Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Zweck und Ziele von Praxisnetzen

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen haben die „Rahmenvorgabe für die Anerkennung von Praxisnetzen nach § 87b Abs. 4 SGB V“ (weiter: „Rahmenvorgabe“, in der aktuellen Fassung vom 06.09.2022) herausgearbeitet. Danach besteht der Sinn und Zweck von Praxisnetzen im „Zusammenschluss von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten verschiedener Fachrichtungen sowie Psychotherapeuten und -therapeutinnen zur interdisziplinären, kooperativen, wohnortnahen, ambulanten medizinischen Versorgung unter Berücksichtigung der lokalen soziodemographischen Situation“. Das Ziel solcher Zusammenschlüsse soll nach der Rahmenvorgabe, die Steigerung der „Qualität sowie die Effizienz und Effektivität der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen einer intensivierten fachlichen Zusammenarbeit“ sein.

Ausgehend von diesem Zweck und Zielen können Praxisnetze nach der Vorstellung der Rahmenvorgabe für kooperierende Ärztinnen und Ärzte unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Hierzu können insbesondere der Einsatz einer gemeinsamen Zentrale gehören, die Arztpraxen bei ihren vertragsärztlichen Tätigkeiten unterstützt, ferner die Organisation und Durchführung von Fortbildungen, eine Aufklärung der Kooperationspartner über neue Regularien der KV, die Unterstützung der Praxen bei dem Aufbau eines Risikomanagements (mehr zum Thema lesen Sie hier), Patientenbefragungen im Auftrag der kooperierenden Arztpraxen, Publikation von gemeinsamen Medien des Praxisnetzes etc.

Gründung eines Praxisnetzes

Ein Praxisnetz geht über eine lose Kooperation von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten hinaus. Das äußert sich bereits in der Rechtsform eines Praxisnetzes: Diese beschränkt sich nicht auf eine Zusammenarbeit von Arztpraxen auf Grundlage eines schuldrechtlichen Vertrages wie Kooperations-, Dienst- oder Auftragsvertrag. Die Kooperationspartner eines Praxisnetzes gründen eine Personen- oder Kapitalgesellschaft, etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), einen eingetragenen Verein (e. V.) oder eine GmbH, in deren Rechtsform die Kooperationspartner ihr Praxisnetz betreiben. Möglich und gebräuchlich ist auch ein Praxisnetz, das als eine eingetragene Genossenschaft (e. G.) geführt wird.

Der Betrieb eines Praxisnetzes in der Rechtsform einer Personengesellschaft, z. B. einer GbR, kann nicht unerhebliche Risiken in sich bergen. Die Kooperationspartner sollen im Innenverhältnis, d. h. im Verhältnis der Kooperationspartner zueinander, von Anfang an insbesondere den Zweck der betreffenden GbR, die Gesellschaftsbeiträge der einzelnen Partner der GbR, die Aufgabenverteilung, die Stimm- und Vermögensrechte, die Vertretungsverhältnisse, den Eintritt und Austritt aus der GbR und die Dauer der Gesellschaft in einem schriftlichen Gesellschaftsvertrag klar festlegen.

Im Außenverhältnis, d. h. im Verhältnis zu Patienten, KV, Ärztekammer und Kollegen, sollte keinesfalls der Eindruck hervorgerufen werden, ein Praxisnetz sei eine Berufsausübungsgemeinschaft der einzelnen Kooperationspartner, die ihre Praxen als eine GbR zwecks gemeinsamer Berufsausübung zusammengeschlossen hätten. Für einen solchen Eindruck ist nicht entscheidend, wie die einzelnen Mitglieder des Praxisnetzes ihre Kooperation untereinander verstehen: Auch wenn alle Mitglieder ihr Praxisnetz nur als eine besondere Kooperationsform sehen, bei den außenstehenden Dritten jedoch der berechtigte Eindruck erweckt wird, das Praxisnetz sei eine Berufsausübungsgemeinschaft der teilnehmenden Vertragsärztinnen und Vertragsärzten in der Rechtsform einer GbR, könnte dies als eine sog. Rechtsscheinhaftung dazu führen, dass die einzelnen Kooperationspartner eines Praxisnetzes für ihre Berufsausübung gem. § 128 HGB analog als Gesellschafter einer GbR, d. h. persönlich, gesamtschuldnerisch und unbeschränkt, haften.

Wann dieser Eindruck entsteht, richtet sich nach den Umständen eines konkreten Einzelfalles, in erster Linie nach dem Außenauftritt eines Praxisnetzes und dessen Mitgliedern, wobei die Grenze zwischen einer Kooperation als ein Praxisnetz und einer Berufsausübungsgemeinschaft der Praxisnetzmitglieder fließend sein kann. In Zweifelsfällen sollten Patienten, KV, Ärztekammer und Kollegen sowie andere Dritte, mit denen ein Praxisnetz in Geschäftsverbindung oder Kontakt tritt, umgehend aufgeklärt werden, dass das Praxisnetz keineswegs eine Berufsausübungsgemeinschaft, sondern eine Kooperation der teilnehmenden Vertragsärztinnen und Vertragsärzte darstellt. Eine solche Aufklärung sollte das Praxisnetz und/oder dessen Mitglieder beweissicher dokumentieren.

