Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Ärzte, die in Gerichtsverfahren als Gutachter auftreten, sind vielfach Anfeindungen ausgesetzt. Insbesondere darf jede Prozesspartei sie wegen der „Besorgnis der Befangenheit“ ablehnen – mit unerfreulichen Nebenwirkungen. Denn durch die Ablehnung verliert der Arzt regelmäßig jeden Honoraranspruch. Mehr als ärgerlich, wenn man bereits viel Zeit und Arbeit investiert hat.

Aus diesem Grund gibt es auch immer wieder Streit darüber, ob und wann ein Sachverständiger befangen ist – so auch unlängst vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden (Beschluss vom 02. November 2020 – 4 W 641/20).

Wieviel Diagnostik ist erforderlich?

Im konkreten Fall hatte ein Patient gegen eine Klinik geklagt. Er hatte wegen starker Kopfschmerzen deren Notaufnahme aufgesucht und war mit Schmerzmitteln behandelt worden – allerdings ohne, dass die diensthabenden Ärzte eine CT gefertigt hätten. Als die Beschwerden sich nicht besserten, suchte der Mann eine weitere Klinik auf. Dort wurde per CT eine Hirnblutung diagnostiziert. Die Mediziner führten daraufhin eine Liquordrainage durch, wenig später erfolgte eine Shunt-Anlage.

Trotz der Eingriffe leidet der Patient weiterhin unter partiellen Hirnleistungsminderungen und leichten Störungen der Aufmerksamkeit. Er verklagte daher die zuerst aufgesuchte Klinik auf Schadenersatz und Schmerzensgeld, da bei sachgerechter Behandlung weitergehende Schmerzen sowie die weiteren Folgeschäden mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten vermieden werden können.

Die Klinik hielt dagegen. Die Behandlung sei entsprechend dem Facharztstandard durchgeführt worden. Die Kopfschmerzen hätten nur eine mittlere Intensität aufgewiesen, daher sei dem Sorgfaltsmaßstab in der Notfallambulanz die durchgeführte Untersuchung und Diagnostik vertretbar gewesen.

Sprachliche Ungenauigkeit oder unzulässige Wertung?

Das Landgericht Dresden beauftragte den Arzt und Privatdozent Dr. C. H. mit der sachverständigen Begutachtung des Falles. Seine Einlassungen in dem Gutachten nahm die Klinik zum Anlass, ihn wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Dr. C.H. habe von einem „Ermittlungsverfahren“ gesprochen und schon bei der Aufzählung der zur Begutachtung herangezogenen Unterlagen negative Bewertungen zu ihren Lasten vorgenommen. Zudem habe der Sachverständige bei der Beurteilung einen Sachverhalt zugrunde gelegt, den der Patient so nicht vorgetragen habe, sondern der sich nur aus einer Anlage zu seinem Vortrag ergebe.

Ärzte sind keine Juristen

Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden folgte dem nicht (Az. 4 W 641/20). Zur Begründung führte es zunächst aus, medizinische Sachverständige dürften Rechtsbegriffe wie etwa den strafrechtlichen Terminus des Ermittlungsverfahrens falsch verwenden, ohne dass dies eine Besorgnis der Befangenheit begründet. Schließlich seien sie Ärzte, keine Juristen.

Ein Sachverständiger müsse auch nicht zwischen dem streitigen und unstreitigem Vortrag von Patient und Klinik unterscheiden und damit auch nicht zwischen Sachverhaltsangaben in der Klageschrift und anderslautenden Sachverhaltsangaben in einem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben differenzieren. Gebe es unterschiedliche Sachverhaltsvarianten (etwa Angaben des Patienten und Angaben der Klinik) dürfe er die (nochmals anders lautenden) Sachverhaltsangaben in der schriftlichen Behandlungsdokumentation zu Grunde legen.

Ein Sachverständiger müsse seine Einschätzungen zudem nicht sogleich im Gutachten begründen. Störe sich eine Partei an der fehlenden Begründung, könne sie den Sachverständigen schließlich noch ergänzend befragen und eine Begründung anfordern.

Tipp: Unsicherheiten bei der Erstellung von Sachverständigengutachten lassen sich oft durch einen Anruf beim berichterstattenden Richter ausräumen, so dass eine kritische Überschreitung des Gutachtenauftrages von vorneherein vermieden wird.