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Medizinrecht

Am 5. November 2021 richteten der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Andreas Gassen in einem gemeinsamen Brief einen Appell an die Vertragsärztinnen und -ärzte. Sie sollten die Impfkampagne gegen COVID-19 vorantreiben. Insbesondere ältere Personen, Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeeinrichtungen sowie medizinisches und pflegerisches Personal sollen danach vorrangig eine Auffrischungsimpfung erhalten. So sehe es auch die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) vor.

Müssen sich Ärzte sklavisch an die STIKO-Empfehlung halten?

Doch auch jüngere Patientinnen und Patienten ohne Vorerkrankungen und Berufen in der Medizin oder Pflege erkundigen sich in den Arztpraxen zunehmend nach der sogenannten Boosterimpfung. Sie berufen sich darauf, dass entsprechend der Coronavirus-Impfverordnung und der Zulassung die Booster-Impfung allen Personen offenstehen soll, deren Grundimmunisierung bereits sechs Monate oder länger zurückliegt. Viele Hausärztinnen und Hausärzte sind verunsichert, wie sie mit diesen Patientinnen und Patienten umgehen sollen.

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) sollten die Auffrischungsimpfungen zunächst vorrangig die in der STIKO-Empfehlung genannten Personen erhalten. Das sind Menschen ab 70 Jahren, Bewohner und Betreute in Einrichtungen der Altenpflege, Pflegepersonal mit direktem Kontakt mit den zu Pflegenden in ambulanten, teil- oder vollstationären Einrichtungen, Personal in medizinischen Einrichtungen mit direktem Patientenkontakt, Patienten mit Immundefizienz sowie Personen, die mit dem Impfstoff Janssen von Johnson & Johnson geimpft wurden. Doch inzwischen wird die Booster-Impfung für alle Geimpften ab 18 Jahren empfohlen.

Bund haftet für Nebenwirkungen

Laut KBV darf außerdem jeder Arzt selbst nach medizinischen Aspekten entscheiden, wen er impft. Spielraum ist also immer vorhanden. So ergibt es wenig Sinn, eine 69-Jährige Patientin mit Bluthochdruck, die sich ohnehin gerade in der Praxis befindet, aus formalen Gründen abzuweisen. Auch andere, etwa jüngere und gesunde Patienten, dürfen Ärztinnen und Ärzte aber grundsätzlich impfen. Sie müssen also nicht ausschließlich die Personen immunisieren, die unter die jeweils von der STIKO priorisierten Personengruppen fallen. Haftungsrechtliche Risiken haben Ärztinnen und Ärtze dabei nicht zu befürchten. Der Impfstoff ist für alle über zwölf Jahre in Europa zugelassen. Der Bund haftet bei Nebenwirkungen,­ solange der Arzt nicht grobe medizinische Fehler macht. Auch die Grippeimpfung empfiehlt die STIKO explizit nur für bestimmte Gruppen. Trotzdem darf jeder gegen Grippe geimpft werden.

Es fehlt an Kapazitäten

Häufig ist das Boostern jedoch eine Frage der hausärztlichen Ressourcen. Wer beispielsweise eine dreistündige Impfsprechstunde pro Woche anbietet und bereits voll mit priorisierten Patienten beschäftigt ist, wird die 30-Jährige gesunde Frau wohl derzeit vertrösten. Das stößt zunehmend auf ungehaltene Patientinnen und Patienten. Hier können die Praxismitarbeiter nur um Verständnis bitten. Sie können darauf hinweisen, dass sie die Patienten nicht abweisen, sondern zuerst die gefährdeten Personengruppen impfen müssen. Das Praxispersonal wird sich in den kommenden Wochen aber wieder ein dickes Fell zulegen müssen.