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Medizin

Die Geschichte des Johanniskrauts

Schon seit Jahrhunderten fasziniert das Johanniskraut die Menschen. Bereits die alten Germanen verehrten das „Sonnenwendkraut“ als heilige Blume des Lichtgottes Baldur. Sie galt als Sinnbild der Sonne und Siegerin über die Dunkelheit. Ins Sonnenwendfeuer gehalten, sollte sie böse Geister vertreiben, und noch weit in die Neuzeit hinein fand man in dem einen oder anderen Haus ein kleines Sträußchen Johanniskraut, das vor Blitzschlag und Gewitterschäden schützen sollte.

Johanniskraut in der Volksmedizin

Für die Behandlung von Krankheiten wird das Johanniskraut etwa seit dem Altertum eingesetzt. Hippokrates behandelte damit verschiedene Frauenleiden sowie „Fieber mit Schlucken“. Kaiser Nero soll der Überlieferung zufolge aus Angst vor einem Giftmord regelmäßig vorbeugend einen johanniskrauthaltigen Theriak als Antidot eingenommen haben. Und Dioskurides beschrieb die Vorzüge der gelb blühenden Pflanze bei der Behandlung von Brandwunden.

Rund 800 Jahre später wurde Johanniskraut im „Lorscher Arzneibuch“ gegen die „Melancholie“ empfohlen. Und für Paracelsus war die Pflanze „eine Universalmedizin für den ganzen Menschen“. Außerdem betonte er: „Das soll jeder Arzt wissen, dass Gott ein großes Arcanum (lat. = Geheimnis) in das Kraut gelegt hat, nur wegen der Geister und tollen Phantasien, die den Menschen in Verzweiflung bringen.“

Ende des 18. Jahrhunderts beschrieb dann der Arzt und Dichter Justinus Kerner den erfolgreichen Einsatz des Johanniskrauts bei psychischer Erkrankung in dem Buch „Die Seherin von Prevorst“. Auch Sebastian Kneipp hielt große Stücke auf die Pflanze. Ihm zufolge ist sie „von nicht geringer Wichtigkeit und wirkt im Inneren des Körpers, wie nach außen“.

500 verschiedene Johanniskrautgewächse

Johanniskrautgewächse umfassen weltweit über 500 Arten. Pharmazeutisch relevant ist jedoch nur das Echte Johanniskraut (Hypericum perforatum). Die wilde Pflanze bevorzugt trockene, sonnige Standorte. Für den pharmazeutischen Gebrauch wird das Echte Johanniskraut hauptsächlich in Deutschland, Polen und Südamerika angebaut. Je nach Standort kann die Pflanze zwischen 15 Zentimetern und einem Meter hoch werden, die Blütezeit beginnt in unseren Breiten Mitte Juni. Die Blätter haben Öldrüsen, die beim Blick gegen die Sonne wie kleine Tupfen oder Löcher aussehen. Hier befinden sich unter anderem die arzneilich wirksamen Stoffe. Es wird jedoch die ganze Pflanze verarbeitet.

Stimmungsaufhellende Wirkung des Johanniskrauts

Mit Beginn der wissenschaftlichen Medizin im 19. Jahrhundert geriet das Johanniskraut zunehmend in Vergessenheit. Erst als sich im 20. Jahrhundert die Wissenschaft intensiv mit der Erforschung seiner Inhaltsstoffe und deren stimmungsaufhellender Wirkung befasste, kam es wieder zu einer breiteren Anerkennung des Johanniskrauts.

Das Echte Johanniskraut enthält als charakteristische Wirkstoffe Hyperforin, Flavonoide, Hypericine, Gerbstoffe und ätherische Öle, wobei insbesondere Hypericine und Hyperforin pharmazeutisch bedeutsam sind. Hyperforin wirkt nachweislich als Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer und ist bei leichten bis mittleren depressiven Verstimmungen wirksam. Hypericine fördern die Durchblutung und haben eine antivirale Wirkung.

Wofür wird Johanniskraut eingesetzt?

Bereits Mitte der 1980er-Jahre empfahl die Kommission E, eine selbstständige wissenschaftliche Sachverständigenkommission für pflanzliche Arzneimittel des heutigen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Hypericum perforatum zur Therapie von psychoaktiven Störungen und depressiven Verstimmungszuständen.

Wissenschaft bestätigt Wirksamkeit des Johanniskrauts

20 Jahre später lagen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile so viele kontrollierte Studien zum Echten Johanniskraut vor, dass sie die symptomatische Behandlung von leichten bis mittelschweren depressiven Episoden mit den Worten „uses supported by clinical data“ in die höchste Kategorie aufnahm. In der zweiten Kategorie wird das Echte Johanniskraut als Therapeutikum zur äußerlichen Behandlung von kleineren Schnitten, Verbrennungen und Hautgeschwüren genannt.

2018 veröffentlichte schließlich die Europäische Gesellschaft für Phytotherapie (ESCOP) eine Monografie zu Hypericum perforatum und würdigte darin 54 kontrollierte, doppelt verblindete klinische Studien zum Einsatz der Pflanze bei depressiven Verstimmungen.

Die aktuelle, 2022 erschienene „Nationale VersorgungsLeitlinie – Unipolare Depression“ rät, sofern bei leichten depressiven Episoden eine medikamentöse Therapie erwogen wird, zu einem ersten Therapieversuch mit einem als Arzneimittel zugelassenen Johanniskrautpräparat.

Rezept für Johanniskraut-Tee
  • 1 EL getrocknetes Johanniskraut mit 300 ml siedendem Wasser übergießen (nicht aufkochen lassen!).
  • Abgedeckt 15 Minuten ziehen lassen.
  • Bis zu dreimal täglich über maximal zwei Wochen trinken.
  • Hilft bei Oberbauchbeschwerden, Sodbrennen und Magenschmerzen.
  • Die antidepressiv wirkenden Stoffe sind nur schwer wasserlöslich.

Herstellung von Johannisblut-Öl/Rotöl
  • Blüten, Knospen, Blätter und Triebspitzen des Johanniskrauts in ein sauberes Schraubdeckelglas geben und mit Öl (z. B. Olivenöl, Sonnenblumenöl, Mandelöl) bedecken.
  • Das Verhältnis Pflanzenteile zu Öl sollte 1  :  2 betragen.
  • Schraubdeckelglas an einem hellen, warmen Ort aufbewahren.
  • Nach 6–8 Wochen die festen Bestandteile absieben und das Öl in eine dunkle Flasche umfüllen; dunkel gelagert ist es etwa ein Jahr haltbar.
  • Bei schmerzhaften Muskelverspannungen, Prellungen und Muskelkater in die Muskulatur einmassieren.
  • Der Blütensaft von Johanniskraut ist blutrot und gibt dem Öl seine rote Farbe.

Quelle: u.  a. Grönemeyer F. und Grönemeyer D. (2019): Selbst heilen mit Kräutern, 1. Auflage, Hilden; www.nhv-theophrastus.de