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Versicherungsrecht

Die Berufsunfähigkeitsversicherung gilt als eine der wichtigsten Versicherungen überhaupt. Angesichts der immensen Belastungen im Gesundheitswesen sollte auch jeder Arzt eine solche Police besitzen. Denn wer ganz oder teilweise nicht mehr arbeiten kann, braucht Geld. Viel Geld. Und das zahlt in ausreichendem Maße meist nur eine private Versicherung.

Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge von Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann. So definiert es § 172 Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Die meisten privaten Gesellschaften verlangen zudem, dass der oder die Versicherte zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig ist. Doch wann ist das der Fall?

Wie schwierig die Bestimmung einer Berufsunfähigkeit im Einzelnen sein kann, beweist der Fall, den vor Kurzem das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt zu entscheiden hatte (Az. 7 U 113/20).

Jahrelanger Stress fordert seinen Tribut

Im konkreten Fall ging es um eine Gynäkologin, die zusammen mit ihrem Mann fast 30 Jahre lang eine Praxis betrieben hatte. Weil sich ihr Gesundheitszustand zunehmend verschlechterte und sie zudem unter psychischen Problemen litt, verkaufte die Frau im Jahr 2012 die Hälfte ihres Vertragsarztsitzes. Dadurch reduzierte sich ihre Arbeitszeit signifikant. Hatte sie ursprünglich an vier Tagen pro Woche zwischen zehn und zwölf Stunden gearbeitet, war sie nun nur noch zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche in der Praxis.

Ihre physischen und psychischen Probleme verschlechterten sich aber trotz dieser Entlastung, sodass sie bei ihrer Versicherung einen Antrag auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente stellte.

Ein von der Assekuranz in Auftrag gegebenes Gutachten ergab, dass die Frau unter einer leichten bis mittleren depressiven Phase litt. Sie könne daher nur noch maximal 20 Stunden pro Woche arbeiten. Für die Gesellschaft war das Grund genug, die Leistung zu verweigern. Schließlich habe die Frauenärztin nach dem Teilverkauf ihrer Praxis ohnehin nur noch eine begrenzte Stundenzahl absolviert. Da die Zahlung einer Rente einen BU-Grad von mindestens 50 Prozent voraussetze, bestehe vorliegend kein Anspruch auf die Leistung.

Der Fall wurde streitig – und endete zugunsten der Ärztin.

Was ist der Maßstab für eine Berufsunfähigkeit?

Das OLG Frankfurt entschied, dass der gesundheitlich angeschlagenen Gynäkologin die vereinbarte Rente zusteht. Dabei argumentiert das Gericht unter anderem damit, dass die Niedergelassene schon länger unter diversen Beschwerden gelitten und deshalb den Teilverkauf ihres Kassensitzes betrieben habe. Dies dürfe der Versicherer allerdings nicht zum eigenen Vorteil auslegen.

Eine Berufsunfähigkeit sei „kein punktuelles Ereignis“, ein „schlagartiger Leistungsabfall“ sei nicht die Regel. Vielmehr könne jeder Mensch im Laufe seines Lebens Beeinträchtigungen erleiden, die seine berufliche Leistungsfähigkeit schmälern. Das aber habe nicht zur Folge, dass sich der bedingungsgemäß festgelegte Grad der Berufsunfähigkeit an einem fortlaufend sinkenden Leistungsniveau des Versicherten orientiere. Andernfalls, so das Gericht, wäre die Berufsunfähigkeitsversicherung wertlos.

Wörtlich führt das OLG aus: „In den Fällen eines langsam fortschreitenden Leidensprozesses oder Kräfteverfalls würde häufig der Versicherungsfall nicht eintreten, obwohl die Beeinträchtigung des Versicherten, gemessen an seiner Leistungsfähigkeit in gesunden Tagen, 50 Prozent längst erreicht oder gar überschritten hat.“

Die Versicherung musste zahlen.