Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Abrechnung

Für die Abrechnung ärztlicher Leistungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sind die Kodes nach der Deutschen Modifikation des ICD-10 (ICD-10-GM) essenziell. Denn im Rahmen der Abrechnungsprüfung muss die KV kontrollieren, ob die Regelungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) eingehalten wurden und die abgerechnete Leistung plausibel ist. Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung benötigt die Prüfungsstelle und gegebenenfalls der Beschwerdeausschuss ebenfalls die Information zu den Diagnosen. Deshalb muss eine Kodierung so spezifisch wie möglich sein. Dies wird in der Anleitung zur Verschlüsselung unter 2. gefordert.

Beispiel 1

Bei Herrn R. T. wird durch wiederholte Blutdruckmesssung eine essenzielle Hypertonie Grad 1 diagnostiziert. Bei der Abrechnung setzt der Arzt den Kode I10.0- für die benigne essentielle Hypertonie ein und verzichtet auf die fünfte Stelle. Dies ist laut Anleitung zur Verschlüsselung im hausärztlichen Versorgungsbereich erlaubt. Neben der Versichertenpauschale (GOP 03000) wird ein problemorientiertes hausärztliches Gespräch (GOP 03230) abgerechnet sowie das Gesamtcholesterin, das Kreatinin und der HbA1c bestimmt. Alle drei liegen im Normbereich. Nach dem PROCAM-Score hat er ein Zehn-Jahres-Risiko von unter 1 Prozent. Dementsprechend wird eine Lebensstiländerung mit mehr Bewegung und reduziertem Alkoholgenuss empfohlen. Zusätzlich wird für das nächste Quartal ein Termin vereinbart, um den Effekt der Maßnahmen zu prüfen und gegebenenfalls eine medikamentöse Behandlung zu beginnen.

Anhand des ICD-10-Kodes lässt sich nicht erkennen, wie ausgeprägt die Hypertonie ist. Dafür ist ein Blick in die Patientenakte nötig. Natürlich könnte man direkt ein EKG schreiben und eine Langzeitblutdruckmessung durchführen. Während ersteres in der Versichertenpauschale enthalten ist, kann man die Langzeit-Blutdruckmessung nach GOP 03324 abrechnen. Üblicherweise sollte man die Langzeit-Blutdruckmessung nur einsetzen, wenn man eine medikamentöse Behandlung eingeleitet oder angepasst hat.

Beispiel 2

Herr T. R. kommt regelmäßig bei bekannter benigner Hypertonie zur Behandlung. Nachdem er über Leistungsschwäche und Atemnot klagt, wird ein EKG abgeleitet. Ein auffälliger Sokolow-Lyon-Index lässt eine Linksherzinsuffizienz vermuten. Mit dieser Verdachtsdiagnose wird an einen Kardiologen überwiesen, der letztlich eine Linksherzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) im NYHA-Stadium II diagnostiziert und eine leitlinienkonforme Behandlung einleitet. Der Kardiologe kodiert I50.12 + I11.00 für HFrEF NYHA II und hypertensive Herzkrankheit ohne hypertensive Krise. Er rechnet die altersabhängige Grundpauschale und die Zusatzpauschale Kardiologie nach GOP 13545 ab. Der Hausarzt erhält, wie vorgeschrieben, einen Arztbrief mit den üblichen Angaben.

In seiner Abrechnung sollte der Hausarzt den kompletten jeweils fünfstelligen ICD-10-Kode übernehmen. Das muss er zwar nicht, aber es erspart zeitaufwendige Rückfragen, wenn er das NYHA-Stadium als fünfte Stelle bei
I50.1- weglässt. Wenn er weiterhin die essenzielle Hypertonie statt der hypertensiven Herzkrankheit kodiert, sind Rückfragen bezüglich diagnostischem Aufwand und Überweisung zum Kardiologen eigentlich vorprogrammiert. Bei der Herzinsuffizienz sind die NYHA-Stadien als fünfte Stelle kodierbar. Bei anderen Diagnosen besteht die Möglichkeit nicht oder – wie das folgende Beispiel zeigt –  im ICD-10-GM 2023.

