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Medizinrecht

Es ist eines der höchsten Schmerzensgelder in der Geschichte der Bundesrepublik. Zahlen muss es das Klinikum Emden – an einen heute 14-jährigen (OLG Oldenburg, Az.: 5 U 196/19). Dem Urteil lag folgender Fall zugrunde:

Im Mai 2011 brachte die Mutter ihren damals fünfjährigen Sohn wegen Schüttelfrosts und hohem Fieber ins Krankenhaus. Das Kind würde stationär aufgenommen, in der Nacht verschlechterte sich sein Zustand, an seinem Körper bildeten sich Flecken.

Obwohl die Mutter darum bat, rief der zuständige Pfleger keinen Arzt. Außerdem verzichtete er darauf, eine Braunüle wieder anzulegen, die sich der Junge gezogen hatte, da er das vermeintlich schlafende (tatsächlich, aber somnolente) Kind nicht wecken wollte. Dies führte dazu, dass dem dehydrierten Jungen über Stunden keine Flüssigkeit zugeführt wurde.

Aus diesem Grund bekam erst bei der Morgenvisite ein Arzt die großfleckigen dunklen Flecken im Gesicht und am Körper des Jungen zu sehen, die sich als hämorrhagische Nekrosen in Folge einer Menningokokkensepsis erwiesen. Zu diesem Zeitpunkt war der Junge bereits seit mehreren Stunden somnolent.

Es folgte eine mehrwöchige, lebensrettende Akutversorgung. Das Kind überlebte – allerdings mit schweren Folgen. Nicht nur verlor der Junge beide Unterschenkel. Wegen des nicht abgeschlossenen Wachstums müssen die Stümpfe zudem regelmäßig revidiert werden. Große Teile der Körperoberfläche sind durch Nekrosen zudem dauerhaft entstellt. Darüber hinaus musste der Junge wegen der Narben für dreieinhalb Jahre für 22,5 Stunden pro Tag einen Ganzkörperkompressionsanzug mit Gesichtsmaske tragen – auch in der Schule.

Eindeutiges Urteil schon in der ersten Instanz

Das Landgericht Aurich stellte grobe Behandlungsfehler fest und urteilte ein Schmerzensgeld in Höhe von 800.000,00 € aus. Das beklagte Krankenhaus hielt diese Summe für zu hoch und legte Rechtsmittel ein. Insbesondere argumentierte die Klinik damit, dass derartig hohe Schmerzensgelder in Deutschland unüblich seien. Selbst Summen in der Größenordnung von 500.000 Euro würden in der Regel nur für allerschwerste Gesundheitsschäden wie Hirnschädigungen mit Zerstörung der Persönlichkeitsstruktur zuerkannt. Dem folgte das OLG Oldenburg nicht und führte aus:

Bei der Bemessung von Schmerzensgeld handele es sich um eine Bewertung des Einzelfalls, bei der unter anderem die folgenden fünf Punkte zu berücksichtigen seien:

• die Schwere der erlittenen Verletzungen,
• das hierdurch bedingte Leiden,
• dessen Dauer,
• die subjektive Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten sowie
• das Ausmaß des Verschuldens durch den Schädiger.
Für die Bestimmung der psychischen Folgen stellte das Gericht auf die Beeinträchtigungen in den folgenden Bereichen an:
• Fortbewegung/Mobilität,
• Kommunikation,
• Psyche und kognitive Fähigkeiten,
• Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken sowie
• Aussehen und Aussicht auf Partnerschaft.

Zudem berücksichtigte das Gericht auch das Alter des Geschädigten. Der heute 14-jährige Junge hat inzwischen die notwendige Reife erlangt, um das Ausmaß und die Folgen des Schadens in seiner Gesamtheit zu begreifen und unter diesen zu leiden. Zudem stehe sein gesamtes Leben noch vor ihm.