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Die medizinische Versorgung in Deutschland steht vor einer Zerreißprobe: Laut einer repräsentativen Befragung der Bertelsmann Stiftung und der Universität Marburg plant rund ein Viertel der Hausärztinnen und Hausärzte, ihren Beruf in den nächsten fünf Jahren aufzugeben. Diejenigen, die ihren Beruf weiter ausüben möchten, wollen ihre Wochenarbeitszeit bis 2030 durchschnittlich um zweieinhalb Stunden reduzieren.

Die wichtigsten Ergebnisse der Bertelsmann-Umfrage unter 3.700 Hausärztinnen und Hausärzten

Die zentralen Ergebnisse der Studie im Überblick:

  • 25 % der Hausärztinnen und Hausärzte planen, innerhalb von fünf Jahren aufzuhören.

  • Die verbleibenden Niedergelassenen wollen ihre Wochenarbeitszeit bis 2030 um durchschnittlich 2,5 Stunden senken.

  • Schon heute sind über 5.000 Hausarztsitze unbesetzt – Tendenz steigend.

  • Der derzeitige Wochendurchschnitt beträgt 44 Stunden Arbeitszeit, was deutlich über dem bundesweiten Schnitt liegt.

Befragt wurden deutschlandweit rund 3.700 Hausärztinnen und -ärzte, die Ergebnisse sind repräsentativ. Aus politischer Sicht kommen die Ergebnisse zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Denn laut Koalitionsvertrag soll der hausärztliche Sektor künftig eigentlich mehr Verantwortung übernehmen – insbesondere in der Steuerung der Patientenversorgung. Dafür fehlen allerdings die Kapazitäten: „Da der Nachwuchs diese Entwicklungen nur teilweise kompensieren kann, droht sich die Anzahl der fehlenden Hausärztinnen und -ärzte in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln“, heißt es in der Mitteilung der Bertelsmann Stiftung. Schon heute sind über 5.000 Hausarztsitze unbesetzt.

Trübe Zukunftsaussichten für verbleibende Hausärzte

Für Praxisinhaber mit mittel- und langfristiger Perspektive bedeuten diese Zahlen nach Einschätzung der Studienleiter nichts Gutes. Im Gegenteil: Ihnen könnten nicht nur harte Zeiten mit steigender Belastung im Praxisalltag, sondern auch ökonomische Risiken im Hinblick auf Nachfolgesuche, Teamorganisation und die Delegation ärztlicher Aufgaben, bevorstehen.

Laut Experten der Bertelsmann Stiftung muss die Prognose aber nicht automatisch zu tatsächlichen Einbußen in der hausärztlichen Versorgung führen: "Wichtig wird sein, wie viel Zeit dem Hausarzt und der Hausärztin effektiv für die Arbeit am Patienten zur Verfügung steht. Hier gilt es, bislang ungenutzte Potenziale zu heben“, sagt Uwe Schwenk, Director Gesundheit bei der Bertelsmann Stiftung.

Hausärzte: Wie viel Zeit für welche Aufgaben?

Aber wo genau versteckt sich dieses Potenzial? Den Befragungsdaten zufolge wenden die Hausärztinnen und -ärzte rund 80 Prozent ihrer Arbeitszeit für Sprechstunden und Hausbesuche auf. Den Rest verbringen sie mit Verwaltungsaufgaben, Fortbildungen oder sonstigen Tätigkeiten.

Wie die Umfrage verdeutlicht, würden viele der befragten Niedergelassenen gerne mehr Verantwortung an ihr qualifiziertes nichtärztliches Personal abgeben. Besonders Aufgaben wie Injektionen, das Verfassen von Reha-Berichten oder die Betreuung chronisch Kranker könnten ihrer Meinung nach gut durch MFA oder spezialisierte Pflegekräfte übernommen werden. Zudem könnten einige Aufgaben auch auf andere, nichtärztliche Berufsgruppen im Gesundheitswesen übertragen werden – etwa speziell dafür ausgebildete medizinische Fachangestellte oder Pflegekräfte. Sieben von zehn befragten Hausärztinnen und -ärzten schätzen das damit verbundene Entlastungspotenzial als „groß“ ein. Hier ist laut Bertelsmann-Stiftung vor allem der Gesetzgeber am Zug, der die Delegationsgrenzen insgesamt rechtssicher und bundesweit einheitlich gestalten müsse.

