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E-Health

Die Digitalisierung schreitet unaufhörlich voran und das auch im Gesundheitswesen. Auch hier bietet sie eine Chance, die immer größer werdenden Lücken im Gesundheitssystem zu schließen und zusätzlich Kosten zu senken. So kann die Telemedizin durchaus dem Fachkräftemangel entgegenwirken, Klinikeinweisungen verringern und auch die Patientenbetreuung verbessern. Das zeigt der Telemedizin-Report von Zava, ein ärztlicher Onlinedienst mit Sitz in London. Mittlerweile steht auch die Mehrheit der EU-Bürger hinter dem digitalen Wandel im Gesundheitswesen. So stimmen beispielsweise 80 Prozent der europäischen Bürger einer gemeinsamen Nutzung ihrer Daten zu. Doch die europäischen Staaten unterscheiden sich sehr im Ausbau ihrer digitalen Gesundheitssysteme. Deutschland zum Beispiel liegt noch weit zurück im Vergleich zu anderen Staaten.

Chancen der Telemedizin

Der Report schlüsselt im Detail auf, welche Chancen in der Telemedizin liegen. Durch die Telemedizin können zum Beispiel Wartezeiten auf einen Arzttermin, vor allem bei Fachärzten, bei denen man teilweise Monate auf einen Termin warten muss, verkürzt werden. Die Studienergebnisse zeigen, das drei von vier Vorsorgeterminen durch Telemedizin wegfallen können. Dadurch kommen Patienten schneller an einen Termin und Ärzte haben mehr Zeit pro Patient. Bisher verbringt jeder dritte Patient zwischen 30 und 60 Minuten im Wartezimmer beim Arzt. Durch den verstärkten Einsatz von Videosprechstunden bleibt Patienten diese Wartezeit erspart.

„Der Durchschnittsdeutsche kommt auf zehn Arztbesuche im Jahr. Seit Beginn der COVID-19 Pandemie erfolgten sechs bis acht dieser Beratungen digital. Langfristig wird sich die Zahl der Vor-Ort-Arztbesuche bei vier bis fünf pro Jahr einpendeln“, schätzt Zava CEO David Meinertz. Aktuelle Zahlen der KBV bestätigen diese Prognose. Demnach haben bis Ende Februar dieses Jahres lediglich 1.700 Praxen Videosprechstunden angeboten. Inzwischen wird sie von 25.000 Arztpraxen genutzt. Das entspricht etwa einem Viertel aller Praxen und einem Anstieg um rund 1.370 Prozent!

Aber auch im Kostenbereich kann Telemedizin positive Effekte verursachen. In den letzten zehn Jahren erhöhten sich die Gesamtausgaben der Krankenkassen für ärztliche Behandlungskosten um 50 Prozent. Diese Kosten könnten durch den Einsatz von Videosprechstunden und anderen digitalen Tools gesenkt werden. Das legen zumindest Erfahrungen aus der Schweiz nahe. Hier sparen Krankenversicherungen mit Telemedizin bis zu 17 Prozent ambulanter Behandlungskosten ein.

Digitalisierung im Gesundheitswesen in der EU

Einen einheitlichen Standard im digitalen Gesundheitswesen gibt es in der EU jedoch noch nicht. Jeder Staat nutzt Telemedizin unterschiedlich intensiv. So zählen beispielsweise Estland und viele der skandinavischen Länder zu den Spitzenreitern. Diese haben im Gegensatz zu Deutschland schon vor einigen Jahren gesetzliche Grundlagen im Gesundheitssektor gelegt. Darauf aufbauend wurden Infrastrukturen geschaffen, die jetzt flächendeckend von Ärzten, Kliniken und Patienten genutzt werden. Deutschland hingegen hat den frühen Einstieg verpasst und hinkt anderen Ländern hinterher. Doch auch in Deutschland ist die Akzeptanz gewachsen. Der Report zeigt, dass die Deutschen sehr zufrieden mit den Videosprechstunden waren: 4 von 5 würden sie gerne erneut nutzen.

Trotzdem tut man sich in Deutschland prinzipiell schwerer mit der Digitalisierung. Im Zuge der Krise wurden Gesetze und Richtlinien zwar schnell angepasst, sodass eine sichere Patientenversorgung gewährleistet werden konnte. Doch nun laufen viele Änderungen aus und die alten Regelungen treten wieder in Kraft. Diese hemmen oftmals durch strenge Datenschutzrichtlinien wichtige Grundlagen für die Digitalisierung. Was aber auch wiederum einen positiven Aspekt mit sich bringt: Personenbezogene Gesundheitsdaten sind in Deutschland am sichersten. Das zeigt ein internationaler Test in sechs europäischen Ländern auf sogenannte Ad Tracker im Internet, die das Nutzerverhalten protokollieren. User, die öffentliche Gesundheitsseiten ansehen, profitieren in Deutschland am meisten vom Datenschutz. So wurden zum Beispiel in Irland mit 73 Prozent der getesteten Webseiten die meisten persönlichen Daten gesammelt, in Deutschland kam dies nur in 33 Prozent der Fälle vor.

Digital Health Index zeigt den Digitalisierungsgrad

Doch woran erkennt man, inwieweit das Gesundheitssystem eines Landes digital ausgebaut ist? Am sogenannten Digital Health Index wird gemessen, wie der Digitalisierungsgrad des jeweiligen nationalen Gesundheitssystems ist. Dieser ergibt sich aus dem Durchschnittswert der Schaffung legaler Grundlagen (Digital Policy), einer digitalen Infrastruktur (Digital Health Readiness) und der sich daraus ergebenden Nutzung der Daten von Ärzten und Patienten (Actual Use of Data). Die Faktoren werden als Wert zwischen null (wenig) und 100 (vollständig) angegeben. So hat Estland beispielsweise einen Digital Health Index von knapp 82, wohingegen Deutschland nur einen Digitalisierungsgrad von 30 aufweisen kann und belegt somit den vorletzten Platz. Polen landet auf Platz 14 und bildet somit das Schlusslicht.

Was unterscheidet Estland von Deutschland?

Estland belegt mit diesem Wert den absoluten Spitzenplatz in der EU. Was unterscheidet dieses Land von den anderen? Die Auswertung des Reports zeigt, dass Estland eine klare digitale Strategie und die technische Infrastruktur besitzt. Die Datennutzung war zum Zeitpunkt der Studie (2018) zu knapp 72 Prozent verbreitet. Wenn man dahingehend seinen Fokus auf Deutschland, Frankreich oder auch Polen legt, zeichnet sich der Zusammenhang zwischen der mangelnden Strategie und der fehlenden Infrastruktur deutlich ab. Als Folge ist die Datennutzung – also die Anwendung des digitalen Gesundheitssystems – hier auch noch wenig verbreitet. Doch gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig es ist, digitale Ergänzungen zu einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zu haben.