Die gesetzlichen Krankenkassen belohnen gesundheitsbewusstes Verhalten ihrer Mitglieder mit Prämien oder Barzahlungen. Offiziell wollen sie damit „Prävention und Selbsthilfe“ fördern – in Wahrheit geht es um etwas anderes.
Manchmal ist das deutsche Gesundheitswesen schwer zu verstehen. Um Kaffeemaschinen oder Saftpressen an die Versicherten zu verteilen, ist ausreichend Geld vorhanden. Medizinisch gebotene Verordnungen hingegen werden regelmäßig bemängelt.
Dass AOK & Co. ihren Mitgliedern Geld- oder Sachgeschenke machen dürfen, ist für viele Ärzte schwer nachvollziehbar – vor allem für jene, die bereits mit Regressen oder Honorarrückforderungen konfrontiert waren. Dennoch gibt es wohl keine gesetzliche Versicherung in Deutschland, die nicht ein gewisses Budget für solche Dreingaben hat.
Schuld daran ist die Regelung des § 65a SGB V. Danach sollen die Kassen in ihren Satzungen festlegen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang sie besonders „gesundheitsbewusste Patient“ für ihr Wohlverhalten belohnen – zum Beispiel mit Sachgeschenken oder Bargeld.
Wirklich ein Plus für die Gesundheit?
Die Ansätze sind je nach Kasse sehr verschieden. Gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich aber doch erkennen. Vielfach etwa belohnen die Kassen zum Beispiel die Teilnahme an empfohlenen Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen, aber auch der Besuch eines Ernährungsseminars oder eines zertifizierten Sportkurses kann schon reichen, um Geld oder Geschenke von der Kasse zu kassieren.
Die Bandbreite der Prämien reicht von Barzahlungen über Einkaufsgutscheine bis hin zu Sachprämien wie der besagten Kaffeemaschine. Immerhin: Zum Teil sponsern die Kassen auch zusätzliche Gesundheitsleistungen, für deren Kosten sie normalerweise nicht aufkommen würden.
Faule bleiben meistens faul
Ob diese Anreize tatsächlich Vorsorgemuffel in gesundheitsbewusste, mündige Patienten verwandeln, ist jedoch fraglich, denn mitunter kranken die Programme gleich an mehreren Fehlern.
Nicht ganz einfach ist es für Versicherte oft schon, sich überhaupt als Teilnehmer zu qualifizieren. Zwar stehen etliche Angebote allen Mitgliedern offen. Teilweise definieren die Kassen aber auch bestimmte Pflichtkriterien für die Teilnahme an bestimmten Programmen und verlangen zum Beispiel einen unauffälligen BMI oder Blutdruckwerte im Normbereich Auf diese Weise schließen sie ausgerechnet jene Klientel aus, die es ganz besonders nötig hätte, etwas für ihre Gesundheit zu tun, nämlich die dicken, inaktiven Couch-Potatos. Die ohnehin schon gesundheitsaffinen Versicherten hingegen nehmen die Prämien gerne. Sie lassen sich für etwas belohnen, dass sie ohnehin schon tun, etwa Sport treiben oder zur Vorsorge gehen. Damit ist das Geld für die Prämien futsch, ohne dass der Gesundheitszustand der Versichertengemeinschaft sich nennenswert verbessert hätte.
Erschwerend kommt hinzu, dass eine echte Zielgruppenansprache kaum stattfindet. Zwar gibt es Programme, die nur Kindern und Jugendlichen bzw. Senioren offenstehen. Das Gros der Modelle verlangt allerdings allen Beteiligten dieselben Anstrengungen ab – auch das begünstigt Mitnahmeeffekte bei den ohnehin schon Aktiven, statt Vorsorgemuffel gezielt aus ihrer Komfortzone zu locken.
Fazit: Statt die Prävention und Vorsorge wirklich voranzubringen, erweisen sich die Bonusprogramme vor allem als Marketinginstrumente, mit denen die Kassen um gute Risiken buhlen. Eine Diskussion, wie sinnvoll das Geld hier eingesetzt ist, ist überfällig.
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