Streitpunkt Nr. 1: Was ist medizinisch notwendig?
A&W RedaktionDie PKV-Unternehmen stöhnen unisono: die Krankheitskosten sind kaum in Schach zu halten. Das Ergebnis: Beiträge erhöhen und Ausgaben streichen - eine verhängnisvolle Spirale. Aber: Medizinisch notwendige Kosten können und dürfen nicht reduziert werden.
Notwendige Ausgaben können von den Krankenversicherungen nicht gestrichen werden. Sie haben sich bei der PKV in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt (auf rund 30 Mrd. Euro). Weiterhin führt der medizinische Fortschritt durch teurere Apparatemedizin zu einer nicht unerheblichen zusätzlichen Kostenbelastung. Gleichzeitig sinkt dadurch die Sterblichkeitsrate. Dies ist natürlich sehr begrüßenswert, führt aber auch zu längeren und kostenintensiveren Behandlungen.
Hinzu kommt die längere Lebenserwartung. Sie beträgt nach der aktuellen Sterbetafel für neugeborene Jungen 78 Jahre und 2 Monate, für neugeborene Mädchen 83 Jahre und 1 Monat. Dadurch werden mehr Kosten verursacht, als bei der damaligen Tarifkalkulation vor 20, 30 Jahren absehbar waren.
Kostendruck führt zu Restriktionen
Der Kostenzwang führt bei der PKV dazu, Erstattungen abzulehnen, die nach ihrer Meinung „medizinisch nicht notwendig“ waren.
Man zitiert gerne das „Wirtschaftlichkeitsgebot“ in der GOÄ: „Vergütungen darf der Arzt nur für Leistungen berechnen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich sind. …“
Ferner wird das Urteil des OLG Köln vom 23. Dezember 2014 ins Feld geführt. Danach muss die PKV die Kosten für eine Behandlung, die medizinisch nicht ausreichend abgeklärt ist, nicht übernehmen. In dem Fall unterzog sich der Patient aufgrund von unspezifischen Rückenbeschwerden diversen Injektions-, Akupunktur- und Reizbehandlungen. Die entstandenen Kosten wollte er sich von der PKV bezahlen lassen. Das Kölner Landgericht und später das OLG gaben dem Privatversicherer recht.
Beschwerdepunkt Nummer 1 beim KV-Ombudsmann
Beim PKV-Ombudsmann ist dieses Thema inzwischen Streitpunkt Nr. 1 geworden. 22,4 Prozent aller Beschwerden beziehen sich auf die medizinische Notwendigkeit. Erst dann kommen anderen Beschwerdepunkte wie Heil- und Hilfsmittel, Gebühren, Anzeigepflicht usw.
Medizinisch notwendig ist nach dem BGH eine „Behandlungsmethode, wenn sie nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Zeit der Behandlung vertretbar war.“ Diese Aussage ist zwar nicht besonders hilfreich, macht aber deutlich, dass es bei der Beurteilung nur auf medizinische Gesichtspunkte ankommt und nicht etwa auf kostentechnische Aspekte.
Gegensatz Behandler – PKV-Beratungsarzt
Die PKV beschäftigt Beratungsärzte, die im Einzelfall über die medizinische Notwendigkeit ihr Urteil abgeben. Das läuft dann natürlich auf eine Konfrontation mit dem Behandler hinaus. Es gilt, die Balance zwischen medizinischer Notwendigkeit und Zusatzbehandlungen wie etwa Igel-Leistungen zu wahren. Gerade diese Leistungskomponenten werden von den Kassen negativ bewertet: Die meisten hätten keinen Nutzen, manche seien sogar schädlich. Abgelehnt werden generell Artikel aus dem sogenannten „Apothekenrandsortiment“.
In den USA hatten Ärztevereinigungen eine Liste für die Allgemeinmedizin, die Innere Medizin und die Kinderheilkunde erstellt, die aufzeigte, welche Tests und Therapien unnötig sind. So seien beispielsweise bei gesunden, beschwerdefreien Erwachsenen keine routinemäßigen Blut- oder Urintests nötig. Bei jedem Arztbesuch automatisch die Laborwerte zu bestimmen, wäre überflüssig und führt nicht dazu, dass Krankheiten früher entdeckt oder besser behandelt werden. Eine ganze Reihe weiterer überflüssiger Maßnahmen wurden aufgezählt.
Trotzdem bei Ablehnung nachhaken
Essenziell: Wer zu wenig erstattet bekommt, sollte sich dennoch immer wehren. Selbst der PKV-Verband rät dazu: „Sollte es Probleme geben bei der Kostenerstattung … ob eine Behandlung medizinisch notwendig ist oder nicht, besteht immer die Möglichkeit einer erneuten Prüfung. Darauf hat der Privat-Versicherte Anspruch.“ Auf gut Deutsch: Wer sich nicht rührt, ist selber schuld …
Wenn der Arzt selbst als Patient vor einer teuren Behandlung steht, sollte man vorab das schriftliche Einverständnis des Versicherers einholen. Dies hat zwei Vorteile: Der Einwand „nicht medizinisch notwendig“ kann später nicht gebracht werden. Käme es dennoch zum Streitfall, wäre nicht der Patient, sondern die Versicherung beweispflichtig.