Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
CME Fortbildungen

Das Überbringen schlechter Nachrichten bedeutet, drastisch lebensverändernde Informationen zu übermitteln. Wie Radrennfahrer Lance Armstrong über seinen metastasierenden Hodenkrebs sagte: „Ich verließ mein Haus am 2. Oktober 1996 als ein Mensch und kam als ein anderer zurück.“

Lebensverändernde Nachrichten stellen das Selbstbild in Frage. Alltagserwartungen geraten ebenso wie große Pläne massiv ins Wanken, die eigene Zukunft steht oft unerwartet zur Disposition. Die Psyche des Patienten stellt das vor eine enorme Anpassungsleistung. Verschiedene Kommunikationsmodelle wurden entwickelt, um diesen Prozess zu unterstützen.

Grafik Neuerkrankungen in Deutschland

Wut und Stille ertragen

Um selbst professionell empathisch agieren zu können, ohne von Affekten mitgerissen zu werden, ist es hilfreich, das krisenhafte Erleben des Patienten genauer zu verstehen. Eine Krise definieren Simmich et al. (1999) als „eine akute Überforderung eines gewohnten Verhaltens- und Bewältigungssystems“. Es folgt ein schmerzhafter seelischer Zustand, „ein intensives Gefühl der Bedrohung, eine rasche Zunahme an Unsicherheit bei gleichzeitigem Handlungsdruck und eine Überzeugung, dass das Ereignis die Zukunft deutlich negativ beeinflussen wird. Dadurch wird ein Verlust des seelischen Gleichgewichts erlebt.” (Brauchle und Randegger 2009).

Schließen Sie nach Möglichkeit Störungen aus, das gilt auch für klingelnde Telefone und das Personal. Bild: Africa Studio – stock.adobe.com

Übererregung, erhöhte Reizbarkeit und starke Stimmungsschwankungen sind genauso wie Erröten, Schweißausbrüche, Herzrasen, Blässe und Übelkeit typische Symptome einer normalen akuten Belastungsreaktion. Sie haben nichts mit dem Überbringer der Nachricht zu tun, selbst wenn der Patient persönliche Anfeindungen als Ventil wählt. Aggression lässt sich besser aushalten und auch steuern, wenn Sie statt Abwehr Verständnis zeigen: „Ich verstehe, dass Sie das wütend macht.“

Auch sprachloses Entsetzen und Weinen sind oft schwer zu ertragen, rufen sie doch leicht die Neigung hervor, trösten zu wollen. Unangemessen hoffnungsgebende Äußerungen wie „Ich kann die Ergebnisse ja nochmal prüfen lassen“ sind aber keine Hilfe, sondern verlängern die seelische Leidensphase. Vermeintlich tröstende Worte wie „Jetzt haben Sie endlich Klarheit“ oder „Dann hat er es bald hinter sich“ gegenüber Angehörigen können als anmaßend empfunden werden. Ist Ihr Gegenüber geradezu verstummt, können Sie stattdessen anbieten: „Wenn Sie mich brauchen, kommen Sie jederzeit zu mir.“

Das Gefühl der Hilflosigkeit lindern

Die akute Belastungsreaktion dauert wenige Minuten bis zu drei Tagen. Halten die Symptome länger an, weist diese Belastungsstörung darauf hin, dass es dem Patienten an Ressourcen mangelt, um sich der Situation adäquat zu stellen.

Vertraute Begleitpersonen können helfen, den Schock abzufangen und nehmen zusätzlich Informationen auf.
Bild: Monkey Business – stock.adobe.com

Ein Merkmal traumatisch erlebter Ereignisse ist das Gefühl des Kontrollverlusts und der Hilflosigkeit. Bewältigungsstrategien anzubieten, ist deshalb unerlässlich, allerdings erst dann wirklich effektiv, wenn der Betroffene nach dem ersten Schock und der regelmäßig auftretenden Verleugnung und Verdrängung sich langsam der tatsächlichen Bearbeitung seines Problems öffnet (Sonneck 2016).

