Verordnungsverhalten: Regress trotz Wirtschaftlichkeit
A&W RedaktionAus Angst vor den wirtschaftlichen und privaten Folgen eines Regresses schränken viele Ärzte ihr Verordnungsverhalten massiv ein. Achtung, betroffen sind häufig gerade erfolgreiche Ärzte.
Grundlage der Richtgrössenprüfung sind vertraglich zwischen den Kassen und den KVen vereinbarte arztgruppenspezifische Beträge, die als Durchschnittswert das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes leiten sollen. Problematisch daran, dass diese Werte oft mit dem tatsächlichen Arzneibedarf gar nicht übereinstimmen. Zwar ist die Richtgröße kein Arzneimittelbudget pro Fall, teure Patienten werden durch günstige „Scheinverdünner“ wieder ausgeglichen. Fehlende Scheinverdünner und/oder zu viele multimorbide, teure Patienten lassen die Richtgröße aber schnell übersteigen. „So droht selbst bei wirtschaftlicher Verordnung Regress“, erklärt Ecovis-Anwältin Isabel Wildfeuer. „Dazu erfolgt die Festlegung von Richtgrößen in jedem KV-Bereich unterschiedlich, sodass bundesweit teilweise sehr unterschiedliche Richtgrößen bestehen.“
Richtgrößenvereinbarung ist entscheidend
Dazu halten sich nicht alle KVen an den Grundsatz, dass die Richtgrößenvereinbarung bis zum Ende des Vorjahres zustande kommen muss. Wird aber die Richtgröße etwa erst im Sommer 2011 vereinbart, konnte der Arzt sie bei seinen Verordnungen im Frühjahr 2011 zwangsläufig noch nicht beachten. Über die Rechtmäßigkeit einer Richtgrößenprüfung für das Jahr 2002 urteilte das Bundessozialgericht (BSG) Anfang dieses Jahres – mit negativer Entscheidung für die betroffenen Ärzte (Az.: B 6 KA 9/10 R).
Urteil des Sozialgerichts zum Regress
Das Sozialgericht hatte einen Regress aufgehoben, weil es meinte, die Richtgrößenvereinbarung sei nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden und entfalte daher eine unzulässige Rückwirkung. Das Landes- und auch das Bundessozialgericht erachteten die Richtgrößenprüfung dagegen für rechtmäßig: Sie sei innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist zustande gekommen und hinreichend durch ein Rundschreiben vom 2. Mai 2002 bekannt gemacht worden und habe somit zulässig Rückwirkung entfaltet. Der Gesetzgeber habe mit Paragraf 84 Abs. 6 SGB V und Artikel 3a ABAG, wonach die Richtgrößen bis zum 31. März 2002 zu vereinbaren waren, die Entscheidung für eine zeitlich begrenzte Rückwirkung selbst getroffen.
„Diese Argumentation überzeugt nicht“, sagt Rechtsanwältin Wildfeuer, „da die Ärzte verpflichtet werden, sich an Richtgrößen zu halten, die sie noch gar nicht kennen können.“ Es gibt daher bereits Überlegungen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Das nächste Prüfverfahren kommt bestimmt
Auch Ärzte, die über Jahre hinweg von Prüfverfahren verschont wurden, sollten das eigene Verordnungsverhalten sowie etwaige Praxisbesonderheiten stets im Blick haben und die Wirtschaftlichkeit ihrer Verordnungen kritisch hinterfragen. Bei einer im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt ungewöhnlichen Praxisstruktur oder vielen teuren Patienten lässt sich die Einleitung eines Prüfverfahrens aber leider oft nicht vermeiden. In diesen Fällen ist es von großer Bedeutung, frühzeitig die eigenen Praxisbesonderheiten zu analysieren und diese den Prüfstellen so konkret wie möglich mitzuteilen.