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Arbeitsrecht

Müssen Praxismitarbeitende in ihrer Freizeit SMS des Chefs oder der Chefin lesen und auf die Weisungen reagieren? Dieser grundsätzlich interessanten Frage ging das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt nach. Konkret handelte es sich um den Fall eines Notfallsanitäters, der sich 11,75 Arbeitsstunden gutschreiben lassen wollte, um die der Arbeitgeber sein Zeitkonto gekürzt hatte.

Der Arbeitgeber weigerte sich jedoch, diesem Ansinnen nachzukommen. Sein Argument: Der Sanitäter habe zweimal eine kurzfristige Änderung des Dienstplans erst nach dem regulären Schichtbeginn zur Kenntnis genommen – da sei es aber zu spät für die angeordneten Verschiebungen von Einsatzort und Uhrzeit gewesen. Entsprechend habe der seinen Dienst nicht ordnungsgemäß angetreten – und müssen die Kürzung hinnehmen.

Betroffener klagt gegen Erreichbarkeit zwischen Dienstzeiten

Der Arbeitnehmer klagte. Seiner Meinung nach musste er auf die SMS, die ihn in seiner Freizeit erreichten, nicht reagieren. Er habe sein Mobiltelefon zwischen seinen Dienstzeiten bewusst auf lautlos gestellt, um sich um die Kinder kümmern zu können. Das sei sein gutes Recht. Entsprechend sei es ihm auch nicht anzulasten, dass er von den geänderten Dienstzeiten nichts gewusst hatte.

In der ersten Instanz hatte er damit noch Erfolg (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022, Az.1 Sa 39 öD/22). Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch zugunsten des Arbeitgebers (Urteil vom 23.08.2023, Az. 5 AZR 349/22). Die Erfurter Richter befanden: Gibt es, wie hier, eine Betriebsvereinbarung, wonach der Chef sowohl Einsatzort als auch Einsatzzeit am Abend zuvor konkretisieren darf, muss der Arbeitgeber, der eine SMS mit entsprechenden Weisungen erhält, diese auch in seiner Freizeit lesen und befolgen.

Eine SMS des Chefs ist keine Unterbrechnung der Erholungszeit

Der Einwand des Arbeitnehmers, er sei außerhalb seiner regulären Dienstzeit nicht verpflichtet, ununterbrochen für seinen Chef erreichbar zu sein, gehe jedenfalls dann ins Leere, wenn er sich nicht – wie zum Beispiel bei einer Rufbereitschaft – ständig zur Verfügung halten müsse. Kann also, wie im vorliegenden Fall, eine konkretisierende Weisung nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen, liegt darin keine unzumutbare Beeinträchtigung für den Beschäftigten, zumal er sich aussuchen kann, wann er die Nachricht liest. Nach Auffassung des BAG wurde auch die Erholungszeit des Rettungssanitäters durch die SMS des Arbeitgebers nicht unterbrochen, da das Lesen einer Kurznachricht so geringfügig sei, dass damit keine weiteren Einschränkungen hinsichtlich der Nutzung der Freizeit verbunden seien.

Praktische Hinweise für Praxischefs und Praxischefinnen

Auch wenn das Urteil aus Arbeitgebersicht erfreulich ist, sollten Praxischefs sich überlegen, ob es wirklich nötig ist, kurzfristig konkretisierende Weisungen zur Arbeitszeit zu erteilen. Ist dies der Fall, müssen sie erst eine betriebliche Regelung schaffen, auf deren Basis dann Weisungen erfolgen. Zu bedenken ist überdies, dass ärztliche Arbeitgeber im Fall eines Streits darlegen und beweisen müssen, dass ihre Weisung per SMS oder E-Mail dem Mitarbeitenden zugegangen ist.

Blick aufs Handy ist zumutbar

Nach dem Gesetz ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Regelt zudem eine Betriebsvereinbarung, dass der Arbeitgeber Dienstzeiten am Vortag konkretisieren darf, sind Arbeitnehmer verpflichtet, die Zuteilung des Dienstes auch zur Kenntnis zu nehmen. Das gilt auch dann, wenn die entsprechende Nachricht außerhalb der eigentlichen Dienstzeiten eingeht. Ein „Recht auf Unerreichbarkeit“, wie es die Vorinstanz dem Arbeitnehmer noch zugestanden hatte, besteht nach Meinung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts in solchen Fällen gerade nicht.