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Versicherungsrecht

Ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen macht querschnittsgelähmten Kassenpatienten Hoffnung. Danach müssen AOK und Co. unter Umständen ein sogenanntes Exoskelett bezahlen – selbst, wenn dieses mit rund 100.000 Euro deutlich teurer ist, als die gängigen Hilfsmittel (Az.: L 5 KR 675/19).

Geklagt hatte ein Mann, der seit einem Verkehrsunfall querschnittsgelähmt ist. Er beantragte bei seiner Krankenkasse ein ärztlich verordnetes Exoskelett. Ein solches Gestell wird an die Beine geschnallt, lässt sich per Fernbedienung steuern und hilft dem Patienten beim Aufstehen und Gehen.

Fahren ist nicht gehen

Die Kasse verweigerte die Bezahlung und verwies den Patienten auf einen Aktiv- und einen Stehrollstuhl. Der Mann wollte das nicht hinnehmen. Sein Widerspruch gegen den Bescheid und eine Klage vor dem Sozialgericht blieben ohne Erfolg. Erst in der zweiten Instanz bekam der Mann Recht.

Nach Meinung des Landessozialgerichts in Essen kommt es für die Zahlungspflicht der Kasse maßgeblich darauf an, ob das begehrte technische Hilfsmittel eine verlorengegangene Körperfunktion wiederherstellt. Nicht kriegsentscheidend sei hingegen, ob es sich um ein „Körperersatzstück“ handelt, etwa eine Prothese.

Der Effekt entscheidet

Bei der Frage, welche Körperfunktion ein Hilfsmittel ausgleiche, sei im konkreten Fall nicht auf die durch die Querschnittslähmung verursachte Nervenschädigung und die damit verbundene Bewegungslosigkeit der Beine abzustellen. Weder das Exoskelett noch sonst ein auf dem Markt erhältliches Hilfsmittel seien derzeit in der Lage, dem Kläger wieder ein willensgesteuertes Bewegen seiner Beine zu ermöglichen. Es gehe vielmehr um den Ausgleich der durch den körperlichen Schaden verlorengegangenen Funktion der Beine, die für den Menschen im Wesentlichen aus dem Stehen und Gehen bestehe.

Das Exoskelett ersetze diese beiden Funktionen. Der Kläger lege es wie eine zweite Hose an, wähle auf der Fernbedienung das Programm „Stehen“ und löse den Aufstehvorgang durch seine Vorwärtsneigung und sein Bewegen der Unterarmgehstützen aus. Wähle er „Gehen“ aus, werde dieser Vorgang gleichermaßen ausgelöst und ende erst, sobald er die Unterarmgehstützen nicht mehr bewege.

Das Exoskelett erfülle für einen querschnittsgelähmten Patienten damit eine ähnliche Funktion wie ein Hörgerät für einen Hörgeschädigten, so die Richter. Und das müssten die Kassen auch bezahlen.

Kassel muss entscheiden

Endgültige Rechtssicherheit besteht allerdings nicht: Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die Versorgung mit einem Exoskelett dem mittelbaren oder unmittelbaren Behinderungsausgleich zuzuordnen sei, die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Das Urteil im Volltext finden Sie hier: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=211403