Beispiel 3

Frau M. H. kommt seit zehn Jahren wegen vorwiegend allergischem Asthma bronchiale in die Praxis. Beim letzten Besuch war sie mit der Dauermedikation gut eingestellt. Die Behandlungdiagnose wurde mit J45.0 kodiert. Ab 2023 gibt es im ICD-10-GM dazu eine Änderung. Als für Hausärzte optionale fünfte Stelle kommen folgende Möglichkeiten hinzu:

  • 0 Als gut kontrolliert und nicht schwer bezeichnet
  • 1 Als teilweise kontrolliert und nicht schwer bezeichnet
  • 2 Als unkontrolliert und nicht schwer bezeichnet
  • 3 Als gut kontrolliert und schwer bezeichnet
  • 4 Als teilweise kontrolliert und schwer bezeichnet
  • 5 Als unkontrolliert und schwer bezeichnet
  • 9 Ohne Angabe zu Kontrollstatus und Schweregrad

Für die Praxis bedeutet das, dass zum Beispiel eine Person mit einem Asthma Control Test (ACTTM) zwischen 20 und 25 als gut kontrolliert anzusehen ist. Die Ziffern 0 bis 2 gelten für nicht schweres Asthma und 3 bis 6 für schweres Asthma. Die Ziffern 0 und 3 stehen für gut kontrolliert, 1 und 4 für teilweise kontrolliert und 2 und 6 für unkontrolliert. Die Ziffer 9 als fünfte Stelle ist eigentlich nur für Fachinternisten relevant, da diese fünfstellig kodieren müssen. Außer bei der Erstdiagnose können diese aber in der Regel so kodieren, dass Ziffer 9 an fünfter Stelle nie kodiert werden muss. Wenn an fünfter Stelle 1, 2, 4 oder 5 kodiert ist, erwartet man, dass die Therapie eskaliert wird. Wenn eine Therapie eskaliert wird, obwohl eine gute Kontrolle (sprich 0 oder 3 an fünfter Stelle) kodiert wurde, kann man mit Nachfragen bezüglich der Pharmakotherapie rechnen. Wer als Hausarzt die fünfte Stelle nicht kodiert, spart sich Arbeit und Zeitaufwand. Andererseits muss er/sie mit Rückfragen zur Pharmakotherapie rechnen, wenn diese durch nötige Eskalation teurer wird und dies sich in der Kodierung nicht widerspiegelt.

ICD-10 und ICD-11

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet schon länger an einem ICD-11. Dementsprechend wird der ICD-10 auch nicht weiterentwickelt. Probleme wie etwa die fehlende Differenzierung bei Asthma werden in der ICD-10-GM-Version 2023 durch zusätzliche fünfte Stellen gelöst. Für die ambulante Versorgung ist immer noch der ICD-10-GM verbindlich.

Bedeutung für die Praxis

Keine Kollegin und kein Kollege sind besonders motiviert, was die Kodierung der Behandlungsdiagnosen angeht. Das ist einerseits verständlich. Andererseits hängt natürlich die Honorarentwicklung unter anderem an der Entwicklung der Morbidität. Wenn die Zahl der Behandlungsdiagnosen nicht steigt, ist es schwierig, ein höheres Gesamthonorar auszuhandeln. Auch für die Abrechnung und die anschließende Abrechnungs- und gegebenenfalls folgende Wirtschaftlichkeitsprüfung ist die Kodierung der Behandlungsdiagnosen sehr relevant. Zugegeben, es gibt nur wenige GOP, bei denen ein ICD-10-Kode in der Legende vorgeschrieben ist. Ein Beispiel sind die GOP der hausärztlich geriatrischen Versorgung. Bei Patienten, die jünger als 70 Jahre alt sind, sind diese GOP zulässig, wenn eine der folgenden Behandlungsdiagnosen vorliegt: F00.F02, G30, G20.1 oder G20.1. Bei älteren Patientinnen oder Patienten mit geriatrischem Versorgungsbedarf muss ein geriatrisches Syndrom vorliegen und/oder ein Pflegegrad. Natürlich muss in der Abrechnung dann zum Beispiel eine Inkontinenz kodiert sein.

