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Finanzen

In den USA erfolgt der Handel mit Wertpapieren bereits zu 60 bis 75 Prozent rein quantitativ, das heißt über automatisierte Strategien in Form von programmierten Algorithmen. Auch in Europa schreitet die Entwicklung zunehmend voran. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Anleger heute in irgendeiner Weise von Algorithmen abhängig sind, egal wie und wo sie investieren.

Effiziente Datenanalyse in kürzerer Zeit

Ob Investitionen in öffentliche Wertpapiere oder Devisen, digitale Währungen oder Rohstoffmärkte – das Treffen der optimalen Anlageentscheidung beruht auf zahlreichen Berechnungen und Analysen. In den letzten Jahren sind die zu analysierenden Datenmengen und Datenquellen enorm angestiegen, man spricht hier auch von Big Data. Menschen würden undefinierbare Zeit brauchen, um sich durch die Daten zu wühlen und diese aufzubereiten. Algorithmen können stattdessen im Vielfachen das leisten, was dem menschlichen Gehirn möglich ist. Mit quantitativen Strategien können nicht selten 4.500 Assets pro Sekunde gescreent und davon 100 Assets unter einer Sekunde gehandelt werden. Zugrundeliegende Algorithmen berechnen dabei 450 Variablen nach eigenem Kochrezept und beleuchten sie mathematisch. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz kann Big Data in Echtzeit ausgewertet und anschließend sinnvoll dargestellt werden.

Investitionsentscheidungen ohne Emotionen

Anleger oder Fondsmanager agieren bei der Geldanlage häufig wider besseren Wissens, was auf emotional getriebenen Fehleinschätzungen beruht. Die daraus resultierenden irrationalen Entscheidungen können zu niedrigen Renditen führen. Durch Algorithmen werden die Strategien zur Geldanlage automatisiert und eine emotional beeinflusste durch eine datengestützte Entscheidungsfindung ersetzt, was zu einer Kostenreduzierung und Rationalisierung des Investitionsprozesses führt.

Auch kann ein Algorithmus Anlegern die Notwendigkeit eigener Entscheidungen bei der Umschichtung eines Portfolios komplett abnehmen und dadurch den Spielraum für irrationale Entscheidungen signifikant verringern. Anhand des Marktgeschehens berechnet der Algorithmus laufend neue Daten und nimmt daraufhin Anpassungen am Portfolio vor. Die datenbasierten Strategien des Algorithmus erlauben, die Schwächen des menschlichen Urteilsvermögens, das auf Neigungen und Angewohnheiten, Tradition oder gar bewusstem oder unbewusstem Aberglauben beruht, auszuhebeln.

Künstliche Intelligenz und Krisenfestigkeit

Mithilfe von künstlicher Intelligenz kann ein Algorithmus Veränderungen an den Märkten in einer Latenzzeit von wenigen Zehntelsekunden wahrnehmen und sofort und autonom agieren. Hoch entwickelte Algorithmen sind heute selbstlernend und basieren neben KI auf Maschine Learning und neuronalen Netzen, wodurch auf Basis von Daten Verbesserungspotenzial innerhalb von Bruchteilen von Sekunden erkannt und eine Handlungsempfehlung autonom durchgeführt werden kann.

Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglicherweise plötzlichen Korrektur an den Finanzmärkten ist diese Selbstständigkeit ein großer Vorteil. Denn gerade in volatilen Zeiten, wenn der Mensch verängstigt ist und die Märkte sich sehr schnell verändern, kann der Algorithmus aufgrund seiner Geschwindigkeit den menschlichen Portfoliomanager deutlich „outperformen“. Von der Corona-Krise über die Yuan-Abwertung und jegliche Trump-Eskapaden via Twitter bis zum Krieg in der Ukraine – der Algorithmus bleibt formstabil und unbeeindruckt. Sich schnell verändernde Marktbedingungen stellen keine Herausforderung für ihn da. Dinge wandeln sich, was heute gut ist, kann morgen wieder out sein. Somit ist es wichtig, dass ein Algorithmus flexibel programmiert ist und stets dazu lernt. Übrigens, nicht wie allseits bekannte Robo-Advisor, die Investmentpositionen nach einem festen Satz kaufen. Die zugrundeliegenden Strategien eines selbstlernenden Algorithmus verhalten sich demgegenüber dynamisch.

Fazit: Mensch oder Maschine?

Durch die Gefahr einer gewissen Gleichförmigkeit, wenn viele quantitative Marktteilnehmer die gleiche Strategie verfolgen, wird der menschliche Fondsmanager seine Daseinsberechtigung jedoch nicht verlieren. Zwar werden Maschinen aufgrund der Vorteile von Algorithmen in den nächsten Jahrzehnten schätzungsweise bis zu 90 Prozent des Handels übernehmen, doch wenn alle Fonds, beziehungsweise Marktteilnehmer aufgrund ähnlicher quantitativer Strategien in ähnliche Assets, zum Beispiel liquide FAANG-Aktien, investieren, entsteht aus dieser Gleichförmigkeit ein impliziertes Ungleichgewicht. Somit entsteht die Gefahr, dass eben diese Aktien am meisten abgestraft werden, wenn alle Investoren diese verkaufen wollen. Insofern besitzt der menschliche Portfoliomanager doch noch eine Zukunft, um dem Problem der Gleichförmigkeit durch maschinelle Berechnungen zu entrinnen.

Das menschliche Gehirn kann zwar nicht annähernd so viele Rechenoperationen pro Sekunde ausführen wie ein Algorithmus, doch durch die Fähigkeit der Reflexion wird der Mensch einer Maschine immer überlegen sein. Algorithmen hingegen können mithilfe von KI und Machine Learning nur historische Muster erkennen und vergleichen. Ein Algorithmus musste demnach sehr viele Muster lernen, um daraus Schlüsse ziehen zu können. Der Mensch kann hier intuitiv entscheiden.

Es empfiehlt sich demnach, nach Investments Ausschau zu halten, bei denen wenigstens ein Teil des Portfolios quantitativ gemanagt wird. Zahlen sprechen für sich – selbstlernende Algorithmen performen regelmäßig über ihren Vergleichsindizes. Quantitative Strategien verbessern die Performance eines Portfolios erheblich, steigern Effizienzen und reduzieren nicht zuletzt Kosten. Sie werden den Menschen jedoch nie ganz ersetzen können.

Gastbeitrag von Alexander Brehm, Gründer und CEO von Aledius