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Medizin

Immobilität zählt zu den größten Risikofaktoren für eine venöse Thromboembolie mit potenziell lebensbedrohlichen Folgen. Ein erhöhtes Thromboserisiko tragen beispielsweise Menschen, die über Wochen bettlägerig sind. Bei Querschnittsgelähmten ist diese Gefahr nach der Akutphase der Verletzung gebannt – ebenso wie bei Braunbären im Winterschlaf.

Diesem Paradoxon ist jetzt ein internationales Forschungsteam um Dr. Tobias Petzold vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Prof. Matthias Mann, Direktor des Max-Planck-Institutes für Biochemie in Martinsried, auf den Grund gegangen. Die Ergebnisse ihrer kürzlich veröffentlichten Studie liefern einen Ansatzpunkt für die Entwicklung von präventiven Therapien für immobilisierte Akutpatienten.

Spurensuche in Blutproben von Braunbären

Im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit Prof. Ole Fröbert vom Universitätskrankenhaus im schwedischen Örebro reisten die Forschenden einmal im Sommer und einmal im Winter nach Mittelschweden. Dort wird eine Population von Braunbären seit mehr als zehn Jahren untersucht. Mittels GPS-Sender machten die Studienautorinnen und -autoren die Tiere ausfindig, sedierten sie und entnahmen ihnen Blut. Im Anschluss haben sie die Bären wieder in die Wildnis entlassen.

Die frischen Proben wurden innerhalb von drei bis vier Stunden in einem mobilen Labor analysiert. Dabei zeigten sich auf den ersten Blick keine relevanten Unterschiede zwischen Proben, die im Sommer und Winter entnommen wurden. Eingehendere Analysen zu einem späteren Zeitpunkt zeigten jedoch, dass bei Braunbären im Winterschlaf die Interaktion zwischen Blutplättchen und Entzündungszellen des Immunsystems gehemmt wird.

Protein reguliert Interaktion mit Blutplättchen

Um die molekularen Mechanismen dahinter aufzudecken, begab sich das Team auf die Suche nach veränderten Proteinen im Blut der Braunbären. Dazu führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Massenspektroskopie-basierte Proteomik durch. Dabei identifizierten sie 71 Blutplättchen-Proteine, die bei Bären während des Winterschlafs hochreguliert werden, und 80 Blutplättchen-Proteine, die herunterreguliert werden.

Den größten Unterschied zwischen überwinternden und aktiven Bären wies das Hitzeschockprotein 47 (HSP47) auf, welches Entzündungszellen aktivieren kann. HSP47 war bei Bären im Winterschlaf um das 55-fache herunterreguliert. Daraus erklärt sich auch die verminderte Interaktion zwischen Blutplättchen und Entzündungszellen, welche die Tiere vor Thrombose schützt.

Evolutionär konservierter Thrombose-Schutz

Die Herabregulation von HSP47 unter länger anhaltender Immobilisation findet auch in anderen Säugetieren, wie Mäusen und Menschen statt. Die Forschenden konnten sie unter anderem bei querschnittsgelähmten Probandinnen und Probanden beobachten, die an einer Studie der Deutschen und Amerikanischen Raumfahrtbehörden teilnahmen und hierfür drei Wochen lang Bettruhe einhielten.