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Arbeitsrecht
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Die Tage werden kürzer – und die Wartezimmer voller. In vielen Arztpraxen husten und schniefen die Menschen derzeit wieder um die Wette. Auch Grippe und COVID-19 dürften in den kommenden Wochen und Monaten gehäuft auftreten. Und zwar nicht nur bei Patienten, sondern auch beim Personal.

Normalerweise sollten solche Infektionen zwar nach etwa einer Woche abgeklungen und die Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig sein. Dennoch belasten solche Fehlzeiten den Arbeitgeber sowohl bei der Praxisorganisation als auch finanziell. Denn auch wenn im deutschen Arbeitsrecht normalerweise der Grundsatz gilt „Ohne Arbeit kein Lohn“ – im Fall von unverschuldeten Krankheiten gilt eine Ausnahme. Danach erhalten Arbeitnehmer pro Krankheitsfall bis zu sechs Wochen lang das normale Entgelt (§ 3 Abs. 1 EFZG). Zusätzliche Probleme ergeben sich, wenn sich an die erste eine zweite und womöglich eine dritte Krankschreibung anschließt und der Arbeitnehmer dadurch mehr als sechs Wochen ausfällt. 

In diesem Fall stellt sich aus arbeitsrechtlicher Sicht die Frage, ob die gesundheitlichen Probleme als einheitlicher Krankheitsfall zu werten sind oder ob sich unterschiedliche Krankheiten aneinanderreihen.  Noch komplizierter wird es, wenn sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) eines Arbeitnehmers nicht aneinanderreihen, sondern überlappen. 

Komplexe Unterscheidungen

In der ersten Variante (einheitlicher Krankheitsfall) müsste der Praxischef nach sechs Wochen keine Entgeltfortzahlung mehr leisten. In der zweiten (unterschiedliche Krankheiten folgen direkt aufeinander) sehr wohl. In der dritten Variante, also wenn (unterschiedliche) Krankheiten ineinander übergehen, wäre der Praxischef wiederum nach sechs Wochen von der Zahlungspflicht befreit.

Fortsetzungserkrankungen bilden Ausnahme

Davon gibt es jedoch Ausnahmen. Zum Beispiel dann, wenn es sich bei der neuen Erkrankung um eine Fortsetzung der alten handelt. Das ist der Fall, wenn trotz verschiedener Krankheitssymptome die neue Arbeitsunfähigkeit auf demselben, nicht behobenen Grundleiden beruht. Beispiele für eine solche Fortsetzungserkrankung sind etwa:

  • eine rheumatische Grunderkrankung, die immer wieder zu akuten Erkrankungen führt (z. B. Augenentzündungen, Blasenentzündungen)

  • eine nicht ausgeheilte Lungenentzündung

In diesem Fall endet die Pflicht zur Entgeltfortzahlung sechs Wochen nach Beginn der ersten Erkrankung. Der Chef muss hier nur dann Lohn für die Dauer von maximal sechs Wochen weiterzahlen, wenn der Mitarbeiter vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung mindestens zwölf Monate vergangen sind. „Dieselbe Krankheit“ bedeutet allerdings nicht „die gleiche Krankheit“. Bricht sich eine Mitarbeiterin zweimal innerhalb von zwölf Monaten das Bein, handelt es sich natürlich nicht um dieselbe Erkrankung.

So sieht es das Bundesarbeitsgericht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wertet aufeinanderfolgende Erkrankungen, die ohne Gesundung eintreten, in der Regel als einheitlichen Verhinderungsfall (11.12.2019, BAG, Az. 5 AZR 505/18). Ein einziger Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer gesund ist und in der Praxis erscheint, kann jedoch genügen, um den alten Verhinderungsfall zu beenden und einen neuen Fortzahlungsanspruch auszulösen (25.05.2016, BAG, Az. 5 AZR 318/15).

Schon diese Unterscheidungen genügen, um selbst erfahrenen Juristen den Schweiß auf die Stirn zu treiben. In der Praxis stellt sich nur leider noch ein anderes Problem: Arbeitgeber erfahren in der Regel nicht, warum ein Arbeitnehmer ausfällt. Denn die AU enthalten keine Diagnose, sondern besagen nur, wie lange der oder die Betreffende voraussichtlich ausfällt.