Nicht immer ist es die eigene Gesundheit, um die es sich dreht. „Die Mitteilung der Diagnose an die Eltern behinderter Neugeborener ist fast immer der Auslöser für eine akute Krise“, schreibt Lambeck (1992). Unangemessene Schuldgefühle können auftauchen, weil die Eltern glauben, in ihrer Beschützerrolle in irgendeiner Weise versagt zu haben. Wer glaubt, frühe Warnsignale übersehen zu haben, sitzt dabei nicht selten einer kognitiven Verzerrung bei der Rückschau auf (Hess 2018). Schuldgefühle dieser Art entspringen einem Kontrollbedürfnis, denn sie reduzieren das Gefühl starker Hilflosigkeit (Brauchle et al. 2017). Weil die Diagnose nicht nur gravierende Konsequenzen für das Kind, sondern auch für das Leben der gesamten Familie hat, sind eine starke familieninterne Unterstützung und emotionaler Zusammenhalt sowie das Verteilen der Lasten auf mehrere Familienmitglieder wichtig für eine erfolgreiche Bewältigung (Heckmann 2013).

Direkt, aber mit Pausen

Doch wie nun bei der Diagnosevermittlung praktisch vorgehen? Der „Leitfaden zur Mitteilung schwerwiegender Befunde und Diagnosen“ des Universitätsklinikums Tübingen lehnt an einen Leitfaden von Prof. Karl Köhle (2008) an, dem ehemaligen Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Köln. Er bietet systematische Orientierung, die hier sinngemäß wiedergegeben wird.

Nutzen Sie Laien-Wörter und machen Sie Pausen, um Zeit für die Verarbeitung zu lassen. Laden Sie zu Rückfragen ein. Bild: rondabroc.com – stock.adobe.com

  • Schritt 1: Gespräch vorbereiten
    Befassen Sie sich mit der Perspektive des Patienten. Alle Befunde und Prognosen sollten klar sein. Wählen Sie einen ruhigen Raum und planen Sie 10 bis 20 Minuten Zeit ein. Setzen Sie den Termin vormittags an, je nach Befinden des Patienten auch nachmittags, nicht aber abends, um tagsüber noch Zeit zum Verarbeiten zu lassen.
  • Schritt 2: Vorwissen klären
    Stellen Sie durch aktives Zuhören das Verständnis des Patienten fest. Ziel ist es, ein ausreichendes Krankheitsverständnis zu vermitteln, nicht möglichst viel Fachwissen. Achten Sie auf Ihre nonverbale Kommunikation, die bereits mit Ihrer Position im Raum beginnt. Nehmen Sie die gleiche Distanz ein wie bei einem guten Befund; bleiben Sie also bei einem Schlechten nicht weit weg stehen. Falls der Patient liegt, setzen Sie sich an (nicht auf) das Bett. Bemühen Sie sich um Augenhöhe, sprechen Sie nicht stehend von oben herab.
  • Schritt 3: Informationsbedürfnis erkunden
    90 Prozent der Krebspatienten wünschen sich ein offenes Gespräch und möchten die Therapie aktiv mitgestalten. Falls ein Patient gerade nicht belastbar genug für die gesamte Informationslast erscheint, bieten Sie an, jederzeit für seine Fragen zur Verfügung zu stehen.
  • Schritt 4: Wissen vermitteln
    Überbringen Sie schlechte Nachrichten schnell und direkt. Kein Smalltalk und keine Belanglosigkeiten vorab. Vermitteln Sie das Wissen schrittweise. Sprechen Sie in kurzen Sätzen und in einfacher Sprache. Beginnen Sie mit dem Wesentlichen. Sprechen Sie auch über den Krankheitsverlauf, Therapien und Risiken. Rechnen Sie jedoch damit, dass der Patient aufgrund des einsetzenden Schocks nur noch begrenzt Informationen aufnehmen kann. Sichern Sie das Verständnis nach jedem Informationsabschnitt, indem Sie eine Pause machen und dem Patienten Raum zum Verarbeiten und zum Fragenstellen geben. Bieten Sie eine Fortsetzung des Gesprächs bei weiteren Terminen an.
  • Schritt 5: Emotionen aufnehmen
    Bleiben emotionale Reaktionen aus, ist das kein gutes Zeichen für die Verarbeitung. Beobachten Sie diese Patienten ­genau. Sichern Sie unterstützende Begleitung, klären Sie, ob im sozialen Umfeld professionelle Hilfe benötigt wird, etwa, weil die schwer erkrankte Person bisher andere betreut hat. Ein schmaler Grat ist die emotionale Beteiligung des Arztes. Ob sich Patienten eine Berührung der Hand oder des Arms wünschen, ist höchst unterschiedlich (McClean, Millard, El-Denzi, Nugent, 2009). Hier ist genau auf die nonverbalen Signale des Patienten zu achten.
  • Schritt 6: Entscheidungen treffen
    Erarbeiten Sie zusammen ein Konzept. Erwartungen an die Therapie und eventuelle Alternativen sollten besprochen werden. Finden Sie einen Konsens.

