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Recht

Irgendwann ist es auch einmal gut. So könnte man den Sinn und Zweck des juristischen Fachbegriffs der Verjährung umschreiben, wonach sich Ansprüche nach Ablauf eines gewissen Zeitraums nicht mehr durchsetzen lassen oder nicht mehr erfüllt werden müssen. Aber ist es mit dem Europarecht vereinbar, dass auch der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dieser regelmäßigen Verjährung unterliegt?

Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.

Pflichten für Arbeitgeber

Die Unsicherheit der Erfurter Richter rührt daher, dass die Frage nach der gesetzlichen Urlaubsverjährung in Deutschland lange keine Rolle spielte, da die freien Tage nach nationalen Regeln deutlich strengeren Verfallsfristen unterlagen und wahlweise am Ende des Kalenderjahres, spätestens aber am 31. März des Folgejahres verfielen. In den vergangenen Jahren hat der EuGH allerdings wegweisende Entscheidungen zum Thema Urlaubsverjährung getroffen, die die Grundfesten des deutschen Urlaubsrechts erschüttert haben. So verfällt Urlaub zum Beispiel nur noch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf den drohenden Verfall aufmerksam gemacht hat.

Das gilt zumindest in Konstellationen, in denen es um Urlaub aus dem laufenden Kalenderjahr geht. Im aktuellen BAG-Fall allerdings lagen die Dinge komplizierter (BAG, Az. 9 AZR 266/20). Geklagt hatte eine Bilanzbuchhalterin, die zwischen dem 1. November 1996 und dem 31. Juli 2017 bei derselben Kanzlei beschäftigt gewesen war. Der Arbeitsvertrag sah vor, dass ihr pro Kalenderjahr 24 Arbeitstage Erholungsurlaub zustanden. Den nahm sie aber mit schöner Regelmäßigkeit nicht wahr.

Urlaubsanspruch bestätigt

Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte ihr der Arbeitgeber daher, dass der „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwands in der Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte die Kanzlei der Frau insgesamt 95 Tage Urlaub. Nach Ende des Arbeitsverhältnisses verlangte sie dann noch die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Die Kanzlei hingegen verweigerte die Zahlung, da für Urlaubsansprüche die Verjährungsfrist von drei Jahren gelte und diese vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen sei. Das Landesarbeitsgericht sah das anders und verurteilte die Kanzlei zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016.

Das BAG wies darauf hin, dass die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin nicht nach den normalen deutschen Regeln verfallen konnten, weil der Arbeitgeber nicht auf die Gefahr des Verfalls hingewiesen habe. Es ließ aber offen, ob die Verletzung der Hinweispflicht auch dazu führt, dass die Regelverjährung von drei Jahren ausgesetzt wird. Diese Frage muss nun der EuGH entscheiden.

Warten auf Gerichtsentscheidung

Sollten die Luxemburger Richter zu dem Ergebnis gelangen, dass offene Urlaubsansprüche auch dann der Regelverjährung unterliegen, wenn der Arbeitgeber nicht auf die Gefahr des Urlaubsverfalls hingewiesen hat, wäre das eine gewisse Entlastung. Im umgekehrten Fall müssten Praxischefs, die ihre Belegschaft nicht oder nicht ausreichend über dieses Risiko belehrt haben, mit nahezu unbegrenzten Abgeltungsansprüchen rechnen, wenn Urlaubsmuffel am Ende des Arbeitsverhältnisses Kasse machen wollen. Umso wichtiger ist es, ein verlässliches Hinweissystem zu etablieren, um unkalkulierbare Mehrkosten zu vermeiden.

Deutsches Urlaubsrecht

Urlaubsansprüche verfallen nach deutschem Recht entweder am Ende des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, oder am 31. März des Folgejahres. Der EuGH verlangt jedoch, dass Arbeitgeber auf dieses Risiko hinweisen und dazu auffordern, den Urlaub zu nehmen, sonst bleiben die Ansprüche länger bestehen. Zu klären ist nun, ob Chefs sich auf die Verjährung der Ansprüche berufen können, wenn der Hinweis unterblieben ist.
Judith Meister