Handlungsoptionen für Arbeitgeber

Überschreitet die Krankheitsdauer sechs Wochen (die Zeit, für die normalerweise eine Entgeltfortzahlung zu leisten ist), muss der Arbeitgeber also irgendwie erfahren, woran sein Mitarbeiter leidet. Nur so kann er entscheiden, ob er weiterzahlen muss oder nicht. Um diese Auskunft zu erhalten, stehen ihm unterschiedliche Wege offen, je nachdem, wo der betreffende Mitarbeiter krankenversichert ist. Geht es zum Beispiel um eine MFA, ist das Vorgehen vergleichsweise einfach. Da nicht-ärztliches Personal in der Regel gesetzlich versichert ist, profitieren ärztliche Arbeitgeber hier von den umfassenden sozialen Sicherheiten im Kassensystem. Dort erhalten Arbeitnehmer Krankengeld, wenn sie länger als 43 Tage krank sind und deshalb kein Geld mehr vom Arbeitgeber bekommen. Dafür muss die Kasse natürlich prüfen, ob eine einheitliche Krankheit vorliegt oder mehrere, unabhängige Gesundheitsprobleme.

Ein Praxischef, der wissen will, ob er noch in der Pflicht ist, kann sich also vertrauensvoll an die Krankenkasse des erkrankten Mitarbeiters wenden. Erhält dieser Krankengeld, ist der Arbeitgeber außen vor. Zahlt die Krankenkasse hingegen kein Krankengeld, spricht dies dafür, dass der Praxischef weiterzahlen muss.

Bei Privatpatienten, bei denen es kein Krankengeld gibt, haben Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit der externen Einschätzung nicht. Wenn der privatversicherte Arbeitnehmer seine Ärzte also nicht von der Schweigepflicht entbindet, müssen Arbeitgeber selbst entscheiden, ob sie weiterzahlen oder die Leistung einstellen. 

Dennoch ist der Unterschied zwischen den Systemen kleiner, als es scheint. Denn die Einschätzung der Kassen ist keineswegs bindend für Arbeitgeber. Der Grund: Krankenkassen bewerten ihre Leistungspflicht auf Grundlage des Sozialrechts. Die Pflichten von Arbeitgebern regelt aber das Arbeitsrecht, das andere Standards setzt. Sollte es also zum Streit über die Entgeltfortzahlung kommen (etwa weil der Chef die Zahlungen einstellt und der Arbeitnehmer klagt), prüfen die Arbeitsgerichte, ob ein einheitlicher oder neuer Krankheitsfall vorliegt. Positiv für Praxischefs: In solchen Verfahren muss der Arbeitnehmer beweisen, dass ihm auch nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist Gehalt zusteht, weil er an einer neuen, eigenständigen Erkrankung leidet.

Abgestufte Beweislast vor Gericht

Im ersten Schritt muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu reicht es, wenn er seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegt. Bestreitet der Arbeitgeber nun, dass eine neue Erkrankung vorliegt, und will er den Arbeitsausfall als einheitlichen Krankheitsfall verstanden wissen, muss der Arbeitnehmer das entkräften. Dazu muss er, bezogen auf den gesamten Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestanden und wie die sich auf seine Arbeitsfähigkeit auswirkten. Zusätzlich muss er seine Ärzte von der Schweigepflicht entbinden (18.01.2023, BAG, Az. 5 AZR 93/22). Besonders erfreulich aus Arbeitgebersicht: Die Erfurter Richter entschieden im konkreten Fall auch, dass der Datenschutz einem solchen Vorgehen nicht entgegensteht.

U1-Umlage für die Praxen – Was ist das?

Die U1-Umlage ist eine Pflichtversicherung, die kleine Arbeitgeber bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finanziell entlastet. Arbeitgeber mit bis zu 30 Beschäftigten müssen verpflichtend am U1-Verfahren teilnehmen. Sie zahlen monatlich einen Umlagesatz an die jeweilige Krankenkasse ihrer Mitarbeiter.

So funktioniert's: Wenn eine Arbeitnehmerin (z.B. MFA) krankgeschrieben ist, muss der Praxisinhaber als Arbeitgeber ihr für bis zu sechs Wochen das Gehalt weiterzahlen. Diese Verpflichtung besteht nach vier Wochen Betriebszugehörigkeit.

Erstattung im Krankheitsfall: Im Gegenzug erstattet die Krankenkasse auf Antrag einen Teil der Entgeltfortzahlung. Der Arbeitgeber kann zwischen verschiedenen Erstattungssätzen wählen – in der Regel zwischen 40% und 80%. Der Standardsatz liegt bei den meisten Krankenkassen bei 70%.

Wichtig: Je höher der gewählte Erstattungssatz, desto höher ist auch die monatlich zu zahlende Umlage. Die Wahl des Erstattungssatzes kann jährlich zum Jahresbeginn geändert werden.

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