Beliebte Variante des Gesprächsleitfadens

Ein weiterer Handlungsleitfaden für Ärztinnen und Ärzte und einer der Favoriten in der englischsprachigen Literatur ist das sogenannte SPIKES-Protokoll (Baile et al. 2000) – für die Onkologie entwickelt, jedoch verschiedentlich anpassbar:

  • „S“ steht für Situation:
    Schaffen Sie eine angemessene Gesprächsatmosphäre und schirmen Sie Störungen von außen ab. Kündigen Sie das Gespräch im Vorfeld an und fragen Sie den Patienten, ob er sich das Beisein eines Angehörigen wünscht. Je länger man mit dem Patienten spricht, desto zufriedener und sicherer fühlt er sich danach. Anders als bei dem Leitfaden nach Köhle, mahnt SPIKES mindestens 15 Minuten Gesprächszeit an. Bauen Sie keine Schranke auf. Bei der Anordnung der Sitzgelegenheiten sollten die Stühle bestenfalls an einem Tisch über Eck stehen.
  • „P“ für Patientenvorwissen
    Klären Sie, welche Untersuchungen bereits gemacht wurden und was dem Patienten gesagt wurde. Was spürt er von seiner Krankheit, was weiß er bereits?
  • „I“ für Informationsbedarf
    Auch wenn der Patient volle Aufklärung wünscht, sollte sorgfältig abgeschätzt werden, wie viel er verkraften kann.
  • „K“ für Kenntnisse vermitteln
    Beginnen Sie mit einer Vorwarnung: „Ich habe leider schlechte Nachrichten.“ Geben Sie die Information dann häppchenweise weiter und machen Sie dabei immer wieder Pausen. Trotz vorsichtiger Wortwahl sollte die Botschaft nicht beschönigt werden. Eingangs Wörter wie „Gewächs“ zu verwenden, bevor sie von „Tumor“ oder „Krebs“ sprechen, ist an dieser Stelle legitim. Sichern Sie jedoch die klare Botschaft, indem Sie im Fortgang Euphemismen vermeiden und konkret werden. Stellen Sie dann die Behandelbarkeit der Erkrankung in den Vordergrund, soweit möglich.
  • „E“ für Exploration der emotionalen Reaktion
    Geben Sie den Gefühlen des Patienten Raum. Manchmal treten Zorn und Trauer gleichzeitig oder in kurz aufeinander folgenden Wellen auf. Das zeigt, dass die Verarbeitung in vollem Gang ist. Wenn möglich und passend, sprechen Sie die Befürchtungen des Patienten an und stellen Sie diese in Frage. Vielen Krebspatienten kann beispielsweise mit Überlebensraten Mut gemacht werden.
  • „S“ für Strategie und Zusammenfassung
    Legen Sie gemeinsam die nächsten Schritte fest. Stehen Sie dabei immer für Rückfragen zur Verfügung, die mit Geduld und Feingefühl beantwortet werden. Empfehlen Sie je nach Bedarf Selbsthilfegruppen und Psychologen. Vereinbaren Sie zum Schluss einen neuen, festen Termin, das vermittelt zusätzlich Sicherheit.

