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Geldanlagen

Herr Eberhardt, was war der Grund für die starke Zinserhöhung?

Stefan Eberhardt

Foto: V-Bank

Stefan Eberhardt: Es ist die wichtigste Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB), für Preisstabilität zu sorgen. Diese aber war durch den Anstieg der Inflation im vergangenen Jahr gefährdet und deshalb musste sie mit aggressiven Zinsschritten dagegen steuern. Denn höhere Zinsen wirken bremsend auf die Nachfrage der Verbraucher und der Unternehmen und das bremst, so die Theorie, die Wirtschaftstätigkeit und letztlich die Inflation ab.

Funktioniert dies auch in der Praxis?

Eberhardt: Aus der Vergangenheit wissen wir, dass höhere Zinsen inflationsdämpfend wirken. Es gibt nur einen Haken: Geldpolitische Maßnahmen wirken mit einer Verzögerung. Wann die höheren Zinsen die Inflation wirklich auf das gewünschte Niveau drücken und welche Maßnahme wie wirkt, das lässt sich nicht exakt vorhersagen.

Welche Risiken ergeben sich daraus?

Eberhardt: Mit dem Zins bremst die Notenbank letztlich die Nachfrage der Konsumenten und der Unternehmen und die Wirtschaftstätigkeit. Es besteht deshalb immer die Gefahr, dass eine Notenbank zu wenig oder zu viel macht. Und beides ist schlecht für das langfristige Wirtschaftswachstum.

Hier ist von Soft und Hard Landing die Rede. Was versteht man darunter?

Eberhardt: Wenn die Zinserhöhungen so stark wirken, dass wir in eine Rezession rutschen, dann wäre das eine harte Landung. Bei einer weichen Landung würde die Inflation auf das angestrebte Niveau von rund zwei Prozent zurückgehen, während sich das Wirtschaftswachstum nur etwas verlangsamt.

Was ist zu erwarten?

Eberhardt: Es gibt eine Vielzahl an Einflussfaktoren, die auf die Inflation wirken. Wie es weitergeht, ist deshalb schwer prognostizierbar. Ich bin aber gar nicht so pessimistisch. So ist der Arbeitsmarkt trotz der gestiegenen Zinsen sehr stabil und wenn die Inflation noch weiter fällt, könnte sich sogar eine Entspannung bei der Zinsentwicklung abzeichnen. Das wäre dann ein sehr gutes Umfeld für die Kapitalmärkte in den kommenden Jahren.

Der Auftrag der EZB und warum sie eine Inflationsrate von zwei Prozent anstrebt
Oberstes Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Nach Auffassung der Notenbank kann Preisstabilität am ehesten bei einer mittelfristigen Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent gewährleistet werden. Liegt die Inflation deutlich darüber – im Jahr 2022 zum Beispiel betrug sie im Euroraum 8,4 Prozent – dann verliert Geld sehr schnell an Wert und das wiederum wirkt sich negativ auf den Konsum und die Investitionen und damit auf die Wirtschaft aus.

Gleichzeitig gilt es, Abweichungen nach unten zu verhindern. Eine Deflation, also fallende Preise, gelten ebenfalls als schädlich für die Wirtschaft. Der zunehmende Wert des Geldes belastet Schuldner, während sich fallende Preise negativ auf die Gewinne der Firmen auswirken. Das kann zu steigender Arbeitslosigkeit und sinkendem Konsum führen. Ein prominentes Beispiel für eine Deflation ist die Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren. Damals wurde fast jeder vierte Amerikaner arbeitslos, während das weltweite BIP um mehr als ein Viertel einbrach.

Allerdings hat die EZB wie auch die amerikanische Notenbank Fed zuletzt ihr Inflationsziel angepasst. Sie strebt nun nicht mehr zwei Prozent in jedem Jahr an, sondern auf mittlere Sicht. Das bedeutet, dass die Inflationsrate im Durchschnitt über mehrere Jahre hinweg bei zwei Prozent liegen soll – die Währungshüter können moderate Abweichungen damit akzeptieren.

Autor: Gerd Hübner