Studie bestätigt: Millionen Krankheitsfälle durch gesüßte Getränke
Wiebke PfohlZuckergesüßte Getränke verursachen weltweit Millionen neue Fälle von Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen – regional zeigen sich hierbei allerdings große Unterschiede, so eine aktuelle Studie. Gezielte Maßnahmen wie etwa eine Zuckersteuer oder Regelungen für die Vermarktung von Softdrinks könnten den Konsum von Süßgetränken senken und damit Krankheiten vorbeugen.
Limonaden, Brausen, Energy Drinks und Co. – mit Zucker gesüßte Getränke könnten im Jahr 2020 weltweit 2,2 Millionen neue Typ-2-Diabetes-Fälle und 1,2 Millionen neue Fälle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht haben, so eine aktuelle Studie. Das sind etwa einer von zehn neuen Fällen von Typ-2-Diabetes (9,8 Prozent) und etwa einer von 30 neuen Fällen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (3,1 Prozent). Das berichten Forschende um Laura Lara-Castor vom Institute of Health Metrics and Evaluation an der University of Washington im Fachmagazin Nature Medicine. Die Wissenschaftler nutzten Daten aus 184 Ländern aus der Global Dietary Database.
So konnten die Forschenden weltweite, regionale und nationale Gesundheitsbelastungen durch Softdrinks abschätzen. Die Autorinnen und Autoren der Studie weisen allerdings auch auf Limitationen hin: “Unsere Schätzungen beruhen auf den besten verfügbaren Daten und begründeten Annahmen und sind kein Beweis für Ursache und Wirkung.” Die verwendete Definition von zuckergesüßten Getränken beinhaltet zudem keine Fruchtsäfte oder mit Zucker gesüßte Milch. Zuckergesüßte Getränke definieren die Forschenden als Getränke mit zugesetzten Zuckern, die mehr als oder gleich 50 kcal pro Portion enthalten.
Zuckergesüßte Getränke: negative Auswirkungen auf die Gesundheit
Zuckergesüßte Getränke sind laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) nicht als Durstlöscher geeignet. “Sie enthalten viel Zucker (etwa 80 - 100 g pro Liter) und liefern damit viele Kalorien”, schreibt die DGE auf ihrer Website. Besonders kritisch ist, dass die süßen Getränke sich schnell konsumieren und auch verdauen lassen. Das führt zu einer geringeren Sättigung, höherer Kalorienaufnahme und Gewichtszunahme, so die Forschenden in der aktuellen Studie. Damit erhöht sich auch das Risiko für Bluthochdruck, Dyslipidämie und Diabetes. Und diese Risikofaktoren tragen zu kardiovaskulären Ereignissen bei.
Auch die Deutsche Diabetes Stiftung empfielt, zur Diabetes-Prävention auf Softdrinks zu verzichten: „Limonade, Cola und Fruchtsäfte sind flüssige Zuckerberge und treiben Blutzucker- und Insulinspiegel in die Höhe, was nicht nur zu Übergewicht und Adipositas wesentlich beiträgt, sondern auch eine Insulin-Resistenz fördert und dadurch zu Diabetes führen kann. Übrigens: die süßstoffhaltigen Light-Versionen von Cola, Limo und Co. sind auch keine Alternativen, denn auch sie erhöhen dieses Risiko. Softdrinks sollten deswegen immer nur eine Ausnahme bleiben.“
Weltweiter Unterschiede beim Konsum von Softdrinks
Weltweit konsumierten Erwachsene 2020 im Schnitt etwa 645 Gramm zuckergesüßte Getränke pro Woche, am meisten in Lateinamerika und der Karibik, am wenigsten in Südasien, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der aktuellen Studie. Männer tranken etwas mehr Süßgetränke als Frauen, und junge Menschen mehr als alte Menschen. Männer waren dabei laut den Schätzungen der Forschenden auch häufiger sowohl von Typ-2-Diabetes als auch von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch süße Getränke betroffen.