Selbst bei den schlechtesten Nachrichten hat eine gute Kommunikation positiven Einfluss auf die Aufnahmefähigkeit, die Patientenzufriedenheit, die Adhärenz und so auch auf einen Therapieerfolg. Als besonders positiv haben sich Freundlichkeit, Interesse und eine maßvolle ärztliche Dominanz erwiesen (Swedlund et al. 2012). Um eine solche Präsenz in der Gesprächssituation zu gewährleisten, sind auch Bewältigungsstrategien für Ärztinnen und Ärzte selbst wichtig. Dazu mehr im zweiten Teil.

Teil2:

Resilienz als Kernkompetenz

Resilienz ist eine Kernkompetenz im Arztberuf. Fremdes Leid mitfühlend zu begleiten und dabei die eigenen Ressourcen zu schonen, ist möglich – und nötig, um auf Dauer die Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Belastbarkeit wird beim Arztberuf nicht nur großgeschrieben, sondern vorausgesetzt. Selten wird jedoch darüber gesprochen, wie man belastbar bleibt, wenn man inmitten straffer Rahmenbedingungen immer wieder Menschen mit schwerwiegenden Diagnosen an den Rand ihrer emotionalen Grenzen begleiten muss. Dabei ist es entscheidend zu erkennen, dass nicht Gefühlskälte der Schlüssel zur Resilienz ist, sondern klar definierte Kontaktgrenzen, also eine klare Wahrnehmung und Deutung von: Das ist deins und das ist meins.

„Es gehört immer Mut dazu, Hiobsbotschaften zu überbringen“, schreibt die Notfall- und Arbeitspsychologin sowie Supervisorin Martina Hess in ihrem umfassenden Vortrag „Diagnosevermittlung: eine Zäsur in der Biografie. Persön­liche Behandlungs- und Betreuungskompetenz“ (2018). Diese Art des Kontakts stellt hohe kommunikative und emotionale Anforderungen. Die üblichen Ziele in der Arzt-Patienten-Kommunikation sind nicht anwendbar. Die Last kann dem Patienten nicht abgenommen werden, er wird die Praxis nicht erleichtert verlassen. Emotionale Entlastungsversuche können hier nur in gefühlter Hilflosigkeit münden (Brauchle 2010).

Selbstfürsorge als Basis der Resilienz

Eine Supervision oder kollegiale Intervisionen können helfen, neue Perspektiven für Situationen zu finden. Bild: Racle Fotodesign – stock.adobe.com

Ein empfundener Kontrollverlust kann auch für Ärztinnen und Ärzte emotional herausfordernd sein. Großen Stress verursacht der Eindruck, den Patienten in irgendeiner Form „zu quälen“ (Badger 2005). Bei einem langjährigen Arzt-Patienten-Verhältnis kann auch eine persönliche Ebene hinzukommen. 51 qualitative Interviews durch den Medizinischen Psychologen Dr. Tobias Heinisch (2013) zeigten, dass der krankheitsbedingte Verlust von Patienten eine langfristige emotionale Belastung bei Hausärzten darstellt.

„Der Arztberuf gehört zu den besonders gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten“, schreibt Dr. Julika Zwack vom Institut für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Ihre Studie zur Resilienz im Arztberuf (2011) auf Basis von 200 Interviews mit Medizinern verschiedener Fachrichtungen identifiziert typische Kraftquellen und Resilienzstrategien.

Dabei kristallisierten sich folgende Punkte als besonders wertvoll heraus, um im herausfordernden Praxisalltag langfristig gesund und leistungsfähig zu bleiben: die Aufrechterhaltung und Pflege privater Interessen, Selbstfürsorge und Achtsamkeit (die eigenen Grenzen wahrnehmen und schützen), der kollegiale Austausch, die regelmäßige Überprüfung der eigenen Erwartungen und Prioritäten, eine frühe Auseinandersetzung mit eigenen biographischen Anfälligkeiten, Hilfe suchen und annehmen, finanzielle Risiken minimieren und die bewusste Nähe-Distanz-Regulation im Patientenkontakt.

