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Ambulantisierung ist das politische Ziel – die praktische Umsetzung verlangt neue Strukturen. Gerade im ländlichen Raum entstehen Lücken, die nicht durch klassische Modelle geschlossen werden können. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) können hier eine tragende Rolle spielen – wenn sie integrativ gedacht und klug eingesetzt werden.

Ambulantisierung – eine Herausforderung besonders im ländlichen Raum

Die Krankenhausreform soll stationäre Leistungen reduzieren und die ambulante Versorgung stärken. Leistungsgruppen, Vorhaltepauschalen und sektorenübergreifende Planung sollen ein neues Versorgungsgefüge schaffen. Doch was auf dem Papier klar klingt, ist in der Realität komplex – besonders im ländlichen Raum, wo bestehende Strukturen brüchig werden und oft Nachfolgelösungen fehlen.

Die Sicherung der Versorgung ist kein Projekt am Reißbrett, sondern ein Umbau bei laufendem Betrieb. Gerade kleine, spezialisierte Häuser leisten wertvolle Beiträge, die sich nicht über Bettenzahlen oder Pauschalen abbilden lassen. Gleichzeitig braucht es ambulante Strukturen, die diese stationäre Expertise ergänzen und auffangen können.

Dabei ist nicht nur Infrastruktur gefragt, sondern auch ein Wandel im ärztlichen Selbstverständnis: weg vom Denken in Sektoren, hin zu einem integrativen Versorgungsauftrag über Systemgrenzen hinweg. Das verlangt Zeit, Vertrauen und politisch verlässliche Rahmenbedingungen. Im Bereich stationärer Versorgung stehen besonders kleinere Häuser mit spezialisiertem Fokus vor der Herausforderung, ihre Strukturen anzupassen – und zugleich ihre spezialisierte Kompetenz weiter auszubauen.

Unsere Lungenfachklinik in Thüringen steht exemplarisch für viele kleinere Häuser, die in ihren Fachgebieten unverzichtbare Expertise bündeln. In der Versorgung von COPD, Lungentumoren, Langzeitbeatmung und einer Weaning-Station leisten sie einen Beitrag, der weder durch Pauschalkriterien noch durch Bettenzahlen adäquat abgebildet wird. Stationär ist wichtig, muss sich aber verändern. Ambulante Versorgung wird auch in unserer Klinik immer wichtiger. Die Klinik hat das erklärte Ziel, sich in den kommenden Jahren zu einem Lungenkompetenzzentrum weiterzuentwickeln. Teile werden stationär, Teile werden ambulant erbracht werden, der Patient muss bei diesen Überlegungen im Mittelpunkt stehen und niedergelassen Kollegen ebenso in das Konzept integriert werden.

*Unser Gastautor: Ingmar Wegner

Ingmar Wegner (47) stammt aus Jena, ist Geschäftsführer von ca. 40 Praxisstandorten der Doceins MVZ-Gesellschaften, 10 Standorten der augenärztlichen MVZ-Struktur von Viselle und der Doceins Lungenklinik Neustadt im Harz. Damit verantwortet er eine hochspezialisierte stationäre Einrichtung mit rund 80 Betten und zugleich ein ambulante Versorgungstruktur. Er steht mit den ambulanten Praxen, vor allem im mitteldeutschen ländlichen Raum, dieser kleinen, spezialisierten Klinik in Thüringen und für einen pragmatischen Umbau der Versorgungslandschaft, der Qualität und regionale Versorgungssicherheit nicht gegeneinander ausspielt.

MVZ im ländlichen Raum: Praxisbeispiel Augenheilkunde

Wir betreiben einen augenärztlichen Versorgungsverbund in der Viselle Augenzentrum Struktur mit neun, bald zehn Standorten – bewusst im ländlichen Raum. Der Bedarf ist groß, die Einzelpraxis-Nachfolge vielerorts nicht mehr gesichert. In dieser Situation sehen wir MVZ nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung: interdisziplinär, standortnah, mit abgestimmten Behandlungspfaden und eingebettet in regionale Versorgungsnetzwerke.

