Hinausgeschobene Altersrente: Lohnt sich die Wette auf ein langes Leben finanziell?

Immer mehr Ärztinnen und Ärzte wollen im Rentenalter noch nicht aufhören und das Ruhegeld des Versorgungswerks später in Anspruch nehmen. Wer bis ins hohe Alter fit bleibt, kann davon profitieren.
Der Anteil der Hausärztinnen und -ärzte in Deutschland, die ihre Praxis trotz Rentenalter nicht ab- oder aufgeben, nimmt zu. Wie Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zeigen, verdreifachte sich die Quote der über 65-Jährigen von rund fünf Prozent im Jahr 2008 auf 15,5 Prozent im Jahr 2021. Vor allem auf dem Land, wo die Praxisnachfolge schwierig ist, machen diese Mediziner im Ruhestand weiter. Auch das Gefühl, gebraucht zu werden, spielt dabei eine Rolle.
Wer noch arbeitet beziehungsweise es sich leisten kann, nimmt die Altersrente nicht beim Erreichen der jeweiligen Regelaltersgrenze in Anspruch, sondern häufig zu einem späteren Zeitpunkt. Das kann sich wirtschaftlich lohnen, weil Ärzteversorgungswerke dafür Zuschläge zahlen, die sich durchaus im zweistelligen Prozentbereich bewegen können. „Es handelt sich dabei allerdings immer um eine Wette auf ein langes Leben“, gibt Dirk Klinkenberg, Geschäftsführer der Steuerberatung Curator, zu bedenken. Freiberuflich tätige Männer werden in Deutschland statistisch betrachtet im Durchschnitt fast 90 Jahre, Frauen noch älter.
Jedes Ärzteversorgungswerk macht es etwas anders
Ausgehend von der Regelaltersgrenze lässt sich die Ruhegeldzahlung in den meisten Fällen bis zu 36 Monate hinauszögern. Mancherorts sind auch längere Zeiträume möglich. In Baden-Württemberg ist diese Höchstgrenze etwa für Jahrgänge ab 1961 und jünger erst mit Vollendung des 72. Lebensjahres erreicht. In Bayern gilt dasselbe Limit. In Hessen ist ein Aufschub sogar bis zum Alter von 75 erlaubt. Alle Ärzteversorgungswerke verlangen dafür einen schriftlichen Antrag rechtzeitig vor Erreichen der Regelaltersgrenze. Einen Endpunkt muss man dabei nicht festsetzen. Ärztinnen und Ärzte können jederzeit entscheiden, wann sie ihr Altersruhegeld nehmen – das geht mitunter auch als Teilrente.
Wer zunächst auf die Regelaltersrente verzichtet, erhält später dauerhaft mehr Geld von seinem Ärzteversorgungswerk: Je nach der Satzung und Aufschubdauer erhöht sich das Ruhegeld um einen versicherungsmathematisch ermittelten Zuschlag. Für jeden Monat beträgt er zwischen 0,3 und 0,6 Prozent des über die Vorjahre regulär erworbenen Rentenanspruchs.
Manche Versorgungswerke heben den Prozentsatz im Laufe der Zeit an, andere gewähren durchgängig denselben Zuschlag. In Hessen lässt sich die Rente somit zum Beispiel maximal binnen 96 Monaten um satte 56,8 Prozent steigern.
Während der Phase des Rentenaufschubs sind die Mitglieder einiger Versorgungswerke berechtigt, jedoch nicht mehr verpflichtet, weitere Beiträge zu entrichten. Leisten sie freiwillig Zusatzzahlungen, fließen diese in einem gewissen Umfang in die Verrentung ein. Andere Anstalten schließen Abgaben – ob aus Einkünften aus ärztlicher Tätigkeit oder anderweitig – nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze hingegen aus.
Der Steuereffekt wirkt sich nur geringfügig aus
Mit jedem Jahr des Hinauszögerns beziehungsweise jedem Jahr, in dem die Rente nicht bezogen wird, steigt der Anteil der Rente, der einer Besteuerung unterliegt, um einen Prozentpunkt. Derzeit sind es für Neurentner bereits 82 Prozent, der Rest ist steuerfrei. Ab 2040 werden Renteneinkünfte voll besteuert. „Das Aufschieben um drei Jahre auf 2025 führt zum Beispiel zu einem höheren Besteuerungsanteil von 85 Prozent – dieser wird festgeschrieben und gilt danach ein ganzes Rentenleben lang“, erklärt der Steuerfachmann aus Bergisch Gladbach.
