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“Es gibt immer noch den Vorwurf, die Praxen wären bei der Digitalisierung zögerlich. Die Ärzteschaft insgesamt wäre zu zögerlich. Und wir würden mehr als Bedenkenträger, denn als Schrittmacher der Digitalisierung wirken. An der Stelle muss man sehen: Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem Potential mancher Digitalisierungsideen und dem, was sich aktuell davon in den Praxen umsetzen lässt und dort wirklich Nutzen entfaltet.” Andreas Gassen, Vorstandsvor­sit­zender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), fand bei einer aktuellen Online-Pressekonferenz zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen deutliche Worte zum Stand der Digitalisierung in Arztpraxen.

Nichts läuft bei der elektronische Patientenakte (ePA) wie geplant

Besonders gut läuft die Sache bisher tatsächlich nicht. So bieten die gesetzlichen Krankenkassen ihren Mitgliedern die elektronische Patientenakte (ePA) seit Januar an. Obwohl auch die Implentierung der elektronischen Patientenakte (ePA) in den Praxissalltag „im lau­fen­den Galopp“ erfolge, so der KBV-Vorstand, kommt man bisher nicht über Feldtests hinaus. Ärzte und Psychotherapeuten seien dennoch verpflichtet, ab 1. Juli die ePA ihrer Patienten zu befüllen. Anderenfalls drohten Sanktionen. Die ersten dafür notwendigen von der gematik zugelassenen Konnektor-Updates stünden aber erst frühestens Ende des zweiten Quartals bereit.

Wie das alles noch termingerecht funktionieren soll, weiß also eigentlich keiner. Vielmehr droht wohl ein ähnliches Verzögerungs-Schauspiel wie bei der elektronischen Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung (eAU) und den Updates der TI-Konnektoren. In diesem Zusammenhang verwies KBV-Chef Gassen darauf, wie „ab­surd“ es sei, niedergelassenen Ärzten mit Sanktionen zu drohen, wenn doch eigentlich die IT-Industrie in Verzug sei. Man hoffe hier auf eine Klarstellung und entsprechende Regelung des Gesetzgebers.

Sollte das Thema eAU mal durch sein, kommen 2022 noch die Medizinischen Informationsobjekte (Mio) hinzu – theoretisch jedenfalls. Man sei „nicht sicher“, dass alle Termine zu halten sind, deutete Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), in diesem Zusammenhang schon an.

Die Videosprechstunde funktioniert gut

Positive Beispiele für den Fortschritt der Digitalisierung gibt es dennoch. Gassen nannte hier die Videosprechstunde: “Hier hat die Pandemie beschleunigend gewirkt”.  So schnellen die Zahlen seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr laut KBV in die Höhe: Hat es 2019 bundesweit knapp 3.000 Videosprechstunden gegeben, waren es im ersten Halbjahr 2020 schon fast 1,4 Millionen. Dabei wurden im ersten Quartal rund 203.000 Videosprechstunden gezählt, im zweiten Quartal schon knapp 1,2 Millionen.

Gestiegen ist nach den Daten der KBV auch die Zahl der Ärzte und Psychotherapeuten, die Videosprechstunden durchführen. Im zweiten Quartal 2020 waren es 31.397 und damit nahezu doppelt so viele wie im Vorquartal, wo bereits ein enormer Anstieg registriert worden war. Zum Vergleich: Im vierten Quartal 2019 waren es bundesweit 168.

Drittes Digitaliserungsgesetz umfasst Videosprechstunde

Der Ausbau der Videosprechstunden ist auch im Dritten Digitaliserungsgesetz verankert. Es wurde am 20. Januar 2021 vom Kabinett beschlossen und nimmt jetzt den Weg durchs parlamentarische Verfahren. Hier will sich die KBV weiter einbringen und geht von einem Inkrafttreten des Gesetzes für Anfang Juni aus.

Laut Gassen soll die Zahl der Videosprechstunden weiter erhöht werden, allerdings mit einer Limitierung auf maximal 30 Prozent der Behandlungsfälle der Praxen. “Das halten wir auch für sinnvoll”, so Gassen. Es sei grundsätzlich gut, das Thema künftig flexibler handhaben zu können. “Aber wir wollen keine reinen Videosprechstunden-Praxen haben. Der persönliche Kontakt mit den Patienten muss erhalten bleiben”.

Ein weiterer Punkt ist die geplante Vermittlungsangebotsausweitung über die Terminservicestellen (TSS). Gassen: “Als Serviceprogramm kann man sicher darüber reden. Das muss aber sowohl für Ärzte als auch für die KVen, freiwillig sein.” Ansonsten drohe hier “ein Moloch an überbordenden Aufwänden”. Es wurde auch aufgenommen, dass Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten von der Pflicht entbunden werden, selbst Datenschutzbeauftragte für die Praxen zu bestellen. “Das muss man in der Sinnhaftichkeit tatsächlich hinterfragen. Wenn jede kleine Praxis einen eigenen Datenschutzbeauftragten braucht, wird es irgendwann langsam bisschen absurd”, so Gassen.

Er betonte: Eine steigende Akzeptanz der Digitalisierung in den Arztpraxen könne nur über gute und sichere Angebote erreicht werden. Sanktionen seien hier nicht hilfreich. Das werde besonders deutlich, wenn Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten zum Einsatz von Instrumenten verpflichtet werden, die erkennbar schon kurze Zeit später durch neue Technologien ersetzt werden müssen.

Praktische Umsetzung der Digitalisierung in Praxen gehemmt

Praxisinhaber würden sich grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber Digitalisierungstools zeigen, so Gassen. Das würden verschiedene Untersuchungen (darunter auch der KBV-Praxisbarometer) zeigen. Zugleich hätten paradoxerweise die Hemmnisse für die praktische Umsetzung aber zugenommen: “Im Grundsatz ist die Bereitschaft da, die Dinge anzugehen. Doch im Alltag stellt man dann fest, dass das ein Riesentheater ist”. So sei der Umstellungsaufwand erheblich, die Systeme seien sehr fehleranfällig. Es gäbe zum Teil erhebliche Sicherheitslücken und das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei extrem ungünstig. Die hohen Digitalisierungskosten würden für Arztpraxen wirtschaftlich keinen Sinn machen. “Die Ärzte bringen eine hohe Erwartung mit, die enttäuscht wird.” Ähnlich sehe es beim Thema Performance aus. “Das ist natürlich problematisch”, so Gassen.

Bessere Angebote statt Sanktionen für Praxen

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen stellte klar: „Es macht keinen Sinn, Praxen zu bestrafen, wenn die Industrie notwendige Updates nicht rechtzeitig liefern kann.“ Er forderte die Politik zu einem Kurswechsel auf: „Senden Sie mit dem mutmaßlich letzten Digitalisierungsgesetz in dieser Legislaturperiode ein positives Signal an die Ärzteschaft und stellen Sie die Ampel für Digitalisierung durch konsequentes Streichen der Sanktionsmechanismen auf Grün.“