Selbstmanagement durch Achtsamkeit

Geben Sie sich Raum, Erlebtes zu verarbeiten, statt es abzuspalten. Nur so wird es nicht unbewusst zur Dauerlast. Bild: Prostock-studio – stock.adobe.com

Das Mitteilen einer schlechten Nachricht verursacht beim Gegenüber Stress und Ängste. Es ist in Ordnung, zu sagen „Es tut mir leid“ oder mitzutrauern. Dabei sollte die Selbstreflektion allerdings nicht zu kurz kommen: Geht es hier wirklich um den Patienten oder brechen gerade eigene Themen auf? Nehmen Sie sich selbst nach dem Gespräch kurz Zeit, um Ihre eigenen Gefühle zu sortieren.

Selbstmanagement kann unter anderem mit Achtsamkeit gelingen, also mit gezielter Aufmerksamkeitslenkung, die nichtwertend das gegenwärtige Erleben wahrnimmt (Schuster et al. 2011). So werden intrapsychische Prozesse deautomatisiert, die Situation kann bei Bedarf neu bewertet werden. Selbst wenn es für den Patienten im herkömmlichen Sinne keine Hoffnung mehr gibt, können Sie ihm dennoch weiter Hoffnung schenken, nämlich auf die Integrität seiner Person (vgl. Leitfaden des Universitätsklinikums Tübingen). Dies gelingt, indem Sie im Gespräch auf seine Bedürfnisse eingehen. Wenn möglich, sichern Sie ihm langfristige Begleitung zu und bieten Sie ihm bei Bedarf gleichzeitig an, eine Zweitmeinung einzuholen. So vermitteln Sie das Gefühl, geschützt und gleichzeitig handlungskompetent zu sein.

Mitgefühl versus Affektansteckung

Woher kommt es, wenn plötzlich während des Gesprächs die Stimme versagt oder Tränen in die Augen schießen, wenn der Patient weint? Affektansteckung ist ein natürliches Phänomen bei „Herden“-Tieren, zu denen auch wir Menschen gehören. Ihr evolutionärer Sinn liegt unter anderem im sozialen Zusammenhalt. Bei einer Affektansteckung bleibt allerdings die Quelle des Gefühls unbewusst, es wird also als eigenes wahrgenommen.

Empathie hingegen ist anders: Es ist die Fähigkeit, die Gefühlslage des anderen nachzuempfinden und sie zu verstehen, ohne sich mit dieser Person zu identifizieren. Die emotionalen Unterschiede bleiben bewusst. Affekte, die übertragen werden, können reguliert werden. Das beugt einer „Überflutung“ und langfristig emotionaler Erschöpfung vor (Hess 2018). Erste Warnzeichen für letzteres können sozialer Rückzug, starker Zynismus oder psychosomatische Beschwerden sein. Treten diese auf, sollten sich neben weiteren Maßnahmen die Grenzen zwischen den Patienten und sich selbst deutlicher bewusstgemacht werden.

Mitgefühl schließt die Sorge um eine andere Person oder die Anteilnahme an deren Situation mit ein (Hess 2018). Mitfühlen bedeutet aber nicht mitleiden. Kreisen die Gedanken ständig um den Patienten, fühlen Sie starke Trauer und verspüren das intensive Bedürfnis, ihn oder sie persönlich zu beschützen, so handelt es sich hierbei um eine emotionale Verstrickung (Brauchle und Randegger 2011). Das kann zu Schlafstörungen führen sowie dem Gefühl, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Gesundes Mitgefühl hingegen erlaubt es zwar durchaus auch mal, mit einem Patienten zu weinen. Dann jedoch wird er möglichst aus seiner Verzweiflung herausgeführt, seine eigene Handlungsfähigkeit und Ressourcen werden aktiviert. Helfer, die bewusst zwischen Mitgefühl und Gefühlsansteckung unterscheiden, fürchten weniger, in einen Kontrollverlust zu rutschen.

