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Finanzen

Das Interesse der Bundesbürger an der Geldanlage scheint während des Corona-bedingten Lockdowns erwacht zu sein. Die Comdirect vermeldete für das erste Halbjahr 2020 netto 172.000 Neukunden. Im Vorjahr waren es 128.000. Zugleich handelten die Kunden des Online-Brokers so viel wie noch nie. Auch bei der ING Diba kam es zu Depotneueröffnungen auf Rekordniveau und einem Boom beim Wertpapierhandel, ähnlich wie bei der Consorsbank oder der DKB.

Fonds sind derzeit besonders gefragt

Zugleich stieg das Mittelaufkommen der Anlageprodukte. Laut dem Fondsverband BVI flossen Aktienfonds im zweiten Quartal 2020 9,8 Milliarden Euro zu, Mischfonds kamen auf 5,8 Milliarden Euro. Damit erreichten insbesondere die Zuflüsse bei Aktienfonds im Vergleich zu den entsprechenden Vorjahreszeiträumen seit 2017 einen Höchstwert. Auf der Einkaufsliste der Anleger standen im ersten Halbjahr per Saldo auch Exchange Traded Funds (ETFs), bei denen das investierte Volumen gegenüber Ende 2019 ebenfalls deutlich zulegte.

Doch dürften nicht alle Neukunden der Direktbanken Erfahrung mit dem Thema Geldanlage haben. „Wer als Neuanleger nach einem geeigneten Fonds oder ETF sucht, sollte sich mit der Materie schon auseinandersetzen und wissen, welche Kennzahlen wichtig sind“, sagt Marc Schädler von der Vermögensverwaltung Proaktiva GmbH.

Gewinn dank höherem Risiko?

So greife die alleinige Orientierung an der Wertentwicklung zu kurz. „Bei aktiv gemanagten Fonds gilt es zu prüfen, ob diejenigen, die in den kurzfristigen Rankings ganz oben stehen, womöglich höhere Risiken eingegangen sind oder ob die Wertentwicklung nachhaltig über einen längeren Zeitraum erwirtschaftet worden ist“, so der Experte. Die Performance eines Fonds sollte deshalb ein wesentliches Auswahlkriterium sein, aber eben nicht das einzige.

Wichtig ist zum Beispiel die Sharpe Ratio. „Sie gibt an, wieviel Risiko ein Fondsmanager in Relation zur erzielten Rendite eingegangen ist“, erläutert Lothar Koch von der Vermögensverwaltung GSAM AG. Liegt sie über eins, dann bedeutet das, dass der Ertrag des Fonds mit einem relativ geringen Risiko erwirtschaftet wurde – ein Qualitätsmerkmal also. Eine negative Sharpe Ratio dagegen deutet darauf hin, dass der Fondsmanager in Relation zum Ertrag recht hohe Risiken eingegangen ist.

Maximum Drawdown

Eine weitere wichtige Kennzahl ist der maximale Verlust, auch Maximum Drawdown genannt. „Daran sehen Anleger, wie viel ein Fonds in schwierigen Marktphasen verloren hat und sie können so besser einschätzen, ob dieser zu ihrem Risikoprofil passt oder nicht“, erklärt Koch.

Zusätzlich empfiehlt Marc Schädler auf die Volatilität, die die Höhe der Kursschwankungen misst, die Kennzahl Alpha, die angibt, welchen Mehrwert ein Fondsmanager gegenüber seinem Vergleichsindex erzielt hat, und die Kosten zu achten. „Ich rate zwar davon ab, einen Fonds nur wegen niedriger Gebühren zu kaufen, aber eine Rolle sollten sie schon spielen“, so der Experte.

Lothar Koch beurteilt das ähnlich: „Ab einer gewisse Höhe wird es schwierig, den Mehrwert eines Fonds zu begründen“, sagt er. Er rät bei Aktienfonds ab einer jährlichen Gesamtkostenquote von zwei bis 2,5 Prozent vorsichtig zu sein. „Über diese Kosten hinaus nehmen wir einen Fonds in der Regel nicht.“

Auf Liquidität des ETFs achten

Im Vergleich dazu haben es ETF-Anleger leichter. Für sie stellt sich lediglich die Frage, ob sie einen physisch replizierenden ETF, der in die Aktien des zugrundeliegenden Index tatsächlich investiert und synthetischen Körbe, die nur die Wertentwicklung eines Index liefern, bevorzugen. Wobei die meisten Experten eher zu physisch replizierenden Produkten raten. „Darüber hinaus kann es hilfreich sein, auf die Liquidität eines ETFs zu achten, da dann der Unterschied zwischen Kauf- und Verkaufskurs geringer sein kann“, erklärt Schädler.

„Sonst aber sind die Unterschiede zwischen ETFs, die den gleichen Markt abbilden, eher gering und für Privatanleger nicht so relevant“, so Koch. Tatsächlich spielt hier eher eine Rolle, ob der gewählte Index zu den Anlagezielen und dem Risikoempfinden eines Anlegers passt (Vgl. Interview). Einsteiger sollten sich bei ETFs deshalb den zugrunde liegenden Index genau anschauen.

Interview: „Anlageziel und Risikoneigung sind entscheidend“

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Lothar Koch

Im Interview erläutert Lothar Koch, Spektrum Finanzberatung, wie Anleger ihren langfristigen Vermögensaufbau angehen.

Herr Koch, welche Überlegungen stehen beim Vermögensaufbau ganz am Anfang?

Lothar Koch: Die erste Frage ist die nach dem Anlagehorizont. Wer sein Geld kurzfristig parken und nichts verlieren möchte, darf keine Risiken eingehen. Wer langfristig investiert, kann aber vorübergehende Wertschwankungen aussitzen und dementsprechend renditeträchtigere Anlagen wie Aktien, die meist stärker im Wert schwanken, wählen.

Welches sind die nächsten Überlegungen?

Koch: Sie betreffen die gewünschte Rendite und das Risiko, das jemand bereit ist zu tragen. Nach meiner Erfahrung ist die Frage nach dem Risiko für die Menschen leichter zu beantworten. Schließlich weiß jeder recht gut, ab wann er nicht mehr gut schlafen kann. Wen ein Anleger soweit ist, dann kann er sich über den Portfolioaufbau Gedanken machen.

Worauf kommt es hier an?

Koch: Zunächst muss das Portfolio den beschriebenen Überlegungen entsprechen. Wer nicht viel Risiko verträgt, braucht ein schwankungsarmes Portfolio. Wer mit zwischenzeitlichen Verlusten gut klar kommt, kann mehr Aktien beimischen. Sie bringen langfristig mit die höchsten Renditen, bergen aber kurzfristig das Risiko hoher Wertschwankungen. Das heißt, vorübergehende Verluste von 20 oder 30 Prozent sind nie auszuschließen.

Was sollten Anleger in ihrem Portfolio unbedingt bedenken?

Koch: Das Wichtigste ist eine breite Diversifikation. Investoren sollten verschiedene Anlageklassen berücksichtigen, also Aktien, Anleihen, Rohstoffe und Edelmetalle. Dann gilt es innerhalb der Anlageklassen zu streuen. Bei Aktien bedeutet das beispielsweise, nicht nur in Deutschland zu investieren, sondern international.
Vielen Dank für das Gespräch!

Autor: Gerd Hübner