Neue Fälle von Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen: regionale Unterschiede
Die höchste Inzidenz von Typ-2-Diabetes-Fällen, die mit gesüßten Getränken assoziiert waren, fanden die Forschenden für das Jahr 2020 in Lateinamerika und der Karibik, die niedrigste in Südostasien und Ostasien. Die meisten neuen Fälle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen pro Millionen Personen traten im Nahen Osten und in Nordafrika auf, die wenigsten wieder in Südostasien und Ostasien.
Zuckergesüßte Getränke auf dem afrikanischen Kontinent: westliche Ernährung und Marketing
Den stärksten Anstieg von Krankheitsfällen, die sich auf gesüßte Getränke zurückführen ließen, beobachteten die Forschenden in Subsahara-Afrika. “Unsere Ergebnisse sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass die „Ernährungsumstellung“ von der traditionellen auf die westliche Ernährung in weiten Teilen der Region bereits stattgefunden hat und dringend politische und gesundheitspolitische Aufmerksamkeit erfordert”, schreiben die Forschenden in der Studie.
Da der Konsum von zuckergesüßten Getränken in Ländern mit hohem Einkommen zurückgegangen sei, konzentriere sich die Getränkeindustrie nun auf Schwellenländer, so die Forschenden. Auch in einem aktuellen Interview der Süddeutschen Zeitung sagt die ghanaische Köchin, Aktivistin und ehemalige UN-Mitarbeiterin Selassie Atadika: “Das Lebensmittelsystem in Ghana ist aus verschiedenen Gründen ziemlich kaputt. Eines davon ist die Globalisierung: Afrika ist die Müllhalde des Westens.” Softdrinks, die große Mengen an Zucker enthalten, würden nun in Afrika landen, so Atadika: “Die Marketing-Budgets für diese Produkte fließen jetzt alle nach Afrika.”
Maßnahmen für weniger Konsum von Süßgetränken
Die Forschungsergebnisse zeigten, dass es notwendig sei, Maßnahmen zur Reduzierung des Süßgetränke-Konsums einzuführen und zu überprüfen, so die Forschenden. Dazu gehören etwa eine Steuer, Lebensmittelkennzeichnungen, Regelungen für die Vermarktung von Süßgetränken, Regelungen für Schulspeisung und Wasserhygiene.
Ein systematisches Cochrane-Review von 2019 beschäftigt sich mit der Frage, wie Konsum und gesundheitliche Folgen von Süßgetränken reduziert werden können. Für das Review zogen die Autorinnen und Autoren 58 Studien heran, die meisten davon aber nicht-randomisiert.
Mit einem verringerten Konsum von Süßgetränken assoziiert waren: Labelling bzw. Kennzeichnungen von Getränken, Preiserhöhungen, höhere Ernährungsstandards in öffentlichen Einrichtungen, bestimmte Interventionen in Einzelhandel und Gastronomie wie etwa ein verbessertes Marketing für gesündere Getränke in Supermärkten, bestimmte sektorübergreifende Ansätze wie etwa lokale Gesundheitskampagnen und Haushaltsinterventionen. Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit fanden die Forschenden nur in einem Fall: Waren mehr kalorienarme Getränke in Haushalten verfügbar, war das bei Jugendlichen, die ein erhöhtes Körpergewicht und einen ursprünglich hohen Konsum von Süßgetränken hatten, mit einer Gewichtsabnahme verbunden.
Die Autorinnen und Autoren des Cochrane-Reviews schlussfolgern: “Die in diesem Review eingeschlossenen Studienergebnisse deuten darauf hin, dass es wirksame, skalierbare Maßnahmen zur Reduktion des Süßgetränkekonsums auf Bevölkerungsebene gibt. Die Umsetzung solcher Maßnahmen sollte von methodisch hochwertigen Evaluationen, unter Verwendung geeigneter Studiendesigns, begleitet werden.”
Konsum von Softdrinks durch Kinder in Deutschland: Was tun?