Dieser steuerliche Effekt veranlasst den einen oder anderen Arzt, die Rente früh zu beziehen, um Steuern zu vermeiden. Das freigesetzte Geld aus Rente und ersparten Beiträgen können Niedergelassene dann anderweitig verwenden – zum Beispiel in Wertpapieren oder in Immobilien anlegen.
Ein paralleler Bezug von Altersrente und Einkünften aus ärztlicher Tätigkeit ist nach der Satzung der Ärzteversorgungswerke zwar möglich. Für diese Zeit gilt aber, dass unter Umständen „ein nicht zu unterschätzender Anteil“ des Ruhegeldes am Ende des Jahres an das Finanzamt gehe, weil in dieser Zeit die Rente „on top“ auf die Arbeitseinkünfte versteuert wird.
„Das freigesetzte Kapital entspricht dann nicht eins zu eins den gezahlten Beiträgen und Renten, sondern es verändert sich durch den Steuereffekt deutlich nach unten“, sagt Klinkenberg. Immerhin seien Vorsorgeaufwendungen fast vollständig absetzbar. „Mit ihrem Wegfall und einem Spitzensteuersatz beträgt der Liquiditätsvorteil letztlich circa 55 Prozent“, schätzt der Curator-Geschäftsführer.
Die Rendite ist besser als bei anderen sicheren Anlagen
„Der Effekt der Zuschläge beim aufgeschobenen Altersruhegeld überwiegt allerdings eindeutig den Gegeneffekt der höheren Besteuerung“, betont Klinkenberg. Außerdem seien die Renditen, die sich dadurch erzielen ließen, wesentlich höher als bei anderen sicheren Kapitalanlagen. „Wer noch nicht auf seine Rente angewiesen ist und glaubt, mit über 80 Jahren bei guter Gesundheit zu sein, für den kann sich dieses Modell lohnen“, so der Curator-Chef. Er rät vorab zu einer Prognoseberechnung.
Denn um die Summe aufzuholen, die durch den verzögerten Leistungsbezug entstanden ist, dauert es ein paar Jahre. Dies sollten Niedergelassene bei ihrer Planung einkalkulieren. „Der Spatz in der Hand ist vielen dann doch lieber als die Taube auf dem Dach“, berichtet Klinkenberg. Welcher Zeitpunkt für den Ruhestand letztlich der beste ist, lasse sich nur individuell entscheiden. Wichtig sei dabei neben der Freude am Beruf, ob die jeweilige Rentenhöhe den persönlichen Finanzbedarf im Alter deckt.
Amortisation: Rechenbeispiel der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe |
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Ein Mitglied der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL) würde bei Erreichen der Regelaltersgrenze zum 1. Juni 2022 eine Regelaltersrente von monatlich 3.600,00 Euro erhalten. Die Person entscheidet sich rechtzeitig vor diesem Datum, die Regelaltersrente für ein Jahr hinauszuschieben und diese zum 1. Juni 2023 in Anspruch zu nehmen.
Für jeden Monat der späteren Inanspruchnahme der Regelaltersrente erhält das Mitglied einen Zuschlag in Höhe von 0,55 Prozent auf die mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze erworbene Regelaltersrente. Der Rentenaufschub führt also insgesamt zu einem Zuschlag von 6,6 Prozent.
Das ÄVWL-Mitglied in diesem Beispiel hat auf zwölf Rentenzahlungen verzichtet.
Fazit: Die Altersrente müsste gut 15 Jahre bezogen werden, damit sich der durch das Hinausschieben gebildete Zuschlag amortisiert hat. Zu diesem Zeitpunkt ist das ÄVWL-Mitglied 81 Jahre alt und damit deutlich jünger als die durchschnittliche Lebenserwartung. Bezieht das ÄVWL-Mitglied die Rente länger als 15 Jahre, war das Hinausschieben allein unter finanziellen Gesichtspunkten demzufolge die richtige Entscheidung. |
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