Arbeiten bis ins hohe Alter? Das ist nicht für jedermann erstrebenswert. Andere gruselt es bei dem Gedanken, dass das Leben nur noch aus Freizeit besteht. Zum Glück stehen Ärzten heute mehrere Gestaltungsoptionen offen. Welche Modelle es für den Ruhestand gibt und welche Art von finanzieller Vorsorge sie jeweils erfordern, erklärt Finanzexperte Markus Weywara.
Der traditionelle Ansatz für die Altersversorgung sieht so aus: Ansparen so viel und so lang wie möglich, um so früh wie möglich (meistens mit 60 bis 67 Jahren ) in Ruhestand gehen zu können. Ruhestand bedeutet hier 100% Freizeitaktivitäten und 0% Arbeit. Doch mittlerweile wollen immer mehr Ruheständler zumindest in Teilzeit weiter arbeiten. Daraus ergeben sich noch zwei alternative Ruhestandsmodelle:
1) Teil-Vorruhestand und in Teilzeit so lange wie möglich weiterarbeiten (nicht zu verwechseln mit dem Altersteilzeit-Modell).
2) Temporärer Vorruhestand (z.b. Sabbatical) und dann Wiedereinstieg ins Arbeitsleben – ggfs. auch mehrfach wiederholt.
Ohne Wertung werden für diese alternativen Ruhestandsmodelle hier die veränderten Anspar- und Finanzplanungs-Strategien eruiert.
Frühen Ruhestand muss man sich leisten können
Die Zahl der Menschen, die auch im Rentenalter arbeiten, wird immer größer. In vielen Fällen ist das allerdings kein Fall von später Selbstverwirklichung oder gar ein freiwilliger Trend. Vielmehr muss man hier bald eine Million deutscher Rentner abgrenzen, welche aus Angst vor Altersarmut aus schierer Not in Minijobs arbeiten. Für alle anderen gilt: Sie haben die Wahl. Sie können ihre Freizeit genießen, länger oder vielleicht auch deutlich kürzer arbeiten. Voraussetzung dafür ist allerdings die dazugehörige finanzielle Freiheit. Als 2004 das Buch “The New Retirementality” von Mitch Anthony auftauchte, erschienen seine Thesen den Finanzplanern hierzulande doch sehr “amerikanisch”. Doch inzwischen dokumentieren immer mehr ernstzunehmende Quellen wie der Deutsche Alterssurvey (DEAS) die Entwicklung zu alternativen Ruhestandsmodellen.
Die Entwicklung der modernen Rente
1875 wurde durch Kanzler Otto von Bismarck mit dem ersten Sozialversicherungssystem auch der Begriff “Ruhestand” eingeführt. Anlass war die Ära der Industrialisierung mit ihrer neuen Definition von Arbeit: Die dafür typische Arbeitsteilung mit extrem körperlich zehrenden Tätigkeiten – verbunden mit einer Abkehr von der hohen Identifikation der klassischen Handwerker mit ihren Arbeitsinhalten. Die durchschnittliche Lebenserwartung damals lag bei 46 Jahren – mittlerweile ist diese um zusätzliche 40 Jahre angewachsen und sie wächst noch weiter.” Ruhestand” war also ursprünglich für Menschen entwickelt, welche nach Beendigung ihrer harten körperlichen Arbeit “alt” waren und noch wenige Jahre bis zum Tod zu überbrücken hatten. Mit der Veränderung der Arbeit hin zu “intellektuellem Kapital” und Erfahrungswerten sind inzwischen nach Mitch Anthony aber sechs gängige Mythen – insbesondere für die hier relevante Gruppe der Ärztinnen und Ärzte – zu hinterfragen:
Mythos 1: Mit 65 Jahren sind Sie alt.
James Vaupel, Leiter des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung formulierte 2015 im SPIEGEL: “75 ist das neue 65, denn wir erreichen hohes Alter in besserer Gesundheit”. Bestätigt wird dies von einer Studie der Gerontologie, dass sich Menschen über 70 durchschnittlich 13 Jahre jünger fühlen, als es ihren Lebensjahren entspricht.
