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Corona-News

Seit 16. März galt in deutschen Kliniken die Vorgabe, planbare Operationen zu verschieben und kurzfristig Kapazitäten auf Intensivstationen frei zu machen. Mit Erfolg. Anders als in vielen anderen Ländern war das deutsche Gesundheitswesen während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie nicht überfordert.

Allerdings weist die deutsche Krankenhausgesellschaft inzwischen darauf hin, dass Bypässe oder Gelenkersatz-OPs nicht endlos verschoben werden können. Die nun angestrebte schrittweise Rückkehr der Kliniken zur Normalität sei daher zu begrüßen und werde dem berechtigten Interesse der Patienten gerecht.

Kliniken müssen allerdings nach wie vor vor dem Hintergrund der Infektionszahlen entscheiden, was geht – und welche Operationen doch wieder vertagt werden müssen. Das nährt nicht nur die Furcht vor finanziellen, sondern auch vor juristischen Folgeschäden.

Verspätete Behandlung als Haftungsfall

Grundsätzlich gilt auch in Corona-Zeiten, dass jeder Arzt verpflichtet ist, seine Patienten nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft zu behandeln. Kommt ein Patient durch die (fortwährende) Verschiebung eines Eingriff zu Schaden, wäre es daher durchaus denkbar, dass er die Klinik auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt.

Tatsächlich hat sich die Rechtsprechung schon mehrfach mit folgenreichen Behandlungsverzögerungen beschäftigen müssen. Ein Blick auf die einschlägigen Entscheidungen zeigt jedoch: Mit dem Ausnahmezustand in der Hochphase der Corona-Krise haben diese Fälle wenig gemein.

• Das Oberlandesgerichts (OLG) Hamm etwa hat einem Patienten wegen einer Behandlungsverzögerung 15.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen (Az.: 26 U 48/14). Im konkreten Fall hatte ein Arzt die fortschreitende Glaukomerkrankung seines Patienten vier Jahre nicht behandelt, weswegen der Betroffene mit einem Auge nicht mehr lesen kann. Das Gericht erkannte in dem Verhalten des Arztes einen groben Behandlungsfehler: Durch eine frühzeitige Operation wäre die Verschlechterung der Nervenstruktur sowie das Auftreten von größeren Gesichtsfelddefekten zu verzögern gewesen. Auch das Risiko, zu Erblinden ist durch die verschleppte OP erhöht.

• Eine andere Patienten erhielt 10.226 Euro Schmerzensgeld wegen einer Behandlungsverzögerung. Das OLG Stuttgart entschied: Wird aufgrund der unterbliebenen Befunderhebung bei einer Patientin ein Körperkarzinom an der Gebärmutterwand erst ein Jahr später entdeckt und entfernt und wird infolgedessen eine für die Patientin belastendere Bestrahlungs- und Hormontherapie erforderlich, steht der Frau – insbesondere in Anbetracht der durch den Zeitablauf bedingten geringeren Heilungsaussicht, der erhöhten Gefahr einer Metastasenbildung und der dadurch für die Patientin bedingte Unsicherheiten und Ängste – ein Schmerzensgeld zu (Az.: 14 U 37/94).

• Bemerkenswert ist auch die Entscheidung des OLG Koblenz. Es verurteilte einen Arzt wegen eines zu spät operierten Bandscheibenvorfalls zur Zahlung von 384.000 Euro. Die Summe setzt sich aus einem Schmerzensgeld von 180.000 Euro und Schadenersatz von 204.000 Euro zusammen (Az: 5 U 55/09). Im konkreten Fall hatte der Mann die Klinik mit akuten Beschwerden und diversen Bandscheibenschäden aufgesucht. Das klinische Bild deutete auf einen massiven – bei konservativem Vorgehen möglicherweise irreversiblen – Schaden hin. Dennoch wurde der Patient zunächst nur mit Kortison und einem Schmerzmittel behandelt und erst neun Tage später operiert, nachdem sich seine Beschwerden nicht gebessert hatten. Seitdem kommt es bei ihm zu weitreichenden Lähmungserscheinungen der unteren Körperteile mit Sexualstörungen und depressiven Verstimmungen.

Fazit: Die Furcht vor einer Klagewelle wegen im Zuge der Corona-Krise verschobener elektiver Operationen erscheint unbegründet. Die Rechtsprechung bejaht eine Arzthaftung wegen einer Behandlungsverzögerung normalerweise nur dann, wenn wegen eines Befundungs- oder Behandlungsfehlers ein an und für sich notwendiger Eingriff unterbleibt und dem Patienten dadurch ein Schaden entsteht.