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Medizin

Ataxien sind eine Reihe von seltenen Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks, bei denen die Koordination von Bewegungen und das Gleichgewicht gestört sind. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass die Feinkoordination der Hände nicht mehr richtig funktioniert. Betroffene können nicht mehr leserlich schreiben. Wenn die Beine von der Ataxie betroffen sind, kann das aufrechte Stehen schwerfallen oder der Gang unsicher werden. Auch die Koordination der Augenbewegungen oder der Zunge können gestört sein.

Es gibt sowohl genetisch bedingt Ataxien als auch erworbene. Gemeinsam ist ihnen, dass die Kommunikation zwischen Kleinhirn und Rückenmark gestört ist. Sie können in jedem Alter auftreten. „Schätzungen zufolge sind in Deutschland rund 16.000 Personen betroffen, Männer wie Frauen gleichermaßen“, schreibt das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) auf seiner Website.

Undeutliche Sprache und veränderte Sprachmelodie

Bei Ataxie-Patienten, bei denen das Sprechen durch die Erkrankung beeinträchtigt ist, wird die Aussprache verwaschener, der Sprachrhythmus unregelmäßig und das Sprechtempo ist häufig verlangsamt. Es kann sich aber auch bei plötzlicher Zunahme der Lautstärke beschleunigen. Das erschwert die Kommunikationsfähigkeit der Betroffenen erheblich und vermindert ihre Lebensqualität.

Bisher wird der Schweregrad der Sprechstörung von klinischen Fachleuten mithilfe eines sechsstufigen Klassifikationssystems beurteilt. Eine zeitaufwändige und in gewissem Maße subjektive Untersuchung.

Ein Forscherteam des DZNE und des Universitätsklinikums Bonn hat jetzt zusammen mit dem Berliner Unternehmen PeakProfiling GmbH ein computerassistiertes Verfahren (SARAspeech) entwickelt, das den Schweregrad ataxie-bedingter Sprechstörungen mit großer Genauigkeit erkennt. Das könnte die Untersuchungsabläufe zur Beurteilung des Schweregrads der Ataxie deutlich vereinfachen. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie kürzlich im Magagzin nature npj digital medicine veröffentlicht.

141 unterschiedliche Sprachmerkmale extrahiert

Die Machbarkeitsstudie schloss 67 Patienten (42 Männer, 25 Frauen) mit überwiegend leichter oder mittelschwerer Ataxie und einem Durchschnittsalter von 52 Jahren ein. Von allen Teilnehmern wurden Sprachaufzeichnungen angefertigt. Dazu bekamen sie standardisierte Sprachaufgaben. So erzählten sie beispielsweise von ihren Hobbys, oder wiederholten die Silben PATA zehn Sekunden lang so schnell und deutlich wie möglich.

Mit einer speziellen Software zur Klanganalyse und mit Methoden des maschinellen Lernens werteten die Forschenden die Aufzeichnungen aus. Dabei konnten sie „unter anderem im Sprachrhythmus der Probanden und in Schwankungen ihrer Lautstärke mehr als einhundert charakteristische Merkmale identifizieren.“

Hohe Trefferquote

Danach trainierten die Forscher das computergestützte Bewertungssystem SARAspeech so, dass der von der KI errechnete Schweregrad so gut wie möglich dem Ergebnis entsprach, zu dem auch ein dreiköpfiges Gremium aus erfahrenen Klinikern kam. Die Trefferquote von SARAspeech lag bei 80 Prozent.

Bevor SARAspeech im klinischen Bereich eingesetzt werden kann, seien noch weitere Studien nötig, betonen die Forscher: „Zukünftige Studien sollten auch eine fragebogenbasierte Bewertung der Lebensqualität in Betracht ziehen, um eine Korrelation mit dem Schweregrad der Sprachstörung herzustellen.“

Sobald SARAspeech vollständig entwickelt und klinisch anwendbar sei, werde es für Patienten auch möglich, ihre Sprachschwankungen selbstständig mithilfe einer Smartphone-App zu beurteilen.