Einzelschicksale ausgenommen wird dieses Ergebnis auch in meiner täglichen Beratung von Ärztinnen und Ärzten deutlich, die sich häufig vorstellen können, bis 72 und teils sogar bis 80 arbeiten zu können – sofern es die Gesundheit erlaubt. Bei den Ärztinnen und Ärzten hilft zusätzlich der akute Ärztemangel gegen die Altersdiskriminierung durch Patienten und Arbeitgeber. Oder wie Cicero schon vor über 2000 Jahren feststellte: “Nicht das Alter ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu.”
Mythos 2: Ruhestand bedeutet, dass Sie nicht mehr arbeiten.
Studien zufolge bedeutet Ruhestand zukünftig immer mehr, dass auch im Ruhestand gearbeitet wird, aber: nicht mehr Vollzeit, mit flexiblen Arbeitszeiten und insbesondere mit hoher Selbstbestimmtheit z.B. bezüglich des Arbeitsortes.
Mythos 3: Sie müssen 65 Jahre alt sein, um endlich machen zu können, was sie eigentlich wollen.
Millionen trösten sich mit den nur noch wenigen Jahren bis zum Ruhestand und retten sich in einem tristen Alltag über die Runden mit der Hoffnung auf all die Ereignisse, welche sie sich mit dem klassischen Ruhestandsmodell “später” zu erfüllen hoffen. Leider produziert dies “vorher” auch viele Burnout-Fälle, welche dann ihre Sehnsüchte und Herzenswünsche gar nicht mehr verwirklichen können. In den alternativen Ruhestandsmodellen wird dagegen schon viel früher “gelebt” und nicht aufgeschoben. Hier werden die ihnen wirklich wichtigen Erlebnisse zumindest teilweise schon vorgezogen. Das Geldanhäufen verliert hier die erste Priorität.
Mythos 4: Ruhestand ist ein wirtschaftliches Ereignis.
Wenn wir als Finanzplaner den (Vor-)Ruhestand planen, liegt zunächst abstrakt der Schwerpunkt auf der vorbereitenden Planung von Geldströmen. Mitch Anthony zitiert einen Manager im Ruhestand dazu: “Was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach machen? Herumsitzen und den ganzen Tag mein Konto umarmen?” Viel wichtiger ist es, mit der Finanzplanung die individuelle immaterielle Lebensplanung ganzheitlich zu verbinden, z.B. Aspekte wie veränderte Bedürfnisse/Notwendigkeiten in der Wohnsituation nach dem Auszug der Kinder, Aufbau/Pflege eines sozialen Netzwerks, intellektueller Anspruch und die optimale Nutzung der Zeit. Gerade Witwen und Witwer bereuen im Rückblick eine mangelnde Ausrichtung auf diese Aspekte.
Mitch Anthony empfiehlt Paaren, sich über die gegenseitige Schilderung “einer idealen Woche im Ruhestand” spätere Enttäuschungen zu ersparen. Oft werden finanzielle Versorgungen aufgebaut in der fälschlichen Annahme, der Partner/-in würde dies in diesem Umfang erwarten.
Mythos 5: 100% Freizeitaktivität ist das ultimative Ruhestandsziel.
“Erst langweilen Sie sich selbst und dann langweilen Sie die anderen”. So könnte man auch die hedonistische Tretmühle (auch Adaption genannt) beschreiben, welche die Glücksforschung und positive Psychologie als Begriff für den Mechanismus entwickelt haben, dass Menschen nach einem stark positiven Lebensereignis (hier: Rentenbeginn) relativ schnell zu ihrem bisherigen Glückslevel zurückkehren.
Und hier trage ich Eulen nach Athen bei den Ärztinnen und Ärzten: Ein Leben mit 100% Freizeit ist nur einen Schritt von Krankheit und Degeneration entfernt. Ohne den Kontrast zur Arbeit verliert die Freizeit ihren Stellenwert. Häufig wandelt sich auch der Anspruch an sich selbst aus der bisherigen Arbeitswelt nahtlos in Freizeitstress (z.B. Handicap bei Golfern etc.).
Mythos 6: Sie können das alles selbst regeln.
Bitte verwechseln Sie nicht Geldanlage mit Finanzplanung, oder um Mitch Anthony zu zitieren: “Weil Sie Ihre Vitaminpillen kaufen können, brauchen Sie dennoch einen Arzt, der Ihnen sagt, welche die Richtigen für Sie sind! Denn ein gutes Produkt muss nicht das für Sie passende Produkt (Risikotragfähigkeit, Lebensphase, Diversifizierung, Besteuerung, etc.) sein.
Der Ruhestand hat sich verändert und vor allem die Möglichkeiten, die Ärztinnen und Ärzten im Alter offen stehen. Sie können länger arbeiten oder sich eben auch früher als vorgesehen aus dem Berufsleben verabschieden. Welches Modell Sie auch bevorzugen, es hat Auswirkungen auf Ihre finanzielle Planung.
Die drei Ruhestandsmodelle im Vergleich
1.) Modell 1: Traditioneller Ansatz für die Altersversorgung:
– Sie sparen so lang wie möglich
– Sie sparen so viel wie möglich
– Sie können dadurch ggfs. den Ruhestand von z.B. 67 auf 63 vorziehen; bitte beachten Sie hierbei mögliche steuerliche Optimierungen wegen der nachgelagerten Besteuerung nach Kohortensystematik des ersten Bezugsjahres.
– Im Arbeitsleben arbeiten Sie 100%
– Ruhestand bedeutet für sie 100% Freizeit
– insb. Ärztinnen prüfen bitte noch, ob die 60 Pflichtbeiträge für die Erreichung eines Rentenanspruchs in der Gesetzlichen Rentenversicherung wegen der Kindererziehungszeiten erfüllt sind; ggfs. können diese nachentrichtet werden.
2.) Modell 2: Alternatives Ruhestandsmodell mit Teil-Vorruhestand
– Sie reduzieren die Arbeitszeit z.B. im Alter 55
– Sie arbeiten dafür so lange wie Ihnen möglich in Teilzeit weiter
– Ab Alter 55 können Sie schon in Ihrer Teil-Freizeit Themen umsetzen, welche im Modell 1 erst 8 bis 12 Jahre später/älter möglich sind. z.B. monatelanges Reisen zwischen zwei Praxisvertretungen, quasi die ultimative Work-Life-Balance.
3.) Modell 3: Temporärer Vorruhestand
– Sie pausieren z.B. ab Alter 55 einmal oder mehrmals mit dem Arbeiten
– Das könnte das bekannte Sabbatical oder ein halbes Jahr zwischen zwei Arbeitsstellen sein.
– Was ansonsten am Arbeitsmarkt ein Risiko ist, nämlich in diesem Alter sich neu zu bewerben, ist beim aktuellen Ärztinnen- und Ärzte-Mangel üblicherweise kein Problem
– Natürlich kann das auch ein Wechsel von einer Festanstellung in die temporäre Freiberuflichkeit sein. Tätigkeitsfelder können je nach Facharztgruppe KV-Pool-Dienste, Praxisvertretungen oder Zeitverträge sein.
– Auch in diesem Modell arbeiten Sie dafür länger als im Modell 1; je nach Umfang der Arbeitspausen z.B. bis 67 statt bis 63.
Wie sind die Anspar- und Finanzplanungs-Strategien in Modell 2 + 3 zu verändern
Grundsätzliche Anmerkungen:
– Die Absicherung im ärztlichen Versorgungswerk bietet für die Modelle 2 und 3 einen riesigen Vorteil: Es erfolgt keine Anrechnung der Teilzeiteinkünfte auf die Versorgungsbezüge. Zu beachten wäre hier lediglich eine ggfs. bestehende Zusatzversorgung VBL des Öffentlichen Dienstes.
– Die sehr flexible Altersgrenze im ärztlichen Versorgungswerk gibt Ihnen alle Optionen einer individuellen Gestaltung.
– Entscheidend ob Ihr Modell aufgeht ist zumindest teilweise Ihr persönliches Humankapital, d.h. eine lang genug ausreichende Gesundheit für die insb. in Modell 2 verteilte Arbeitsleistung.
