Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxisführung

Hand aufs Herz: Wie sehr verunsichert es Sie, wenn in Ihrer Sprechstunde Ärzte sitzen, die die Hälfte ihrer Diagnose schon mitbringen und nur zur Hälfte Patienten sind? Geraten Sie dann eventuell in eine Überdiagnostik aus Angst, beim Kollegen etwas zu übersehen?

Solche oder ähnliche Situationen kennen vermutlich viele Niedergelassene. In einer Interviewstudie der Monash University in Melbourne (Australien) wurden 26 Ärztinnen und Ärzte (16 Frauen, 10 Männer) nach ihren einschlägigen Erfahrungen bei der Behandlung von Kollegen befragt, die meisten waren Allgemeinmediziner in Großstädten. Die Forschenden untersuchten, ob Hausärzte der Meinung sind, dass sie Arztpatienten anders behandeln als andere Patienten, und wenn ja, wie sich dies auf deren Versorgung auswirkt. 

Hausärztliche Kollegen wirken besonders einschüchternd

Obwohl zunächst alle Mediziner der Meinung waren, dass Kollegen als Patienten genau so zu behandeln seien wie alle anderen Patienten, stachen in den Interviews zwei Aspekte besonders heraus: Respekt und Kollegialität. Die Notwendigkeit, Respekt zu zeigen, wirkt sich in unterschiedlicher Hinsicht auf die Konsultation aus. So antwortete ein Arzt, dass er es respektieren müsse, wenn der Kollege sich schon eine Diagnose gestellt habe. Einige sahen es als Zeichen des Respekts, mit den Kollegen in der medizinischen Fachsprache zu sprechen, und sorgten sich, dass es beleidigend wirken könnte, wenn sie Erklärungen vereinfachten. Anderen war es hingegen wichtig, verstanden zu werden, gerade dann, wenn der Kollege aus einem anderen Fachgebiet kam. 

Die befragten Ärzte sahen es als heikel an, gegenüber Kollegen Fragen zur psychischen Gesundheit oder Alkohol- und  Drogenkonsum zu stellen. Sie hatten Sorge, den Kollegen zu beleidigen oder die kollegiale Beziehung zu gefährden. Viele Teilnehmer sprachen auch von Beklommenheit, wenn sie einen anderen Arzt behandeln. Sie machten sich Sorgen darüber, beurteilt zu werden, ob sie gut genug waren oder was passieren könnte, wenn sie etwas übersahen oder einen Fehler machten. Sie wollten sich als sachkundig und kompetent präsentieren. Die Ärzte waren sich auch bewusst, dass es für den Arzt als Patienten eine Herausforderung darstellen kann, die Rollen zu tauschen und damit die Rolle des Arztes aufzugeben.

Besonders einschüchternd fanden Ärztinnen und Ärzte in der Befragung interessanterweise hausärztliche Kollegen. Ein Studienteilnehmer gab an, Hausärzte am schwierigsten zu finden, Fachärzte dagegen einfacher. Fachärzte würden eher dazu neigen zuzugeben, dass sie Spezialisten seien und von vielem keine Ahnung hätten. Dadurch könnten sie leichter in die Patientenrolle schlüpfen. Bei Hausärzten habe er hingegen das Gefühl, dass sie alles, was man tue, in Frage stellten. „So verliere ich das Vertrauen in mich selbst.“

Den Elefanten im Raum nicht ignorieren

Das Ergebnis der Studie: Kolleginnen und Kollegen wie ganz normale Patienten zu behandeln, wird der Situation nicht gerecht, denn sie sind keine normalen Patienten. Die gemeinsame berufliche Sozialisation kann die Versorgung des Arztpatienten beeinflussen, ohne dass dies im Beratungsgespräch explizit wahrgenommen wird. „Wer die komplexe Dynamik der Arzt-Arzt-Konsultation ignoriert, ignoriert den Elefanten im Raum“, heißt es in der Studie. Die Empfehlungen der Forschenden lauten daher:

  • Es ist notwendig, die Komplexität des Arzt-Arzt-Beratungsgesprächs offen anzuerkennen.

  • Die Behandlung von Kollegen soll schon bei der Ausbildung von Ärzten eine Rolle spielen.

  • Den Themen Respekt und Kollegialität muss bei der Behandlung von Kollegen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

  • Alle Ärztinnen und Ärzte sollten einen eigenen Hausarzt haben.

Ärztinnen und Ärzte als Patienten

Wenn Sie als Arzt oder Ärztin beunruhigende Gedanken bei der Behandlung ärztlicher Kollegen kennen, sind Sie nicht allein. Einige Teilnehmer der Interview-Studie fragten die Forschenden im Anschluss an ihr Interview, ob ihre Gedanken bei der Behandlung von Kollegen ungewöhnlich seien, und waren sehr beruhigt zu hören, dass es anderen ebenso gehe. Ein Bonmot gibt es noch: Ein Viertel der Teilnehmenden gab zu, dass sie selbst als Patienten gelegentlich nicht angeben würden, Arzt zu sein. Die befragten Ärztinnen und Ärzte äußerten aber Verständnis dafür, wenn Kollegen als Patienten nicht offenlegen würden, dass sie selbst Ärzte sind, dahinter stünde wohl der Wunsch, nicht anders behandelt zu werden.

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