Anfälligkeit für Affektansteckung

Eine bewusste Verantwortlichkeit bedeutet, sich so lange verantwortlich zu fühlen, wie der Kontakt zum Patienten dauert. Schwierige Rahmenbedingungen können jedoch verletzlich machen: Wer immer wieder mit Angst, Entsetzen, Leid und Hilflosigkeit konfrontiert ist, und das auch noch unter Handlungs- und Zeitdruck, ist oftmals vulnerabel für Gefühlsansteckung (Figley 1995). Auch deshalb ist die Arbeitsverdichtung im Gesundheitswesen höchst kritisch zu sehen.

Das eigene Wohlbefinden pflegen

Entspannungskompetenz beugt Belastungsfolgen vor und erhält die Leistungsfähigkeit für die Patienten. Bild: Maygutyak – stock.adobe.com

Emotionale Kompetenz bedeutet nicht nur den guten Umgang mit fremden, sondern auch mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Auch die stabilsten Persönlichkeiten können unter extremen Umständen, wie sie im Arztberuf oft auftreten, an Leistungsfähigkeit einbüßen oder gar Depressionen entwickeln (Tschan 2001). Wer sich selbst keinen Raum gibt, läuft Gefahr, seine nachlassende Resilienz und Kraft mit Hilfsmitteln aufrecht erhalten zu wollen, sei es mit zu viel Kaffee, Alkohol oder Medikamenten.

Gerade unter Ärzten gibt es viele regelrechte „Arbeitstiere“, die das, was ihnen persönlich Freude macht, oft ganz hintenanstellen. Räumen Sie regelmäßig Zeit dafür ein. Pflegen Sie Ihre Freundschaften und lassen Sie Ihren Körper beim Sport Endorphine, Serotonin und Dopamin ausschütten. Reservieren Sie Zeit, um Schöngeistigem nachzugehen, in der Literatur oder in der Kunst. Trainieren Sie Ihre Entspannungskompetenz mit Yoga, Meditation, Progressiver Muskelrelaxation oder ähnlichem. Holen Sie sich bei Bedarf Rat und Unterstützung, bei einer Supervision oder einer kollegialen Intervision.

Wenn all dies zu aufwändig erscheint, denken Sie an den Lohn dieser Investitionen: Diese Maßnahmen helfen, Belastungsfolgen vorzubeugen und im Sinne der Patienten handlungsfähig zu bleiben. Lange Arbeitszeiten und Notdienste führen dazu, dass Ärztinnen und Ärzte oft weniger Zeit mit Freunden und Familie verbringen als andere. Umso wichtiger ist deshalb auch eine gute Stimmung im Praxisteam.

Qualitative Arbeit braucht Ressourcen

Es bedarf einer ausgeprägten und flexi­blen emotionalen Intelligenz, um durch intensive Situationen zu navigieren. Innerer und äußerer Druck nehmen etwas von den Ressourcen weg, die für die Patienten benötigt werden. Üben Sie deshalb die Selbstpflege. Die „Charter on Physician Well-Being“ (Thomas et al. 2018) fordert, Bewältigungsstrategien für Todesfälle und schwere Erkrankungen standardmäßig in der Ausbildung zu vermitteln. Auch in den Berufsalltag sollte psychologische Unterstützung integriert sein – als Mittel zur Unterstützung und Optimierung der ärztlichen Leistungen und nicht bloß als Reaktion auf Krisen. Das Wohlergehen der Ärzte muss ebenso Ziel der Medizin sein, wie das der Patienten.

A&W CME-Service – jetzt CME-Punkte sammeln

Medlearning Button Die Fortbildung „Überbringen schlechter Nachrichten“ ist mit zwei CME-Punkten zertifiziert. Um die CME-Punkte zu erhalten, müssen Sie noch den entsprechenden Wissenstest auf der Online-Fortbildungsplattform MedLearning absolvieren:  https://cme.medlearning.de/aw/schlechte_nachrichten_rez1/index.htm