Instabile Versorgung: Tumorpatienten am Ende der Lieferkette?
Bettina BrinckerGerade Tumorpatienten sind auf eine zuverlässige und zeitnahe Diagnostik und Therapie angewiesen – Verzögerungen können den Erfolg einer Krebsbehandlung entscheidend beeinflussen. Aber an einer raschen Krebsdiagnostik und -therapie mit Radionukliden scheint es in Deutschland zu hapern. Experten fordern eine schnelle Lösung.
Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, führte die Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin im Rahmen ihrer 61. Jahrestagung in Leipzig eine Fokusveranstaltung durch. Unter dem Titel “Unversorgte Tumorpatienten am Ende der Lieferkette?” wurde die unsichere Verfügbarkeit von für die Krebsdiagnostik und -therapie notwendigen Radionukliden intensiv diskutiert.
Radionuklide für Krebsdiagnostik und -Therapie
In der Diagnostik und Therapie vieler Erkrankungen sind Radionuklide heute unverzichtbar. Dennoch können sich viele Menschen kaum etwas darunter vorstellen. Erst anhand konkreter Beispiele wird die Dramatik einer instabilen Versorgung deutlich, z. B. wenn eine Brustkrebsoperation nicht durchgeführt werden kann oder sich die Radionuklidtherapie bei einem Krebspatienten verzögert, der sonst keine weiteren Behandlungsoptionen mehr hat.
Radionuklide werden in der nuklearmedizinischen Diagnostik eingesetzt, um Erkrankungen wie Krebs, Herzerkrankungen und neurologische Pathologien zu erkennen und zu lokalisieren. Die meisten diagnostischen Untersuchungen mit Radionukliden werden mit dem Radionuklid Technetium-99m (Tc-99m) durchgeführt.
Mediziner setzen Radionuklide zudem auch in der Tumortherapie ein, um Krebszellen gezielt zu zerstören. Hierbei wird ein radioaktives Präparat in den Körper injiziert. Dieses reichert sich in den Krebszellen an und gibt Strahlung ab, um die Krebszellen zu zerstören.
Wie werden medizinische Einrichtungen mit Radionukliden versorgt?
Deutschland ist bei der medizinischen Versorgung von Krebspatienten, für die Radionuklide benötigt werden, vom Import aus anderen Ländern wie Belgien und den Niederlanden abhängig. Radionuklide werden in sog. Forschungsreaktoren produziert. Von diesen gibt es weltweit nur sechs, die schon heute dem Bedarf an Radionukliden kaum gerecht werden.
Aufgrund von Wartungen, technischen Störungen, unterbrochenen Lieferketten oder regulatorischen Beschränkungen kommt es immer wieder zu Lieferproblemen. Darüber hinaus sind die Produktionsanlagen z. B. in Belgien und den Niederladen bereits 60 Jahre alt, sodass von einer Verschärfung der Versorgungssituation auszugehen ist. Zugespitzt bedeutet dies: Krebspatienten können sich nicht darauf verlassen, dass ihre Diagnostik oder Therapie auch morgen noch möglich ist.
Wie oft treten Lieferengpässe in Deutschland auf?
Lieferschwierigkeiten bei Radionukliden gab es in den letzten Jahren immer wieder, insbesondere bei der Produktion von Radionukliden für die Krebstherapie. Einige der bekanntesten Engpässe traten beispielsweise bei der Produktion von Technetium-99m im Jahr 2009/2010, bei Jod-131 im Jahr 2017 und bei Lutetium-177 im Jahr 2021 auf. Zuletzt gab es große Lieferprobleme im November/Dezember 2022 mit Jod-131, Technetium-99m, Gallium-68 und Lutetium-177.
Die genaue Anzahl der von einem Lieferengpass betroffenen Patienten ist schwer zu bestimmen. Eine offizielle Meldepflicht hierfür gibt es in der Medizin nicht. Die Zahl variiert von Engpass zu Engpass und hängt davon ab, wie lange dieser dauert und welche Alternativen verfügbar sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass mehrere tausend diagnostische Untersuchungen und Behandlungen bei jedem Lieferengpass verschoben werden müssen.
Während des Lieferengpasses von Lutetium-177 im Jahr 2022 mussten laut einem Bericht der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin ca. 1.500 Therapien verschoben werden. Dies ist insofern dramatisch, als dass es sich z. B. bei der Lutetium-177-PSMA-Therapie um eine der letzten Optionen für Prostatakarzinompatienten handelt, wenn andere Behandlungen nicht mehr ausreichend wirksam sind. Die tatsächlichen Zahlen dürften zudem höher liegen, da viele Fälle nicht erfasst werden.
Konsequenz: Verzögerte Diagnostik und verschlechterte Patientenversorgung
Lieferschwierigkeiten mit Radionukliden können zu erheblichen Problemen in der medizinischen Versorgung führen. Wenn Untersuchungen und Behandlungen nicht wie geplant durchgeführt, sondern verschoben werden müssen, kann dies den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Das betrifft insbesondere Patienten mit Krebs, die dringend auf eine zuverlässige und zeitnahe Diagnostik und Therapie angewiesen sind. In einigen Fällen kann dies auch bedeuten, dass alternative und möglicherweise weniger wirksame Diagnose- oder Behandlungsoptionen verwendet werden müssen.
Quelle: Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin