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Medizin

Borderline wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus

Ungefähr 2 von 100 Menschen sind von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) betroffen. Die Patienten leiden häufig unter emotionaler Instabilität, Impulsivität und innerer Leere. Viele verletzen sich selbst, haben suizidale Gedanken und tun sich schwer damit stabile, soziale Beziehungen aufzubauen. In der Vorgeschichte haben viele Betroffene sexuelle, physische oder verbale Gewalt erfahren oder wurden vernachlässigt. Die Erkrankung entwickelt sich meistens im Jugendalter und wird deutlich häufiger bei Frauen diagnostiziert.

Evidenzbasierte, einheitliche Behandlungsempfehlung

Bisher wurden Patienten mit BPS oft nach einer Leitlinie aus dem Jahr 2009 behandelt, die noch keine spezifischen Therapieoptionen empfahl. Eine Expertengruppe aus 23 interdisziplinären Fachgesellschaften erarbeitete jetzt unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V (DGPPN) eine neue, wissenschaftlich basierte S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der BPS.

Borderline-spezifische Behandlungsangebote

Die Leitlinie empfiehlt eine strukturierte, auf die Symptome der BPS ausgerichtete Psychotherapie durch speziell ausgebildete Therapeuten. Vor allem die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan und die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) nach Anthony Bateman und Peter Fonagy haben sich als besonders wirksam erwiesen, wenn die Reduktion von selbstverletzendem oder suizidalem Verhalten im Vordergrund steht.

Die Behandlungen sollen vorwiegend ambulant stattfinden. Stationäre oder teilstationäre Behandlungen werden nur zur kurzzeitigen, psychiatrischen Krisenintervention empfohlen oder im Rahmen eines längeren, aber zeitlich definierten, spezifischen BPS-Behandlungsprogramms.

Behandlungen mit Medikamenten werden nicht als Primärtherapie empfohlen. Sie können aber zeitlich begrenzt, ergänzend zu einer Psychotherapie, verordnet werden, um umschriebene Symptome zu behandeln. Auch im Krisenfall kann der kurzzeitige Einsatz von Medikamenten nötig sein.

Offener Umgang mit der Diagnose und Einbindung Angehöriger

Die neue Leitlinie rät zu Offenheit den Betroffenen gegenüber. Ebenso wie bei anderen Erkrankungen, sollen die Patienten und mit deren Zustimmung auch ihre Angehörigen die Diagnose erfahren, sobald sie feststeht. Aufklärung der Betroffenen über Therapien und Psychoedukation gelten als wichtige Grundpfeiler der Behandlung. Eltern mit BPS sollen so früh wie möglich besondere Unterstützung erhalten, die ihre Erziehungskompetenzen und ihr Bindungsverhalten stärkt. Auch Familienangehörige und Partner von Erkrankten sollen professionelle Hilfsangebote bekommen und zum Beispiel dazu beraten werden, welche Verhaltensweisen hilfreich im Umgang mit den Betroffenen sind.

Behandlung bereits in jungen Jahren einleiten

Bisher wurde die Diagnose BPS frühestens mit 18 Jahren gestellt und auch erst dann therapiert. Inzwischen weiß man aber, dass schon Jugendliche borderlinetypische Auffälligkeiten zeigen. Häufig liegen drei bis vier der Diagnosekriterien vor, wie zum Beispiel Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen. Um einer Chronifizierung der Symptome entgegenzuwirken, sind sich die Experten einig, dass eine frühzeitige Behandlung wichtig ist. Je eher die betroffenen Jugendlichen fachgerechte Unterstützung bekommen, desto größer sind ihre Chancen, neue Verhaltensweisen zu erlernen, um ihre Schwierigkeiten zu bewältigen.

Deshalb empfiehlt die Leitliniengruppe, dass die Diagnose BPS schon ab einem Alter von zwölf Jahren vergeben werden soll, sofern die diagnostischen Kriterien erfüllt sind.

Leitlinien sind Handlungsempfehlungen

„Leitlinien sind systematisch entwickelte Aussagen, die den gegenwärtigen Erkenntnisstand wiedergeben, um die Entscheidungsfindung von Ärzt*innen sowie Angehörigen von weiteren Gesundheitsberufen und Patient*innen/Bürger*innen für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen”, definiert die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF). Sie geben Handlungs- und Entscheidungsempfehlungen, sind aber nicht rechtlich bindend.