Corona-Krise sorgt für deutliche Zunahme psychischer Probleme
A&W RedaktionDie meisten Menschen stecken die Ausnahmesituation der Pandemie gut weg. Aber eben nicht alle. Wie eine aktuelle Umfrage unter Psychiatern und Psychotherapeuten zeigt, werden Depressionen derzeit häufiger diagnostiziert als vor der Pandemie.
In der Corona-Krise geraten immer mehr Menschen in seelische Nöte. Psychotherapeuten und Psychiater verzeichnen deutlich mehr Therapieanfragen als üblich. Vor allem Ängste, Überforderung, familiäre Probleme und Nervosität machen ihren Patienten zu schaffen. Auch die Diagnosen Angststörungen und Depressionen werden häufiger, stellen vier von fünf Therapeuten fest. Dies sind Ergebnisse der Studie “Psychische Gesundheit in der Krise” der pronova BKK, für die bundesweit 154 Psychiater und Psychotherapeuten in Praxen und Kliniken befragt wurden.
82 Prozent der Befragten diagnostizieren öfter Angststörungen als vor der Krise. 79 Prozent stellen vermehrt die Diagnose einer Depression, 74 Prozent vermerken Anpassungsstörungen, also stark ausgeprägte Reaktionen auf belastende Ereignisse. 72 Prozent sprechen von einer Zunahme somatoformer Störungen, also von Beschwerden wie Müdigkeit, Erschöpfung oder Schmerzen ohne organische Ursache. Vor allem die Nachtruhe ist beeinträchtigt: Dass Patienten nicht schlafen können, ohne dass es dafür eine körperliche Ursache gibt, beobachten zwei Drittel der Psychiater und Therapeuten vermehrt seit Beginn der Corona-Krise. In vielen Fällen war eine medikamentöse Therapie angezeigt. Knapp ein Viertel der Befragten hat seit Beginn der Pandemie mehr Arzneimittel verschrieben.
Die gefühlte Bedrohung
“Die Pandemie stellt den Alltag auf den Kopf und raubt den Menschen das sichere Gefühl gewohnter Strukturen”, sagt Dr. Gerd Herold, Beratungsarzt bei der pronova BKK. “Überforderung entsteht zum Beispiel im Familienleben oder im Corona-bedingten Homeoffice. Neue Vorschriften und Umgangsformen wie Abstandsregeln, Masken oder Kontaktbeschränkungen wirken verunsichernd und tendenziell destabilisierend. Angst vor einer Infektion mit dem Virus, um Angehörige, um den Job, Existenzsorgen oder auch Ängste vor sozialer Isolation im Lockdown sind weit verbreitet und hinterlassen Spuren.”
Corona-Stress verstärkt psychische Leiden
Wer psychisch labil ist, ist nun umso anfälliger. Patienten, die schon vor der Krise unter Ängsten litten oder sich überfordert fühlten, setzt die Pandemie besonders zu. Ihre Beschwerden wurden schlimmer. Das stellen 92 Prozent der befragten Psychiaterinnen und Psychiater sowie Therapeutinnen und -therapeuten fest. Verstärkt werden aus Sicht von rund 80 Prozent der Experten zudem Symptome wie Unruhe und Nervosität, Niedergeschlagenheit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Aber auch familiäre Probleme würden durch die Einschnitte in der Corona-Krise verschärft. “Wer ohnehin in Beziehungsproblemen oder Ehekrisen steckt, erlebt oft, dass sich die Konflikte mit zunehmendem Alltagsstress zuspitzen. Es ist zu befürchten, dass Streitigkeiten auch gewalttätig ausgetragen werden”, so Dr. Herold von der pronova BKK.
Wenn Corona mental krank macht
Auch bislang unbelastete Menschen geraten in der Corona-Pandemie in seelische Nöte: Fast alle befragten Mediziner berichten von neuen Patientinnen und Patienten, die erst seit der Corona-Krise in Behandlung sind. Terminanfragen haben vor allem bei niedergelassenen Psychiatern und Psychotherapeuten zugenommen. Überforderung im Corona-Alltag, Ängste und familiäre Probleme hatten den neuen Patienten so zugesetzt, dass sie sich in Behandlung begaben. Besonders groß war der Andrang der Studie zufolge im dritten Quartal 2020. “Erst nach dem Lockdown im Frühling suchten die Menschen verstärkt psychologische Unterstützung. Im Sommer sanken die Infektionszahlen und die akuten Corona-Sorgen wurden kleiner – Menschen, die psychisch stark gelitten hatten, kämpften aber mit anhaltenden Beschwerden. Das war der Moment für viele, professionelle Hilfe einzuholen”, sagt Dr. Herold von der pronova BKK.