Was gilt bei Delegation ärztlicher Aufgaben?

Die Übertragung von Aufgaben an nichtärztliches Personal in Hausarztpraxen ist in einigen Bereichen rechtlich zulässig, unterliegt jedoch klaren Grenzen. Grundsätzlich gilt: Die ärztliche Verantwortung verbleibt immer bei der approbierten Ärztin oder dem approbierten Arzt. Erlaubt ist die Delegation, nicht jedoch die vollständige Substitution ärztlicher Leistungen. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet § 28 SGB V.

Delegierbar sind z.B.:

  • Impfungen nach ärztlicher Anordnung

  • Blutentnahmen, EKG, Lungenfunktionstests

  • Wundversorgung

  • Hausbesuche durch MFA im Rahmen organisierter Versorgungsstrukturen

Nicht erlaubt:

  • Diagnosestellung

  • Therapieentscheidung

  • Aufklärung und Indikationsstellung

Primärarztsystem würde zusätzliche Herausforderungen schaffen

Eine weitere Herausforderung für Hausärzte dürfte laut Bertelsmann-Stiftung das im Koalitionsvertrag geplante Primärarztsystem werden. Demnach sollen Hausärztinnen und -ärzte künftig noch stärker als Dreh- und Angelpunkt für das Gesundheitsmanagement ihrer Patienten fungieren sowie den Zugang zu Facharztpraxen verbindlich koordinieren. "Es ist grundsätzlich notwendig und sinnvoll, die Patientenströme besser zu steuern. Wenn Hausärztinnen und Hausärzte diese Aufgabe übernehmen, kostet sie das jedoch Zeit. Deshalb wird es wichtig sein, sie gleichzeitig an anderen Stellen so viel wie möglich zu entlasten“, sagt Schwenk. Eine Entlastungsmöglichkeit sieht er darin, Aufgaben wie Terminmanagement, Befundaustausch, Diagnostik und Behandlungsabläufe künftig stärker zu digitalisieren.

Digitalisierung: Lösung oder tägliches Problem in Hausarzt-Praxen?

Eine stärkere Digitalisierung der Praxen setzt allerdings auch eine funktionierende IT voraus. In der Realität haben Hausärzte und MFA jedoch regelmäßig mit technischen Problemen zu kämpfen. So berichtet rund ein Viertel der Befragten, dass Software-Probleme bei ihnen nahezu täglich die Praxis- und Behandlungsabläufe beeinträchtigen. Weitere 17 % erleben dies mehrmals pro Woche. Fazit der Stiftung: Andauernde technische Probleme gefährden nicht nur den Versorgungsauftrag, sondern sorgen auch für wachsende Frustration in den Praxisteams.

Ausstieg nicht alternativlos – aber an Bedingungen geknüpft

Zum Glück sieht die Zukunft der Hausärzteschaft nicht komplett düster aus: Viele der ausstiegswilligen Ärztinnen und Ärzte würden unter bestimmten Bedingungen doch länger im Beruf bleiben. Laut Studie wünschen sich die meisten vor allem weniger Bürokratie und eine deutliche Reduktion administrativer Aufgaben. Zudem werden flexiblere Arbeitszeitmodelle und mehr Teamarbeit als Voraussetzungen genannt, um in der Versorgung zu verbleiben.

Schwenk unterstreicht: „Um die hausärztliche Versorgung zu sichern, müssen die notwendigen Digitalisierungsmaßnahmen gelingen, unnötige Arztbesuche reduziert sowie neue Formen der fachübergreifenden Zusammenarbeit etabliert werden.“ Denn die Ergebnisse der Studie machen einmal mehr deutlich: Der Hausärztemangel ist nicht nur eine Frage des demografischen Wandels, sondern vor allem eine Folge struktureller Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem.

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