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Allgemeinmedizin

Damit Menschen ihr Verhalten steuern können, müssen sie in der Lage sein, gedankliche Assoziationen zwischen neutralen, äußeren Reizen und darauf folgenden Konsequenzen herzustellen. Ein Beispiel für diese Art des Lernens ist die Pawlow’sche Konditionierung. Durch dieses assoziative Lernen bilden sich neuronale Verknüpfungen im Gehirn, die die Motivation steuern. Das geht überwiegend von dopaminergen Neuronen im Mittelhirn aus. In dieser Hirnregion befinden sich viele Rezeptoren für körpereigene Hormone, wie zum Beispiel Insulin. Dadurch kann sie das Verhalten an die individuellen physiologischen Bedürfnisse des Körpers anpassen, zum Beispiel die Nahrungsaufnahme.

Niedrigere Insulinsensitivität bei Übergewichtigen

Menschen mit Adipositas haben einen veränderten Energiestoffwechsel und ihre Zellen reagieren häufig weniger empfindlich auf Insulin. Inwieweit sich die Insulinsensitivität der Zellen auf die Fähigkeit des assoziativen Lernens auswirkt, haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln, unter Leitung von Prof. Dr. Marc Tittgemeyer, untersucht. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie vor kurzem in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

An der Studie haben 30 normalgewichtige Teilnehmer mit hoher Insulinsensitivität und 24 übergewichtige Menschen mit verminderter Insulinsensitivität teilgenommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei den übergewichtigen Teilnehmern die Fähigkeit des Gehirns, Assoziationen zwischen sensorischen Reizen zu bilden, gestört war.

Verminderte Insulinsensitivität reduziert das Lernvermögen

Die Teilnehmer erhielten am ersten Abend eine Spritze des GLP-1-Agonisten Liraglutid und am zweiten Abend eine Placebospritze. Liraglutid aktiviert die GLP-1-Rezeptoren. Es fördert die Insulinsekretion und Insulinsynthese, verlangsamt die Magenentleerung und führt zu einem Sättigungsgefühl nach dem Essen. Das Medikament wird als Reservetherapeutikum bei Typ-2-Diabetes und zur Behandlung von Adipositas eingesetzt.

Am nächsten Morgen bekamen alle Teilnehmer eine Lernaufgabe, bei der es galt, Assoziationen zwischen akustischen und visuellen Reizen zu erlernen. Die Aufgabenleistung unterschied sich innerhalb der beiden Teilnehmer-Gruppen nicht signifikant. Allerdings war unter Placebo-Bedingungen die Lernrate der Teilnehmer mit niedriger Insulinsensitivität deutlich geringer als die der anderen Teilnehmer.

Nur eine Liraglutid-Gabe erhöht die assoziative Lernfähigkeit

Interessant waren die Ergebnisse nach Liraglutid-Gabe. Bei den Teilnehmern mit beeinträchtigter Insulinsensitivität verbesserte Liraglutid die Lernrate, wohingegen es die Lernrate der Teilnehmer mit normaler Insulinsensitivität reduzierte. Dadurch glichen sich die Lernraten der beiden Gruppen an und wiesen keinen nennenswerten Unterschied mehr auf.

Diese Ergebnisse sind von grundlegender Bedeutung. Wir zeigen hier, dass grundlegende Verhaltensweisen wie das assoziative Lernen nicht nur von äußeren Umweltbedingungen abhängen, sondern auch vom Stoffwechselzustand des Körpers. Ob jemand Übergewicht hat oder nicht, bestimmt also auch, wie das Gehirn lernt, sensorische Signale zuzuordnen und welcher Antrieb dabei entsteht“, sagt Studienleiter Tittgemeyer.

Dr. Ruth Hanßen, Ärztin in der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin der Uniklinik Köln und Erstautorin der Studie, ergänzt: „Während es erfreulich ist, dass die verfügbaren Medikamente einen positiven Einfluss auf die Hirnaktivität bei Adipositas haben, ist es aber erschreckend, dass es schon bei jungen Menschen mit Adipositas ohne sonstige Erkrankungen zu Leistungsveränderungen des Gehirns kommt. Die Prävention von Adipositas sollte in Zukunft eine viel größere Rolle in unserem Gesundheitssystem spielen.“