Haarverlust nach Chemo: Effektive Methode bis heute vernachlässigt

Zehn Prozent der Frauen mit Krebs lehnen eine Chemotherapie ab, obwohl sie diese dringend benötigen. Der Grund: Haarverlust. Es gibt Methoden, die diesen Verlust verhindern können. Erstattet werden sie jedoch nicht.
Eine Chemotherapie zerstört nicht nur Tumorzellen, sondern zieht auch gesunde Zellen in Mitleidenschaft. Das gilt etwa für Haar- und Nagelwurzelzellen. Gerade Frauen machen die äußerlich sichtbaren Anzeichen der Therapie wie Haarausfall schwer zu schaffen.
Wie funktioniert das Scalp Cooling gegen Haarverlust?
Das Prinzip der Kopfhautkühlung zur Vorbeugung des Haarverlusts ist nicht neu. Bereits in den siebziger Jahren gab es dazu erste Untersuchungen.
Wesentlicher Bestandteil ist eine Silikonkappe, die Patienten während der intravenösen Verabreichung der Chemotherapie tragen. Mithilfe dieser Kappe wird die Kopfhaut in einer ersten Kühlungsphase konstant und flächendeckend gekühlt. Durch die Kälte tritt eine Konstriktion der örtlichen Blutgefäße auf, wodurch das anschließend infundierte Chemotherapeutikum nur noch im geringen Maße im Bereich der Haarwurzel absorbiert wird.
Die Methode wird in zahlreichen europäischen Ländern durchgeführt. Vorreiter sind Großbritannien und Nordirland (UK) sowie die Niederlande. Aktuell sind in Deutschland 83 Systeme im Einsatz. Nicht nur das National Comprehensive Cancer Network (NCCN) hat eine Empfehlung der Kategorie 2A für das Scalp Cooling ausgesprochen, auch die European Society for Medical Oncology (ESMO) bestätigt den Nutzen mit einer Empfehlung der Kategorie 2B.
Studien bestätigen den Nutzen des Scalp Cooling
Mittlerweile haben zahlreiche Studien, darunter auch prospektive randomisierte Analysen, die Effektivität des Scalp Coolings bewiesen. Die meisten Daten liegen von Patientinnen mit Mammakarzinom oder Ovarialkarzinom vor, aber auch die Ergebnisse von Patienten mit Prostata- oder Lungenkarzinom waren erfolgversprechend.
Aktuelle Daten von Patientinnen mit Brustkrebs sind positiv
In eine aktuelle prospektive Studie wurden 178 Brustkrebspatientinnen eingeschlossen, die während einer (neo)adjuvanten Chemotherapie mit einem Kopfhautkühlgerät behandelt wurden.
Die Behandlungsschemata umfassten entweder eine Chemotherapie auf Anthrazyklin- und Taxanbasis (68,1 %), Docetaxel und Cyclophosphamid (25,8 %), Anthrazyklin- und Taxanbasis plus Carboplatin (3,9 %) oder Paclitaxel allein (2,2 %). In 25,3 Prozent der Fälle verwendete man ein dosisdichtes Schema. Insgesamt lag die Erfolgsquote bei 68,0 Prozent (100 % bei Paclitaxel allein, 87,0 % bei Docetaxel-Cyclophosphamid, 59,5 % Anthrazyklin und Taxan und 71,4 % in der Gruppe mit dem sequentiellen Schema plus Carboplatin). Es wurde in Bezug auf den Haarerhalt kein Unterschied zwischen dem dosisdichten und dem Standardschema festgestellt (p = 0,557). 50 Patientinnen (28,1 %) beendeten vorzeitig die Kopfhautkühlung. 70,2 % der Patientinnen waren mit dem Gerät zufrieden.
Befürchtungen vor Metastasenbildung in der Kopfhaut bisher unbegründet
Diese große prospektive Studie bekräftigt erneut die Effizienz des Kopfhautkühlsystems zur Vorbeugung von Alopezie bei Patientinnen mit Brustkrebs, die sich einer Chemotherapie mit Anthrazyklinen und Taxanen unterziehen. Der zeitliche Aufwand für das Praxispersonal beträgt ca. 30 Minuten. Befürchtungen, dass das Scalp-Cooling die Bildung von Metastasen in der Kopfhaut begünstigen könnte, bestätigten sich bisher nicht.
Aktuell keine Erstattung des Scalp Cooling
Trotz des großen „unmet need“ gewähren die Krankenkassen derzeit noch keine Kostenerstattung für das Scalp Cooling. Die Finanzierung erfolgt durch IGeL-Leistung oder über Studienregister. Möglich ist, einen entsprechenden Einzelantrag zu stellen. Die Genehmigung erfolgt nur dann, wenn mit der Therapie noch nicht begonnen wurde. Für die Finanzierung des Scalp Coolings wird jetzt eine Anfrage beim G-BA gestellt.
Quelle: u.a. NCCN; Breast Cancer version 1.2019 und Ovarian cancer Version 1.2020, nccn.org, Lacouture ME et al. ESMO Clinical Practice Guidelines. Annals of Oncology 2021;32(2):157–170, carbognin L et al. Curr Oncol 2022;29(10):7218–7228

Bettina Brincker

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