Beispiel 4

Frau C. F. hat seit zwanzig Jahren einen Typ-2-Diabetes. Wie es die progrediente Erkrankung mitbringt, ist die übliche Kodierung E11.9- für Diabetes mellitus Typ 2, ohne Komplikationen, in der Regel schon nach wenigen Jahren durch die sich entwickelnden Komplikation hinfällig. Es ist durchaus auch möglich, dass der Typ-2-Diabetes erst entdeckt wird, wenn schon Folgekrankheiten wie etwa eine diabetische Gangrän bestehen. Dann muss die Kodierung natürlich anpasst werden, nämlich auf E11.5- mit peripheren vaskulären Komplikationen. Wer dies nicht macht, bekommt Probleme, wenn er als Hausarzt zum Beispiel die Behandlung des diabetischen Fußes nach GOP 02311 abrechnen will. Natürlich setzt diese GOP zudem eine spezielle Genehmigung der zuständigen kassenärztlichen Vereinigung voraus.

Beispiel 5

Wer Läuse hat, kann auch Flöhe haben. Dieser Spruch eines Oberarztes aus Klinikzeiten hat für den ICD-10-GM und die GKV-Abrechnung durchaus seine Bedeutung, wie dieses Beispiel zeigt. Bedingt mit Sicherheit zum Teil durch den allgemeinen Wohlstand in Deutschland haben wir relativ viele Menschen mit einem metabolischen Syndrom.
Eigentlich sollte ein Mensch mit Typ-2-Diabetes regelmäßig, am besten jedes Quartal, in die Praxis kommen und zumindest den HbA1c kontrolliert bekommen. Samt Untersuchung und Besprechung mit dem Arzt/der Ärztin findet sich dann in der Patientenakte der Fließtext mit der Diagnose und in der Abrechnung die E11.-. Wenn der Patient auch noch eine gut eingestellte Hypertonie hat, so benötigt er zumindest jedes zweite Quartal ein Folgerezept für die Antihypertensiva. Zumindest dann sollte der Blutdruck gemessen werden und die Hypertonie als Behandlungsdiagnose in der Abrechnung auftauchen mit I10.–.

Knifflig wird das Ganze, wenn man einmal die Hypertonie und einmal den Diabetes als Behandlungsdiagnose kodiert und nicht, wie es eigentlich sein sollte, sich um beide Themen kümmert und diese kodiert. Erfahrungsgemäß kommen vor allem Männer mit Hypertonie nur dann in die Praxis, wenn sie neue Medikamente brauchen, also eher selten. In solch einem Fall kann es nämlich passieren, dass weder der Diabetes noch die Hypertonie ausreichend häufig kodiert wurden und daher die Chronikerziffer aus dem Hausarztkapitel 03220 bei der Abrechnungsprüfung gestrichen wird.
Da die KVen vermehrt prüfen, ob die Bedingungen für die Abrechnung der Chronikerziffer erfüllt sind, sollte man bei der Kodierung extrem pingelig sein.

Weitere Änderungen im ICD-10-GM 2023

Außer den vorgenannten fünfstelligen Kodes bei Asthma gibt es neue sekundäre Schlüsselnummern bei Sepsis, Hypoglykämie und Demenz.

  • Für die Sepsis ist dies U69.8-! zur Differenzierung von nicht- nosikomialer/nosikomialer Sepsis und septischem Schock.
  • Für die Hypoglykämie ist dies U69.7-!, um den Schweregrad der Hyoglykämie und eine Wahrnehmungsstörung der Hypoglykämie zu differenzieren.
  • Für die Demenz können mit U63.-! psychische und Verhaltensstörungen bei Demenz spezifiziert werden.

Alle sekundären Schlüsselnummern dürfen nur zusammen mit dem Kode der entsprechenden Diagnose genutzt werden.

Fazit zur Kodierung
Es macht zwar keinen Spaß, sich intensiv in den ICD-10-GM einzuarbeiten. Aber falsche und unzureichende Kodierung in der Abrechnung kostet zumindest viel Zeit, aber meist auch einen Teil des Honorars, das man sich eigentlich erarbeitet hat. Natürlich muss die Behandlungsdiagnose zumindest für Fachkollegen anhand der Patientenakte auch nachvollziehbar sein. Das bedeutet, dass eine zu dürftige Dokumentation in der Patientenakte nicht der Berufsordnung entspricht und Ärger eigentlich vorprogrammiert ist. Ein Kollege sagte mir kürzlich, dass er sich lieber auf die Behandlung seiner Patientinnen konzentriere. Die „Optimierung“ der Abrechnung, je nachdem was sich gerade im EBM oder im ICD-10-GM geändert habe, dafür wolle er keine Zeit verschwenden.