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Wettbewerbsrecht

„Bleib einfach im Bett, wenn Du zum Arzt gehst. Ab jetzt erhältst du Diagnosen und Krankschreibungen direkt über dein Smartphone. Ohne zusätzliche Kosten – wenn du bei Ottonova versichert bist.“

Diese Werbung hat dem digital arbeitenden Krankenversicherer Ottonova schon eine Menge Ärger eingebracht. Denn mit dem Oberlandesgericht (OLG) München hat nun schon das zweite Gericht einer Klage der Wettbewerbszentrale stattgegeben, die die Werbeaussage als Verstoß gegen das deutsche Heilmittelwerbegesetz bewertete und deshalb Unterlassung forderte.

Ihrer Zeit voraus

Der Fall ist komplex. Denn auch wenn im Zuge der Corona-Krise telemedizinische Behandlungen in Deutschland in deutlich größerem Umfang ermöglicht wurden, versuchte sich die Ottonova doch schon  im Jahr 2017 als Pionierin und bot ihren Kunden die Möglichkeit, sich per Video-Konsultation an einen Arzt zu wenden, ohne zuvor persönlich bei diesem vorstellig geworden zu sein. Dafür kooperierte die Gesellschaft mit dem Schweizer Anbieter Eedoctors. Der Grund: In Deutschland galt zu dieser Zeit noch der Grundsatz, dass Ärzte Patienten nur beraten dürfen, wenn sie diese zuvor persönlich gesehen haben, deren Leiden also bereits diagnostiziert wurden.

Entsprechend hatte das LG München I bereits vor einem Jahr im Sinne der Wettbewerbszentrale entschieden und die Werbung verboten. Nun kam das Oberlandesgericht München zum selben Ergebnis (Az. 6 U 5180/19). Es befand: Ottonova habe „es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuches zu werben.“

Fernbehandlungsverbot gelockert

Bei seiner Entscheidung stand das OLG vor einer besonderen Herausforderung, denn Ende 2019 wurde die fragliche Vorschrift des Gesetzes ergänzt und das berufsrechtliche Fernbehandlungsverbot gelockert. Während  § 9 HWG bisher festlegte, dass eine Werbung „für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden“ unzulässig ist, „die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht“, sieht die inzwischen geltende Fassung folgende Ergänzung vor:  „Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“

Wie genau dieser Standard aussieht, ist bislang aber noch offen.

Ein Fall für den BGH?

Das letzte Wort in der Sache ist daher wohl noch nicht gesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die Ottonova hat bereits angekündigt, die Einlegung von Rechtsmitteln prüfen zu wollen.

Auch bei der Wettbewerbszentrale hofft man offenbar, dass der BGH sich der Sache annimmt: So zitiert die „Ärzte Zeitung“ die Justiziarin der Zentrale, Christiane Köber mit der Aussage, sie wünsche sich letztlich eine höchstrichterliche Entscheidung darüber, was der Gesetzgeber mit „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ meint,  die es erlauben, auf den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zu verzichten.