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Der Personalmangel in Deutschland verschärft sich. Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen hat Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer geht davon aus, dass in Deutschland rund zwei Millionen Arbeitsplätze vakant bleiben und das bei über 2,6 Millionen Arbeitslosen. Auch der Fachkräftemangel im deutschen Gesundheitswesen spitzt sich weiter zu: Im Jahr 2035 können knapp 1,8 Millionen offene Stellen nicht mehr besetzt werden, weil qualifizierte Kräfte fehlen, so die Prognose der Unternehmensberatung PwC. Das würde einem Engpass von 35 % entsprechen. Bereits heute liegt der Versorgungsengpass bei rund 7 %.

Deutschland benötigt also dringend Fachkräfte – doch um ebendiese ist ein globaler Wettbewerb entbrannt. Warum sollten qualifizierte Fachkräfte also nach Deutschland kommen?

Warum Deutschland für Fachkräfte unattraktiv ist

Deutschland ist für hochqualifizierte Fachkräfte derzeit vor allem ein Land, in dem ein leistungsträgerfeindliches Klima herrscht und das ein international nicht wettbewerbsfähiges Steuersystem hat. Denn die hohen Arbeitskosten machen den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur für Arbeitgeber, sondern  – durch die daraus resultierenden niedrigen Nettoeinkommen – auch für Arbeitnehmer aus dem Ausland unattraktiv. Deutschland hat heute bereits mit die höchste Steuer- und Abgabenlast weltweit.

Warum sind andere Länder für Fachkräfte finanziell attraktiver?

Während in Deutschland der Spitzensteuersatz bei 42 % liegt und bereits für Einkommen über 55.961 Euro pro Jahr anfällt und Einkommen ab 274.613 Euro pro Jahr mit 45 % besteuert werden, sieht der Sachverhalt beispielsweise in den USA grundlegend anders aus.  So werden beispielsweise in den USA die Einkommen von Singles von über 89.075 bis 170.000 US-Dollar mit nur 24 %, Einkommen über 170.050 bis 215.949 US-Dollar mit 32 %, über 539.899 USD mit 35 % besteuert. Der Spitzensteuersatz von 37 % greift erst ab 539.900 USD. Gegenwärtig verdienen Informatiker in der Schweiz und den USA doppelt so viel oder auch oftmals noch wesentlich mehr als in Deutschland bei wesentlich geringerer Steuerlast.

Warum begehrte Fachkräfte Deutschland verlassen, statt einzuwandern

Deutschland bietet heute auch ein deutlich schlechteres Forschungsumfeld als etwa die USA, die Schweiz oder Australien – und zeichnet sich auch nicht durch Unternehmer- und Gründerfreundlichkeit aus. Deutschland ist ein Land mit einer zermürbenden und ungenügend digitalisierten Bürokratie. Bei der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes schneidet Deutschland sogar schlechter als Griechenland ab.

Begehrte Fachkräfte wollen zudem nicht nur für sich, sondern auch für ihre Familie die besten Bedingungen. Warum sollten sie also in ein Land einwandern, das auf dem globalen Kriminalitätsindex nur den 43. Platz belegt und in dem der Anteil Jugendlicher ohne grundlegende schulische Fähigkeiten laut ifo Institut bei 23,8 % liegt? In dem weniger als 44 % der Schulleiter ihre Lehrkräfte für technisch und pädagogisch kompetent halten und in dem sich keine einzige Universität unter den 49 besten Universitäten der Welt befindet? Das alles macht den Standort Deutschland unattraktiv für begehrte Fachkräfte.

Drei Viertel der Auswanderer aus Deutschland haben eine Hochschulausbildung

Doch das ist leider noch nicht alles: Welche global gefragte Expertin und Experte beabsichtigt in ein Land einzuwandern, in dem das Gesundheits- und Altenpflegesystem auf Kante genäht ist und in Zukunft der Pflegekollaps in Krankenhäusern und Altenheimen droht? Ein Land, in das in den letzten Jahrzehnten Millionen un- und geringqualifizierte Menschen einwanderten, während Hunderttausende Hochqualifizierte auswanderten – drei Viertel der Auswanderer aus Deutschland haben eine Hochschulausbildung.

Deutschland ist derzeit ein Land, das im Vergleich mit seinen großen Wirtschaftskonkurrenten USA und China immer teurer wird und kontinuierlich an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit verliert, und dem eine Deindustrialisierung von nie da gewesenem Ausmaß droht. Ein Land, mit maroden Straßen, Brücken, Schienennetzen, schlechten Internetanbindungen und unpünktliche Zügen.

Ein Land, aus dem Ende 2022 kein einziges der wertvollsten 100 Börsenunternehmen mehr stammte. 62 Unternehmen stammen aus den USA, 15 stammen aus China. Alle Länder Europas kommen zusammen ebenfalls auf 15 Unternehmen. Fünf davon kommen aus Frankreich, vier aus Großbritannien, drei aus der Schweiz und jeweils eines aus Dänemark, Irland und den Niederlanden. 2007 kamen 46 der 100 größten Unternehmen der Welt aus Europa, aus den USA waren es lediglich 32 und aus Asien nur 17.

Weshalb sollen sie in ein Land immigrieren, dessen Kaufkraft seiner Währung sukzessive schwindet und die Sparguthaben und Altersvorsorge seiner Bürger tagtäglich pulverisiert? Allein in den letzten fünf Jahren hat der Euro gegenüber dem US-Dollar und Schweizer Franken 14 Prozent verloren. Ein Land, dessen Währung zusehends zu einer Weichwährung verkommt, während der US-Dollar nach wie vor unumstritten die dominierende Währung auf dem Weltmarkt für Gas, Öl und zahlreiche weitere Waren ist. Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland bedeutet ein schwacher Euro dementsprechend importierte Inflation.

Umfrage bestätigt: Deutschland unattraktiv für ausländische Fachkräfte

Somit ist es nicht verwunderlich, dass Deutschland unter ausländischen Fachkräften als nicht attraktiv gilt. Ferner fühlen Fachkräfte sich in Deutschland nicht sonderlich wohl. Laut einer Umfrage des größten globalen Expat-Netzwerks InterNations von Ende 2022 belegt Deutschland weit abgeschlagen den 42. von 52 ausgewiesenen Rängen.

Die dringend benötigten hoch und höchstqualifizierten Fachkräfte werden mit Sicherheit nicht in hoher Anzahl nach Deutschland kommen. Obendrein werden auch zukünftig bestens ausgebildete junge Menschen Deutschland den Rücken kehren. Deutschland ist einerseits attraktiv für un- und niedrigqualifizierte Menschen, und andererseits unattraktiv für hoch und höchstqualifizierten Fachkräfte. Sollte die Politik in puncto Migrations-, Energie-, Digitalisierungs- und Bildungspolitik weiter wie bisher agieren und sollte Deutschland ein Hochsteuerland bleiben, so wird sich das Problem des Fachkräftemangels mit Gewissheit nicht lösen lassen.

*Matthias Weik befasst sich seit über zwei Jahrzehnten mit dem Thema Finanzen. Er zählt seit Jahren mit fünf Bestsellern in Folge zu den verlässlichsten Bestseller-Autoren im Bereich Wirtschaft und Finanzen. Am 29.03.2023 erscheint sein sechstes Buch „Die Abrechnung“. Matthias Weik bezeichnet sich selbst nicht als Pessimist, Optimist oder gar Alarmist, sondern als Realist. Weitere Informationen unter: www.matthias-weik.com