Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Versicherungen

Vor 25 Jahren hat der Gesetzgeber mit Einführung der freien Kassenwahl und des Risikostrukturausgleichs (RSA) die gesetzlichen Krankenkassen in den Wettbewerb entlassen. Damit verfolgte er das Ziel, die Krankenkassen in ein Konkurrenzverhältnis untereinander zu stellen. So sollten Innovationen im Gesundheitswesen, eine bessere Versorgung sowie Serviceorientierung gegenüber den Versicherten gefördert werden. Das Jubiläum hat man nun zum Anlass genommen, den Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen einer umfassenden kritischen Betrachtung zu unterziehen.

“Die wettbewerbliche Ausgestaltung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich nach Einschätzung aller Experten im Gesundheitswesen im Wesentlichen bewährt”, erklärte dazu BVA-Präsident Frank Plate. “Verkrustete Verwaltungsstrukturen wurden aufgebrochen, die Versorgung der Versicherten hat sich verbessert und Wirtschaftlichkeitsreserven wurden gehoben. Es gibt aber auch Schattenseiten.”

Bonusprogramme als Mitgliedsköder

Kritisiert werden vor allem die bei den Mitgliedern inzwischen sehr beliebten Bonusprogramme und Vergünstigungen. So würden die von den Kassen angebotenen Satzungsleistungen, Wahltarife, Bonusprogramme, aber auch Selektivverträge häufig nicht zu der vom Gesetzgeber gewollten Verbesserung der Versorgung führen. Stattdessen würden sie von Krankenkassen vor allem dazu genutzt, neue Mitglieder zu gewinnen oder aktuelle Mitglieder zu halten ohne für sie einen echten Mehrwert zu schaffen.

Wurden die Kassen in der vergangenen Wahlperiode noch ausdrücklich dazu ermuntert, solche Bonusprogramme einzuführen, würde die BVA sie jetzt offenbar gerne wieder abschaffen. Es gelte, über den “Fortbestand” der gesetzlichen Regelungen “nachzudenken” und auch Wahltarife und Bonusprogamme auf den Prüfstand zu stellen.

Zweckentfremdung von Selektivverträgen

Auch die “Zweckentfremdung von Selektivverträgen” prangert der Bericht an. So habe man festgestellt, dass die Krankenkassen, die ihr eingeräumten weiten Gestaltungsspielräume nicht nur dazu nutzen, um in einen Wettbewerb um die beste Versorgungsform einzutreten. Dies zeige sich am Beispiel der sog. Betreuungsstrukturverträge, mit denen die Krankenkassen “versuchen, auf ihre Zuweisungen aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich Einfluss zu nehmen, um dadurch ihre Einnahmeseite positiv zu beeinflussen”. Im Rahmen der Verträge werde dabei die Vergütung der ärztlichen Leistungen daran geknüpft, wie viele Diagnosen der einzelne Vertragsarzt im Rahmen der Behandlung gesichert kodiert.

Es sei zwar grundsätzlich zulässig, in Selektivverträgen die Abrechnung bestimmter Leistungen von dem Vorhandensein bestimmter eindeutig
zu kodierender Krankheiten abhängig zu machen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 73a SGB V
a.F., 73c SGB V a.F. bzw. 140a SGB V erfüllt sind: So müssen die Versorgungsleistungen konkret formuliert werden. Außerdem müssen die
Verträge ein schriftliches Teilnahmeverfahren für Ärzte und Versicherte vorsehen. Die Praxis habe gezeigt, dass nicht alle Aufsichtsbehörden rechtswidrige Vertragsmodelle beanstanden würden.

Fazit: Die Krankenkassen wurden die ihnen eingeräumten Spielräume auch im Zusammenspiel mit den Vertragsärzten nicht nur dazu nutzen, die Versorgung der Versicherten zu verbessern, sondern durchaus auch andere Ziele damit verfolgen. Letztlich sei es bei fortgesetzter Ausnutzung bestehender Gestaltungsspielräume in der beschriebenen Weise nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber taugliche Instrumente zur Weiterentwicklung der Versorgung zugunsten eines rechtssicheren Finanzausgleichs auch wieder abschafft.

Hinterungrundinformationen GKV:

Aktuell sind rund 72 Millionen Menschen in der GKV versichert. Anfang der 1990er Jahre gab es noch mehr als 1.000 Krankenkassen, 2005 waren es nur noch 257 Träger. Hiervon ausgehend reduzierte sich die Zahl der Krankenkassen stetig, allerdings mit abnehmender Tendenz; im Jahr 2017 waren es 112.