– Sie sollten daher die notwendigen Einnahmen aus Ihrer Teilzeittätigkeit für den Fall einer Berufsunfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit absichern. Hierfür gibt es spezielle Tarife am Markt, welche auch über das 67. Lebensjahr hinaus versichern bzw. leisten. Da nicht ein volles Arbeitseinkommen, sondern z.B. nur 2.500,- € mtl. abgesichert werden müssen, halten sich die Versicherungsprämien in erträglicher Höhe.
– Damit verbunden ist also auch ein versicherbarer Gesundheitszustand, welcher aber meist auch als Voraussetzung für die Modelle 2 und 3 empfunden wird.
– Bitte binden Sie Ihren Steuer- und Finanzberater frühzeitig ein und planen Sie ggfs. auch rechtzeitig Ihre Praxisnachfolge.
– Stellen Sie mit Ihrem Partner und ggfs. Familie Ihre Situation auf den Prüfstand. Hier sind nach meiner Erfahrung die meisten Optionen versteckt:
So steckt häufig in der eigengenutzten Immobilie der größte Teil des Vermögens. Eine in die Jahre gekommene und ohne Kinder im Haus überdimensionierte Immobilie frisst durch hohe Unterhaltskosten (Energie, Reinigung, Erhaltungsaufwand, Gartenpflege) im fortgeschrittenen Alter das Budget auf.
– Ärztinnen und Ärzte prüfen bitte noch, ob die 60 Pflichtbeiträge für die Erreichung eines Rentenanspruchs in der Gesetzlichen Rentenversicherung wegen der Kindererziehungszeiten erfüllt sind; ggfs. können diese nachentrichtet werden.
Bei Modell 2:
– Der Anlagehorizont für die Geldanlage der privaten zusätzlichen Altersversorgung verlängert sich; damit sind Anlagen mit höheren Schwankungen und höheren Ertragschancen möglich
– Gleichzeitig verkürzt sich der Zeitraum am Lebensende, welcher aus der privaten Altersversorgung finanziert werden muss.
– Da die Teilzeit-Einnahmen viel von den laufenden Kosten des Teilzeit-Ruhestandes abdecken, sind in der Ansparphase sehr viel weniger Rücklagen für die private Altersversorgung zu bilden; dies ist gerade in Zeiten niedriger Verzinsung vom Finanzplaner zu beachten!
– Als Faustformel können Sie hierfür nehmen: für 1.000,- € mtl. Einkünfte aus Kapitalvermögen als zusätzliche Rente ab Alter 65 müssten Sie ca. 300.000,- € (nicht) angespart haben.
Bei Modell 3:
– Durch die Arbeitspausen ist eine sehr anspruchsvolle Finanzplanung und insbesondere Liquiditätsplanung gegeben. Bitte achten Sie auf ein entsprechendes liquides Polster, falls sich der Anschluß-Arbeitsvertrag nicht reibungslos einfügt.
Markus Weywara
Letzte Artikel von Markus Weywara
- Unerwarteter Reichtum: Wie man den Wandel in 3 Phasen bewältigt – 6. März 2018
- Keyman-Police hilft bei Ausfall von Fachpersonal – 6. März 2017
- In drei Schritten zur Absicherung der Arzt-Familie – 21. Februar 2017
- Tipps für die Suche nach der passenden Unfallversicherung für Ärzte – 17. Februar 2017
- Ruhestand: Drei typische Arten und ihre Anspar-Strategien – 9. Februar 2017
Anzeige
Umsatzrechner für die Arztpraxis – objektiv, transparent und individuell
Terminausfälle, kurzfristige Absagen oder Verschiebungen und die Bindung von Ressourcen am Telefon sind die häufigsten Ärgernisse und Kostenpunkte für Arztpraxen und Gesundheitseinrichtungen. Digi... MehrMarkus Weywara
Herr Weywara hat sich nach seinem Studium zum Wirtschaftsingenieur mit zwei Aufbaustudiengängen zum Certified Financial Planner (CFP®) und Certified Foundation and Estate Planner (CFEP®) in der Beratung von Heilberufen und vermögenden Privatkunden spezialisiert.