Der Ernährungsminister Cem Özdemir forderte 2023 etwa ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Fett, Zucker oder Salz. „Lebensmittelwerbung hat einen nachhaltigen Einfluss auf das Ernährungsverhalten bei unter 14-Jährigen. Der übermäßige Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett oder Salz trägt zur Entstehung von Übergewicht und ernährungsmitbedingten Erkrankungen, wie z.B. Adipositas und Diabetes bei. Gerade im Kindesalter wird Ernährungsverhalten entscheidend für das weitere Leben geprägt“, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Die Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) begrüßte Özdemirs Vorschlag. Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), sagte in einer Pressemitteilung: „Der Entwurf von Bundesernährungsminister Cem Özdemir ist ein Meilenstein für die Kindergesundheit. [...] Die schädlichen Einflüsse der Lebensmittelwerbung können nur mit einem solch umfassenden Ansatz wirksam eingedämmt werden.“
Auch Verbraucherschützer, darunter auch der Vebraucherzentrale Bundesverband (vzbv), das Kinderhilfswerk und Foodwatch - fordern ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel. „Kinder müssen umfassend vor Werbung für ungesunde Lebensmittel geschützt werden. 93 Prozent der Eltern und Großeltern haben sich schon im Jahr 2020 für Zucker-, Fett- und Salz-Höchstgrenzen bei Lebensmitteln mit Kinderoptik ausgesprochen. Die Ampel muss diesem Wunsch nachkommen und endlich ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen“, sagt vzbv-Vorständin Ramona Pop in einer Pressemitteilung der Verbraucherzentrale von 2022.
Softdrink-Steuer
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Ländern, eine Verbrauchersteuer auf zuckergesüßte Getränke zu erheben, Mindestens 108 Länder erhoben bis Juli 2022 eine solche Steuer auf mindestens eine Art von zuckergesüßtem Getränk, darunter etwa Großbritannien und Südafrika. Das berichtet die WHO in einem Report aus dem Jahr 2023. Welche Art von Steuer auf Süßgetränke in welchen Ländern existiert, lässt sich auch in einer Datenbank der Weltbank einsehen. Auch in Deutschland wird eine solche Steuer immer wieder diskutiert. So forderten etwa im Juni 2024 mehrere Bundesländer eine Steuer auf Softdrinks.
Auch Verbraucherschutzorganisationen und Gesellschaften fordern eine Steuer auf Softdrinks gegen den hohen Konsum von gesüßten Getränken: so etwa die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), an der auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. beteiligt sind, und die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch.
Was bringt die Softdrink-Steuer für die Gesundheit?
Für eine Empfehlung zu Softdrink-Steuern aus dem Jahr 2022 sichtete die WHO Evidenz zur Wirksamkeit der Steuer. Werde der Preis von Süßgetränken um zehn Prozent erhöht, würden üblicherweise acht bis 13 Prozent weniger der Getränke gekauft, so der Bericht. Das Einführen einer Steuer verringere relativ rasch das Auftreten von Karies, wie eine Studie aus Mexiko zeige. Für andere Auswirkungen auf die Gesundheit, gebe es noch wenige Beobachtungsstudien, da diese erst verzögert zu erwarten seien. „Simulationsstudien deuten jedoch darauf hin, dass der Gesundheitsgewinn erheblich sein könnte“, schreibt das Autorenteam der WHO.
Eine solche Simulationsstudie haben etwa Forschende um Karl Emmert-Fees von der Technischen Universität München (TUM) durchgeführt. Für eine Studie im Fachmagazin JAMA haben sie untersucht, welche Auswirkungen eine Steuer auf zuckergesüßte Getränke in Deutschland hätte. Dabei untersuchten sie zwei Versionen der Steuer. Zum einen Abgaben für Unternehmen, die sich nach der Zuckermenge richten (wie etwa in Großbritannien) und zum anderen Abgaben, die unabhängig vom Zuckergehalt auf Süßgetränke erhoben werden (wie etwa in Mexiko). Für die erste Version simulierten die Forschenden die Ergebnisse einer gestaffelten Steuer, für die zweite Version einen pauschalen 20-prozentigen Aufschlag auf die Softdrink-Preise.
Bei beiden Versionen der Steuern gebe es wesentlich weniger Fälle von Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, so die Forschenden. Erstautor Karl Emmert-Fees kommentiert in einer Pressemitteilung der TUM „Besonders eindrücklich sind die Zahlen für Typ-2-Diabetes. Durch eine Besteuerung würden unseren Modellen zufolge innerhalb der nächsten 20 Jahre bis zu 244.100 Menschen später oder gar nicht an Typ-2-Diabetes erkranken.“