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E-Health

Natürlich können Roboter keinen Mediziner ersetzen. Ebensowenig sind Algorithmen in der Lage, die Herrschaft über Wartezimmer oder Krankenstation zu übernehmen. Doch Künstliche Intelligenz (KI) hilft immer dann, wenn die Komplexität hoch ist und der Mensch Hinweise und Informationen nicht oder erst sehr spät erkennen würde. So unterstützt KI bereits heute bei der Schmerzerkennung oder bei der Krebsdiagnostik. Alle Angebote haben eines gemeinsam: Der Mensch soll durch moderne Technologie befähigt – und nicht als Arbeitskraft ersetzt werden.

KI hilft bei der Patienten-Kommunikation

Wenn Professor Harald Traue, Leiter der Sektion Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Ulm, wissen will, ob sein Patient Schmerzen spürt, fragt er den Computer. Denn das subjektive Schmerzempfinden können Patienten häufig nur schlecht in Worte fassen. „Manchmal gibt es sprachliche Verständigungsprobleme. Kinder beispielsweise können Schmerz oft nicht genau beschreiben. Patienten mit Demenz oder anderen kognitiven Einschränkungen haben ebenfalls Probleme, Auskunft zu geben über die Intensität und Qualität von Schmerzen”, erläutert Traue die Ausgangslage. Deshalb setzen die Ulmer nun auf künstliche Intelligenz, um das persönliche Erleben besser einschätzen zu können.

Computer machen Schmerzen messbar

Um Schmerzerleben messbar zu machen, fütterten die Mediziner im Rahmen einer Schmerzstudie eine Datenbank mit zahlreichen Biosignalen wie Informationen aus EKG, EEG und dem EDA, das die elektrische Leitfähigkeit der Haut bestimmt. Gesichtsausdruck und mimisches Verhalten der Patienten wurden mit einer speziellen Videokamera aufgezeichnet. Die Bewegungsmuster der Probanden hielt ein Sensor fest. So entstand ein sehr großer Datenstrom, dessen Auswertung mit Methoden der künstlichen Intelligenz bewältigt werden kann. Mit diesen Informationen ausgestattet, kann der Algorithmus bei der Untersuchung eines Patienten dann sehr genaue Aussagen zur Schmerz-Intensität machen. Bei einem Test mit bekannten Personen, die von starken Schmerzen betroffen sind, lag die Genauigkeit bei 94 Prozent, bei schwachen Schmerzreizen bei immerhin 59 Prozent.

Haben die Mediziner die automatische Schmerzerkennung unabhängig von bestimmten Personen durchgeführt, lag die Genauigkeit bei starken Schmerzreizen immerhin noch zwischen 74 und 91 Prozent. Bei leichteren Schmerzen war die automatische Erfassung allerdings recht ungenau. Am aufschlussreichsten im Hinblick auf die Schmerzintensität sind das Gesichts-EMG, der elektrische Hautwiderstand, der Abstand zwischen Augenbraue und Mundwinkel und die Faltenbildung an der Nasenwurzel, sind sich die Forscher einig. Intelligente Systeme lernen stetig dazu. Das heißt, mit steigender Datenmenge, die der menschlichen Erfahrung entspricht, werden die Angaben immer feinjustierter und genauer.

E-Learning mit KI

Nicht nur in der Diagnostik, auch in der Weiterbildung im Gesundheitssektor nimmt KI einen immer größer werdenden Anteil ein. Wolfram Jost von der imc AG, einem Anbieter für digitale Bildung, stimmt beim großen Nutzen zu, den KI den Qualifizierungsstrategien in der Medizin stiften kann. „Künstliche Intelligenz ist eine effiziente Methode um selbstgesteuertes Lernen zu unterstützen und damit eine Möglichkeit, Lernende zu motivieren und bei der Stange zu halten“, beobachtet der Vorstand. Aus dem medizinischen Bereich verzeichnet das Unternehmen mit Hauptsitz in Saarbrücken vermehrt Anfragen. Die KI hilft im Einzelfall dabei, individuelleres Lernen möglich zu machen, indem ein E-Learning Programm auf persönliche Stärken und Schwächen eingeht. Analyse und Reflexion seien gute Stichworte für den Einsatz von KI im beruflichen Lernen. „Die Algorithmen können in unterschiedlichen Lernumgebungen dabei helfen, eigene Schwächen und Wissenslücken zu erkennen. Sie unterbreiten dann gezielt Lernvorschläge, um Lernende adaptiv, personalisiert und kontextorientiert zu fördern“, sagt Jost. Auch kann die KI dabei helfen, Lernen und Arbeiten zu verschmelzen und als Einheit zu definieren.

Lernen ist kein Selbstzweck, sondern dient der Performancesteigerung in der täglichen Arbeit. Deshalb werden Lernprozesse und Arbeitsprozesse immer stärker verschmelzen. In den kommenden Jahren sieht der Fachmann für digitales Lernen ein großes Entwicklungspotenzial in der Kombination aus KI und Augmented Reality in Verbindung mit dem Arbeitskontext, gerade im medizinischen und therapeutischen Bereich. So zahlt diese Kombination auf den Trend des arbeitsplatzintegrierten Lernens ein, der seit Jahren anhält: Hier kann bereits mit virtuellen Patienten geübt werden, ohne dass Fehler Folgen haben. In Form von persönlichen Assistenten können medizinische Fachangestellte oder Physiotherapeuten ganz individuell in ihrer täglichen Arbeit unterstützt werden. „Den größten Nutzen entfalten Lernumgebungen mit Bezug zum täglichen Tun. Dadurch prägen sich die Lerninhalte viel besser ein “, fasst Jost zusammen.

Algorithmen empfehlen Therapien

In der medizinischen Diagnostik sind clevere Algorithmen bereits heute in vielen Bereichen mindestens genauso gut, wie medizinisches Fachpersonal, das ohnehin immer schwieriger zu finden ist. Bei der Auswertung von Röntgenbildern beispielsweise oder beim Erkennen von bösartigen gegenüber gutartigen Hautkrebs-Melanomen. Das deutsche Gesundheitssystem kann enorm vom Einsatz künstlicher Intelligenz profitieren. Das beweist sich zunehmend in der Praxis: Gesundheitsdaten werden verarbeitet, um Ärzten zu helfen, bessere Entscheidungen für ihre Patienten zu treffen. So arbeiten Forscher der Berliner Charité an einem Algorithmus, der beim Patienten individuell vorgibt, ob die Therapie eines Schlaganfalls sinnvoll ist oder nicht. Die endgültige Entscheidung trifft natürlich der Arzt, nicht die Maschine.

Ein Algorithmus kann immer nur so gut sein, wie die Daten, auf denen er basiert. Nur mit einer großen und qualitativ hochwertigen Informationsgrundlage kann die künstliche Intelligenz gute Entscheidungen treffen. Künstliche Intelligenz basiert auf großen Datenbeständen, die zunächst mit Studien aufgebaut werden müssen. Alternativ können vorhandene Informationen aufbereitet werden, was ebenfalls aufwändig und kostspielig ist. Zusätzlich müssen regulatorische Fragestellungen, etwa im Bereich Datenschutz, geklärt werden. Das ist vermutlich ein Grund, warum 64 Prozent der deutschen Entscheider in der Gesundheitswirtschaft zwar die Veränderungskraft der KI erkennen, aber erst 30 Prozent konkrete Schritte eingeleitet haben, wie eine PWC-Studie erhob.