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Allgemeinmedizin

So dürfen Krankenkassen bei Vorliegen schwerer Erkrankungen die Verordnung von Cannabis nur genehmigen, wenn der behandelnde Arzt hierfür eine besonders sorgfältige und umfassende Einschätzung abgegeben hat. Sind die hohen Anforderungen erfüllt, darf die Krankenkasse die ärztliche Einschätzung nur noch auf Plausibilität überprüfen. Das hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts in vier verhandelten Fällen entschieden (Aktenzeichen B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 19/22 R). In den Urteilen hat der Senat auch präzisiert, wann eine schwerwiegende Erkrankung, die als Voraussetzung einer Cannabistherapie geeignet ist, anzunehmen ist.

Bei welchen Krankheiten darf Cannabis verschrieben werden?

Eine Erkrankung ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Entscheidend sind Funktionsstörungen und -verluste, Schmerzen, Schwäche und Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, welche die Lebensqualität beeinträchtigen. Die Auswirkungen der Krankheit mit den sich aus dieser ergebenden Beeinträchtigungen müssen sich durch ihre Schwere vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben.

Die Genehmigung einer Cannabis-Verordnung setzt weiter voraus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes nicht zur Anwendung kommen kann. In diesem Fällen muss der behandelnde Arzt aber den Krankheitszustand umfassend dokumentieren, Therapiealternativen analysieren und die Erfolgschancen und Risiken der Therapien sorgfältig abwägen.

Wie die Cannabis-Verordnung begründet werden muss

Die begründete Einschätzung muss folgende Punkte beinhalten:

  • Dokumentation des Krankheitszustandes mit bestehenden Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung des Patienten und ggf. Hinzuziehung von Befunden anderer behandelnder Ärzte,
  • Darstellung der mit Cannabis zu behandelnden Erkrankung(en), ihrer Symptome und des angestrebten Behandlungsziels,
  • bereits angewendete Standardbehandlungen, deren Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei aufgetretene Nebenwirkungen,
  • noch verfügbare Standardtherapien, deren zu erwartender Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und die zu erwartenden Nebenwirkungen,
  • Abwägung der Nebenwirkungen einer Standardtherapie mit dem beschriebenen Krankheitszustand und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis. In die Abwägung einfließen, dürfen dabei nur Nebenwirkungen, die das Ausmaß einer
    behandlungsbedürftigen Erkrankung erreichen.

Die Krankenkassen dürfen eine solche ärztliche Einschätzung im Gegenzug nur daraufhin überprüfen, ob die Grundlagen der Entscheidung vollständig und nachvollziehbar sind und das Abwägungsergebnis nicht völlig unplausibel ist. Ob eine Suchtmittelabhängigkeit der Verordnung von Cannabis entgegensteht, hat der Arzt im Einzelfall ebenfalls sorgfältig abzuwägen.

Positive Prognose muss für Cannabis-Verordnung vorliegen

Schließlich setzt der Anspruch voraus, dass durch die Behandlung mit Cannabis eine spürbar positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (Prognose). Besonders schwer sind Symptome bzw. Auswirkungen bereits dann, wenn sie das Bild der schwerwiegenden Erkrankung prägen, ohne dass sie selbst einen GdS von 50 erreichen müssen. In der Gesetzesbegründung wird hierzu die Behandlung von Appetitlosigkeit und Übelkeit bei Krebserkrankung mit Chemotherapie als Beispiel genannt. Es müssen objektive Erkenntnisse vorgelegt werden, dass die Behandlung im Hinblick auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome nach wissenschaftlichen Maßstäben objektivierbare Erkenntnisse vorliegen, dass die Behandlung im Ergebnis mehr nutzt als schadet.

Sind alle Voraussetzungen erfüllt, darf die Krankenkasse die Genehmigung der Verordnung nur in begründeten Ausnahmefällen verweigern. Das kann z.B. etwa die unbefugte Weitergabe des verordneten Cannabis an Dritte sein. Ein Vorkonsum und eine Cannabisabhängigkeit fallen eher nicht unter den Ausnahmefall.

Keine freie Wahl bei Cannabis-Darreichungsform

Außerdem müssen Ärzte das Wirtschaftlichkeitsgebot beachten: Bei voraussichtlich gleicher Geeignetheit von Cannabisblüten, Cannabisextrakten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon besteht nur ein Anspruch auf Versorgung mit dem kostengünstigsten Mittel. Die KK ist berechtigt, trotz Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen die Genehmigung der vom Vertragsarzt beabsichtigten Verordnung zu verweigern und auf eine günstigere, voraussichtlich gleich geeignete Darreichungsform zu verweisen.

Quelle: Bundessozialgericht