Anerkennung eines Praxisnetzes durch die KV

Nach § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V stellt die KBV zusammen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen „Vorgaben zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung nach Absatz 1 Satz 1 sowie Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze als Rahmenvorgabe für Richtlinien der Kassenärztlichen Vereinigungen“. Ferner haben die KBV und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 87b Abs. 4 Satz 2 SGB V Vorgaben zu Honorarverteilungsmaßstäben bei anerkannten Praxisnetzen zu bestimmen. Diesen Auftrag des Gesetzgebers haben die KBV und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit der bereits angesprochenen Rahmenvorgabe erfüllt.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Rahmenvorgabe kann die KV ein Praxisnetz anerkennen, wenn dieses „besonders förderungswürdig“ ist. Eine solche besondere Förderungswürdigkeit ist gegeben, wenn ein Praxisnetz sowohl in Bezug auf bestimmte Strukturvorgaben als auch hinsichtlich seiner Versorgungsziele und Kriterien bestimmte klar umgrenzte Anforderungen der Rahmenvorgabe erfüllt.

Strukturanforderungen der Rahmenvorgabe

§3 der Rahmenvorgabe legt zahlreiche Anforderungen an ein Praxisnetz fest, welche erfüllt und vom betreffenden Praxisnetz gegenüber der KV nachgewiesen werden müssen, sollte dieses Praxisnetz im Sinne des § 87b Abs. 4 SGB V von der KV als „besonders förderungswürdig“ anerkannt werden. Insbesondere muss ein Praxisnetz folgende Strukturvorgaben erfüllen:

  1. Das Praxisnetz darf eine bestimmte Größe weder unter- noch überschreiten. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Rahmenvorgabe setzt hier einen Rahmen zwischen 20 und 100 Praxen (Betriebsstätten) fest. Zu berücksichtigen ist, dass von dieser Größenordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 der Rahmenvorgabe abgewichen werden kann, wenn dies der Versorgungsradius, die Größe der Versorgungsregion oder die Bevölkerungsdichte erfordern. Andere Gründe für eine Abweichung von der festgelegten Größenordnung lässt die Rahmenvorgabe nicht zu.
  2. Das Praxisnetz hat mindestens 3 Fachgruppen zu umfassen, wobei Hausärzte zu einer dieser Gruppen gehören müssen.
  3. Das Praxisnetz muss ein auf die wohnortnahe Versorgung ausgerichtetes zusammenhängendes Gebiet umfassen.
  4. Das Praxisnetz muss in einer der 4 beschriebenen Rechtsformen (GbR, e. V., e. G., oder GmbH) betrieben werden.
  5. Das Praxisnetz muss die Vorgaben nach Nr. 1 bis 4 seit mindestens 2 Jahren erfüllen.
  6. Das Praxisnetz hat Kooperationsvereinbarungen mit Partnern bestimmter Versorgungsbereiche abgeschlossen.
  7. Am Praxisnetz teilnehmende Praxen müssen sich an bestimmte gemeinsame Standards in Bezug auf die berufliche Unabhängigkeit, sowie auf Qualitäts-, Wissens- und Informationsmanagement halten.
  8. Das Praxisnetz muss bestimmte Managementstrukturen aufweisen, darunter ein Büro, einen Geschäftsführer und einen ärztlichen Leiter haben.

Nach Ablauf von 5 Jahren seit der Anerkennung oder nach dem Wechsel der Anerkennungsstufe muss ein Praxisnetz nach § 2 Abs. 3 Satz 1 der Rahmenvorgabe gegenüber der KV die Erfüllung der Strukturanforderungen unaufgefordert erneut nachweisen.

Versorgungsziele, Kriterien und weitere Strukturmaßnahmen der Rahmenvorgabe

Neben den Strukturanforderungen muss ein Praxisnetz nach § 4 der Rahmenvorgabe bestimmte Versorgungsziele und Kriterien in Bezug auf Patientenversorgung, kooperative Berufsausübung und Prozessoptimierung erfüllen. Hierzu gehören die Patientensicherheit, Barrierefreiheit, patientenorientiertes Praxismanagement, gemeinsame Dokumentationsstandards, Fallbesprechungen, Austausch und Fortbildung der teilnehmenden Praxen, beschleunigte Diagnose- und Therapieprozesse in den Praxen und nicht zuletzt das Qualitätsmanagement. Die betreffenden Anforderungen können unterschiedlich stark ausgeprägt sein: Die Rahmenvorgabe unterscheidet in der Anlage 1 drei Stufen der Anerkennung (Basis-Stufe, Stufe I und II), wobei jede nachfolgende Stufe höhere Anforderungen in Bezug auf die Versorgungsziele und Kriterien eines Praxisnetzes stellt.

Nach § 5 Abs. 1 der Rahmenvorgabe kann die Effizienz von Praxisnetzen durch weitere Maßnahmen gesteigert werden. Hierzu gehören regionale Kooperationen mit „Kommunen, Kreisen oder mit institutionellen Akteuren aus den Bereichen Gesundheitsförderung und -prävention“. Die Sicherung der Kooperation zwischen den Mitgliedern eines Praxisnetzes wird gem. § 5 Abs. 2 der Rahmenvorgabe durch die Vermittlung von Aus- und Weiterbildung für die betreffenden Mitglieder erreicht. Insbesondere soll ein Praxisnetz Qualitätszirkel zur Aus- und Weiterbildung fördern, sog. „Train-the-Trainer-Fortbildungen“ organisieren, Weiterbildungsmöglichkeiten für das Praktische Jahr schaffen und Weiterbildungsangebote bündeln.

 

 

 

 

Dr. jur. Alex Janzen

Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Bank- und KapitalmarktrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. jur. Alex Janzen

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