belastend. Freitext-Kommentare in der KV-Befragung verdeutlichen den Frust: „Die Politik hat uns nicht unterstützt und immer wieder Verwirrung gestiftet.“ „Regelungen wurden teilweise innerhalb von 24 Stunden getroffen und waren so leicht nicht umzusetzen.“ Eine Forderung: „Die Ärzte und Ärztinnen müssen vor der Bevölkerung informiert werden.“ Denn bisweilen erfuhr die Ärzteschaft erst durch die Publikumspresse von Regelungen, die sie betrafen. Obwohl der ambulante Sektor eine wesentliche Säule der Pandemie war, fehlte die öffentliche Wertschätzung. 72 Prozent der Befragten hatten den Eindruck, dass ihr Beitrag zur Pandemiebewältigung nicht angemessen gewürdigt wurde. Ein Befragter formulierte im Freitext: „Der ambulante Bereich wurde von der Politik komplett vergessen. Mit Sicherheit war der stationäre Sektor stark betroffen, aber dadurch war der ambulante Sektor deutlich mehr belastet. Und das ist komplett untergegangen.“
Personalfluktuation und ein eklatanter Mangel an MFA
„Mit dieser permanenten Nichtbeachtung muss jetzt endlich Schluss sein“, fordert KV-Vorstandsmitglied Dr. Bettina Gaber. „Dazu gehört auch, den medizinischen Fachangestellten in den Praxen analog zur Pflege eine Corona-Prämie zu zahlen.“ Mehrere Arztpraxen hatten angegeben, einen Corona-Bonus an die Angestellten aus eigener Tasche gezahlt zu haben – um ihre Wertschätzung auszudrücken, aber auch, um die Mitarbeitenden halten zu können. In 29 Prozent der Arztpraxen war Personal während der Pandemie abgewandert. Als Grund wurden in 39 Prozent der Fälle die Arbeitsbedingungen in der Pandemie angeführt. Von Personalfluktuation waren Hausärzte und -ärztinnen, Gynäkologen und Gynäkologinnen sowie die Innere Medizin und die Kinderheilkunde am stärksten betroffen. Teilweise brachte dies die Praxen in große Schwierigkeiten, wie etwa aus dieser Antwort hervorgeht: „Es konnten keine MFA gefunden werden. Wir mussten wochenlang nur mit angelernten Hilfskräften arbeiten.“

Quelle: KV Berlin
Ärztinnen und Ärzte mehr in Entscheidungen einbeziehen
„Die Ergebnisse bestätigen die vielen Stimmen, die uns seit Pandemiebeginn immer wieder erreicht haben“, unterstreicht der KV-Vorstandsvorsitzende Dr. Burkhard Ruppert. Einige Mitglieder hätten darüber nachgedacht, ihren Praxisbetrieb einzustellen, weil sie der Arbeitsbelastung nicht mehr gewachsen seien. 49 Prozent erlebten den Umgang mit Corona-Patienten und -Patientinnen als belastend bis sehr belastend. Aber auch eine deutliche Verschlechterung der Beschwerden von chronisch Erkrankten wurde berichtet.
Mehr als die Hälfte der Befragten hatte gegen COVID-19 geimpft: 48 Prozent davon bis zu fünf Stunden pro Woche, 34 Prozent zwischen sechs und zehn Stunden pro Woche. 23 Prozent impften auch in Impfzentren. Die Unzuverlässigkeit bei der Lieferung von Impfstoffen war für 40 Prozent belastend. Die wirtschaftliche Sorge durch das Fernbleiben der Patienten und Patientinnen belastete rund ein Drittel der Befragten, vor allem aus den Fachgruppen Orthopädie, HNO und Kinderheilkunde. Insgesamt zeigten sich seitens der politisch Verantwortlichen gravierende Mängel in der Kommunikation. Ärztinnen und Ärzte hätten viel stärker in die Entscheidungen zur Pandemiebewältigung miteinbezogen werden müssen. Denn die Kopflosigkeit offenbarte ein Grundproblem, wie es eine Freitext-Antwort treffend formulierte: „Kein Verständnis der Verantwortlichen im Gesundheitssystem, was der Kern der Arbeit der Grundversorger ist.“ Sowohl das Wissen als auch der Alltag der Ärztinnen und Ärzte sollten künftig viel stärker berücksichtigt und genutzt werden.
Autorin: Deborah Weinbuch
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