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Medizinrecht

Manchmal muss man sich einfach auf sein Bauchgefühl verlassen.“ Dr. med. Beate P. (Name der Redaktion bekannt) schüttelt den Kopf. Gerade ist ihr ein Anwaltsbrief in die Praxis geflattert. Angeblich hat sie einem Mann die Behandlung verweigert und damit Schuld an einem zu spät erkannten Apoplex.

„Der Vorwurf ist absurd“, sagt Dr. P. Sie erinnert sich gut an den Patienten, der sich an einem heißen Sommertag wegen Übelkeit zum ersten Mal in ihrer Praxis vorstellte. Der Mann war agitiert, aber er sprach in vollständigen Sätzen und zeigte – außer einem dramatisch hohen Blutdruck – keine Auffälligkeiten. Angesichts seines fahrigen Verhaltens entschied sich die Hausärztin jedoch dazu, auf Nummer sicher zu gehen, und verwies den Mann zur umfassenden neurologisch-internistischen Untersuchung in eine nahe gelegene Klinik. „Ich habe dem Mann noch angeboten, ihn dorthin fahren zu lassen, und die Kollegen in der Klinik über seine Ankunft informiert“, so die Allgemeinmedizinerin. Dieses Angebot lehnte er aber ab. Seine Frau warte mit dem Auto vor der Tür und könne ihn in die Klinik fahren.

Patient mit Schlaganfall lässt sich Zeit

Mit der dringenden Bitte, den direkten Weg zu nehmen, verabschiedete Dr. P. den Mann. Irgendwas verursachte jedoch ein Störgefühl. Sie dokumentierte den Gesprächsinhalt extrem penibel. Erst dann wandte sie sich ihren anderen Patienten zu. Drei Stunden später kontaktierte sie nochmals die Klinik und erfuhr zu ihrer Überraschung, dass der Mann gerade erst dort vorstellig geworden sei. Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich einen leichten Schlaganfall erlitten hatte – die Überweisung war also goldrichtig gewesen. Mit einem Dankeschön hatte die Ärztin zwar ebenso wenig gerechnet wie mit einem Anwaltsschreiben. Aus allen Wolken gefallen sei sie aber nicht, so die Medizinerin. „Man entwickelt über die Jahre ein gutes Gefühl, welche Menschen potenziell Ärger verursachen. Und dieses Gefühl habe sich bei ihrem Schlaganfallpatienten deutlich bemerkbar gemacht. Wohl auch deshalb hat sich Dr. P. direkt im Anschluss an den Termin an eine extrem ausführliche Dokumentation gesetzt. Einer etwaigen Klage sehen sie und ihr Anwalt mit Gelassenheit entgegen. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich kann belegen, welche Schritte ich zur Versorgung des Patienten unternommen habe, und die Kollegen in der Klinik bestätigen, dass sich der Mann deutlich später dort vorgestellt hat als angekündigt. Das sollte reichen, um vor Gericht zu gewinnen“, hofft sie.

Was geschehen wäre, wenn sie den Fall weniger penibel dokumentiert hätte? Darüber will die Ärztin lieber nicht nachdenken. Für die Zukunft plant sie jedoch, die lästige Pflicht noch ernster zu nehmen als bisher. Wer weiß, ob man sich wirklich immer aufs eigene Bauchgefühl verlassen kann.

Gründliche Dokumentation ist das A und O

Die ärztliche Dokumentation erfüllt viele Aufgaben. Zum einen soll sie sicherstellen, dass bei Bedarf auch ein Kollege die medizinische Behandlung eines Patienten fachgerecht weiterführen kann. Ihre eigentliche Bedeutung aber entfaltet sie in Sachen Arzthaftung: Hier ist eine akribische Dokumentation von kaum zu überschätzender Bedeutung, wenn ein Patient (ungerechtfertigte) Vorwürfe gegen einen Arzt erhebt.

Eine unzureichende Dokumentation stellt zwar grundsätzlich noch keinen Behandlungsfehler dar. Sie kann für den Arzt aber negative Konsequenzen haben, weil sie eine Beweislastumkehr bewirkt. Denn sind für die Weiterbehandlung des Patienten wichtige und gebotene Maßnahmen und ihre Ergebnisse nicht dokumentiert, wird zu Lasten des Arztes angenommen, dass diese nicht dokumentierte Maßnahme auch nicht getroffen wurde.