Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Medizinrecht

Im Jahr 2018 hat der 121. Deutsche Ärztetag das berufsrechtliche Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert. Im Einzelfall soll danach eine Beratung und Behandlung über Fernkommunikationsmittel auch ohne persönlichen Erstkontakt möglich sein, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt gewahrt wird. Hierbei muss der Arzt oder die Ärztin insbesondere die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung und Dokumentation beachten.

§ 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte lautet nunmehr wie folgt: „Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließlich Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“

Diese Möglichkeiten nutzen inzwischen immer mehr Ärztinnen und Ärzte, da die Videosprechstunde vor allem in der aktuellen Corona-Krise eine segensreiche Möglichkeit der Behandlungsunterstützung war.

Aktuelles Urteil klärt, ob Ärzte für Fernbehandlung werben dürfen

Doch jetzt taucht in der Ärzteschaft häufiger die Frage auf, ob und wie Praxisinhaber aktiv für solche Fernbehandlungen werben dürfen? Eine aktuelle Gerichtsentscheidung des Oberlandesgericht München (Urteil vom 09.07.2020, Az. 6 U 5180/19) beschäftigte sich auch mit dieser Frage.

Im konkreten Fall war inhaltlich eine Werbung im Internet streitig, mit der eine Krankenversicherung einen digitalen Arztbesuch bei Schweizer Ärzten beworben hat. Der in der erstinstanzlichen Entscheidung zitierte Werbetext lautete unter anderem: „Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst. Vorbei ist die Zeit, in der du dich mit Schnupfen zum Arzt schleppen musstest. Ab jetzt erhältst du Diagnosen und Krankschreiben direkt über dein Smartphone. Ohne zusätzliche Kosten, wenn du bei o. versichert bist. (…) Warum du den digitalen Arztbesuch lieben wirst. Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“

Es soll hier ein Ärzteteam aus der Schweiz, die sogenannten eedoctors tätig werden, die nach der Entscheidung des Gerichts keine deutsche Approbation hatten. Das Gericht hat eine solche Form der Werbung untersagt. Ausgangspunkt der rechtlichen Frage ist § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) in der neuen Fassung ab dem 19. Dezember 2019. Das Gesetz gilt nicht nur für Werbung für Arzneimittel oder Medizinprodukte. Es ist auch für die Werbung für medizinische Behandlungen anwendbar. Dem Wortlaut des Gesetzes folgend, ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung), unzulässig.

Das gilt allerdings nicht für die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Entscheidend ist also zum einen die Frage, ob die Werbung für die Fernbehandlung als solche untersagt ist, und zum anderen, wenn dem nicht so ist, wie die Ausnahmeregelung in Absatz 2 des § 9 zu verstehen ist. Das Gericht hat hierzu ausgeführt, dass der Gesetzgeber auch mit der Neuregelung in § 9 HWG an der grundsätzlichen Wertung festhalten wollte, dass eine Werbung für Fernbehandlungen zunächst grundsätzlich untersagt sein soll. Hintergrund sei die Vermeidung von Gefahren für die Allgemeinheit, die mit einer solchen Werbung verbunden sei. § 9 HWG verbiete auch nicht die Fernbehandlung als solche, sondern lediglich die Werbung hierfür.

Im konkreten Fall untersagte das Gericht die Werbung

In dem aktuellen Fall kam es aber auf die Frage an, ob der Ausnahmetatbestand erfüllt ist. Dies ist auch für die ärztliche Praxis entscheidend. Derjenige, der für eine Fernbehandlung wirbt, muss also berücksichtigen, dass die Werbung dann möglich ist, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Dies war dem Gericht folgend hier nicht der Fall. Der Leitsatz des Gerichts lautet daher: „Eine Werbung für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuchs, wobei mittels einer App in Deutschland lebenden Patienten angeboten wird, über ihr Smartphone von Ärzten, die im Ausland sitzen, für nicht näher konkretisierte Behandlungsfälle und -situationen Diagnosen, Therapieempfehlungen und Krankschreibungen zu erlangen, wird von dem Ausnahmetatbestand des § 9 Satz 2 HWG nicht gedeckt, wonach ­vorausgesetzt wird, dass ein ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nach allgemein anerkannten Standards in den beworbenen Fällen nicht erforderlich ist.“

Die Krankenversicherung hatte ein digitales Primärversorgungssystem beworben, mit dem die in der Schweiz ansässigen Ärzte per App eine Alternative zum traditionellen Arztbesuch anbieten sollten und zwar in Form von Diagnose, Therapieempfehlung und Krankschreibung. Diese vollständige Ersetzung des Arztbesuchs in jedem nicht näher konkretisierten Fall sah das Gericht als problematisch an.

In der Begründung nimmt das Münchner Oberlandesgericht dann auch weiterhin Bezug auf § 7 Abs. 4 der Muster­berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte und die Begründung dieser Neuregelung, wonach der Grundsatz des persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts nach wie vor der Goldstandard sei, aber eine Beratung und Behandlung unter den dort genannten Voraussetzungen möglich sein soll, um den Patienten an dem technischen Fortschritt und den damit verbundenen Möglichkeiten teilhaben lassen zu können.

Werbung ist möglich, wenn kein persönlicher Arztkontakt nötig ist

Zusammengefasst dürfen Praxisinhaber also für Fernbehandlungen unter bestimmten Voraussetzungen werben. Sie müssen dabei allerdings die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung und die Ausnahmeregelung in § 9 Satz 2 des Heilmittelwerbegesetzes beachten, wonach sichergestellt sein muss, dass bei der Fernbehandlung ein persönlicher Kontakt des Arztes oder der Ärztin zu dem behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Der Autor: Dr. jur. Oliver Pramann
Fachanwalt für Medizinrecht
und Notar aus Hannover