Dabei entstehen Synergien, von denen nicht nur die Patienten profitieren: Personal kann standortübergreifend eingesetzt, Geräte effizient genutzt und Vertretungssituationen kollegial aufgefangen werden – Aspekte, die in der Einzelpraxis oft kaum zu realisieren sind.

Nicht nur schwarz oder weiß: Ein differenzierter Blick auf MVZ

Die Debatte um MVZ muss differenziert geführt werden. Entscheidend ist das Versorgungskonzept, unabhängig von der Strukturform – und, ob es langfristig tragfähig ist. MVZ können Versorgung sichern, wir betreiben beispielsweise an ca. 40 Standorten vorrangig in Mitteldeutschland die breit gefächerte Doceins Versorgungstruktur, die viele Fachrichtungen unter einem Dach bündelt, neben hausärztlicher Versorgung sind hier zum Beispiel auch Kinderärzte, Dermatologen oder onkologische Fachärzte tätig.

Kollegialer Austausch wird gefördert, administrative Aufgaben gebündelt. Das entlastet die Ärztinnen und Ärzte vor Ort und stabilisiert die regionale Versorgung. Und nicht zuletzt wird auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Ärztinnen und Ärzte verbessert und damit attraktiv gehalten.

Wichtig ist es, Qualitätskriterien für alle Trägerformen zu entwickeln – nicht wer versorgt, sondern wie versorgt wird, sollte im Mittelpunkt der politischen Bewertung stehen.

Ambulante Versorgung neu denken – mit digitalen Hilfsmitteln

Mit Blick auf die Ambulantisierung haben wir begonnen, unsere Versorgungsangebote neu zu denken: stationäre und ambulante Leistungen aus einer Hand, ergänzt durch digitale Tools. Hier ist noch viel politischer Weg zu gehen: Zum Beispiel in der telemedizinischen Befundung: In geeigneten Fachbereichen, wie z.B. in der Augenheilkunde, könnte etwa in einer Augenarztpraxis vor Ort ausgebildetes Praxispersonal die technischen Untersuchungen übernehmen, die Befundung erfolgt dann durch einen Facharzt per Telemedizin. Die persönliche Leistungserbringung bliebe dabei gewahrt.

Digitale Lösungen können Transparenz und Kommunikation im Behandlungsteam fördern – von der digitalen Fallakte bis zur interdisziplinären Fallkonferenz per Videoschalte. Voraussetzung ist ein sicherer, datenschutzkonformer und praxistauglicher technischer Rahmen.

Was jetzt notwendig ist, um die ambulante Versorgung zu stärken, vor allem im ländlichen Raum, wo Versorgungsicherheit jetzt schon bedroht ist:

  1. Fallzahlunabhängige Vergütung – gerade im ländlichen Raum, für effiziente, wohnortnahe, planungssichere und ausfallsichere Versorgung.

  2. Faire Zulassungsbedingungen – strukturelle Benachteiligungen von MVZ bei Nachbesetzungsverfahren gefährden die Versorgung.

  3. Förderung überregionaler Kompetenz in der Versorgung – mit digitaler Unterstützung, telemedizinischen Modellen und tragfähigen Netzwerken von Spezialisten.

  4. Stärkung des ärztlichen Nachwuchses im ambulanten Bereich – durch neue Arbeitszeitmodelle, geregelte Weiterbildungsstrukturen und finanzielle Planungssicherheit. Gerade MVZ können hier eine attraktive Alternative bieten.

Versorgung ist Teamarbeit – nicht Systemkonkurrenz

Wir stehen an einem Wendepunkt. Ambulantisierung ist der richtige Weg – wenn wir ihn gemeinsam gestalten. Die Frage sollte nicht sein, ob Klinik oder Praxis, ob öffentlich oder privat – sondern: Was braucht der Patient vor Ort? Und wie können wir dies gemeinsam leisten?

Gute Versorgung darf keine Frage der Strukturform sein, sondern der Qualität. MVZ können Teil der Lösung sein – wenn sie partnerschaftlich gedacht und verantwortungsvoll geführt werden. Denn am Ende zählt nur eines: dass Patientinnen und Patienten auch morgen noch die medizinische Versorgung erhalten, die sie brauchen.

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