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CDU, CSU und SPD haben sich kürzlich auf einen Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ geeinigt (Stand verlinktes PDF: 17. April 2025). Aus dem Koalitionsvertrag geht unter anderem hervor, dass das Bundesgesundheitsministerium an die CDU gehen soll. Der Vertrag gibt eine Übersicht, was die Koalition für die neue Legislaturperiode plant, rechtlich bindend ist er allerdings nicht. Welche Pläne für Ärztinnen und Ärzte wichtig sind und was Gesundheitsverbände dazu sagen, stellen wir Ihnen im Folgenden vor.

Stärkung der ambulanten Versorgung

Wartezeiten verringern, Personal in Praxen entlasten und den Zugang zu Fachärztinnen und Fachärzten bedarfsgerecht und strukturiert gestalten – das planen Union und SPD laut Koalitionsvertrag, um die ambulante Versorgung zu verbessern. Vorgesehen ist:

  • Ein verbindliches Primärarztsystem durch Haus- und Kinderärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag. Ausnahmen dafür soll es für die Augenheilkunde und die Gynäkologie geben. Primärärztinnen und -ärzte sowie die 116 117 sollen medizinisch notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin und einen notwendigen Zeitraum festlegen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen verpflichtet werden, diese Termine zu vermitteln. Falls das nicht gelingt, solle diesen Patientinnen und Patienten ein Zugang zu Fachärzten im Krankenhaus ambulant ermöglicht werden

  • Die Weiterentwicklung von sektorunabhängigen Fallpauschalen (Hybrid-DRGs)

  • Eine Veränderung des Honorarsystems. Ziel soll sein, nicht bedarfsgerechte Arztkontakte zu reduzieren – durch “Jahrespauschalen” und “Flexibilisierung des Quartalsbezugs”, so der Koalitionsvertrag

  • Mehr Ärztinnen und Ärzte sollen eine Weiterbildung in der Allgemeinmedizin absolvieren können, zwei pro Weiterbilder sollen möglich sein. Weiterbildungsstellen für Kinderärztinnen und -ärzte sollen ausgebaut werden

  • Ein Gesetz zur Regulierung investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ-Regulierungsgesetz)

  • Ein “Fairnessausgleich zwischen über- und unterversorgten Gebieten”. Eine Entbudgetierung von Fachärztinnen und Fachärztinnen in unterversorgten Gebieten soll geprüft werden. Außerdem soll es in unterversorgten Gebieten Zuschläge zum Honorar geben, in überversorgten Gebieten (größer 120 Prozent) Abschläge

  • Gesetzliche Regelungen, die Sozialversicherungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten im Bereitschaftsdienst ermöglichen

  • Ein Gesetz zur Notfall- und Rettungsdienstreform

  • Die Weiterentwicklung des Hospiz- und Palliativgesetzes

Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier, sagten in einer Pressemitteilung: “Der Koalitionsvertrag weist gesundheitspolitisch in die richtige Richtung. Auf dieser Grundlage hat die schwarz-rote Koalition die Chance, einige der zentralen Baustellen in unserem Gesundheitswesen anzupacken und die Versorgung der Patientinnen und Patienten in den kommenden vier Jahren nachhaltig zu verbessern.” Sie loben außerdem die geplante Einführung eines hausärztlichen Primärärztesystems.

In einer weiteren Pressemitteilung geben die Vorsitzenden aber auch zu bedenken: “Andere Reformvorhaben sind deutlich schwammiger und können daher zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer bewertet werden. Beispielsweise die Einführung von Jahrespauschalen. Ebenfalls im Koalitionsvertrag aufgeführt: Honorarzuschläge für Ärztinnen und Ärzte in unterversorgten bzw. Abschläge in überversorgten Regionen (mindestens 120 Prozent). Die Abschläge würden – Stand heute – nur wenige Hausärztinnen und Hausärzte betreffen, trotzdem wäre das natürlich nicht akzeptabel.”

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, sagte in einem Video zu dem Koalitionsvertrag: “[...] Gerade bei der Frage, wie gestalten wir die haus- und fachärztliche Versorgung der Zukunft, wird es keine holzschnittartigen Lösungen geben können. Und so gut es ist, über Entbudgetierung von fachärztlich unterversorgten Regionen zu denken, so kritisch sehen wir natürlich Honorarabzugsideen in überversorgten Regionen, die es de facto ja so nicht gibt, sondern die eher ein Produkt der Bedarfsplanung ist, die aber zu ganz anderen Zwecken etabliert wurde. Also man sollte sich hüten, von diesen Bedarfsplanungszahlen auf Über- oder Unterversorgung automatisch zu schließen, da wäre man sicher auf dem Holzweg.”

Krankenhauslandschaft im Koalitionsvertrag

“Wir entwickeln eine qualitative, bedarfsgerechte und praxistaugliche Krankenhauslandschaft aufbauend auf der Krankenhausreform der letzten Legislaturperiode fort und regeln dies gesetzlich bis zum Sommer 2025”, schreiben SPD und Union im Koalitionsvertrag. Die Grund- und Notfallversorgung besonders im ländlichen Raum solle sichergestellt werden. Aus dem Sondervermögen Infrastruktur, das vor Kurzem beschlossen wurde, sollen die Lücke bei Sofort-Transformationskosten aus 2022 und 2023 finanziert werden, sowie der bisher für die GKV vorgesehene Anteil für den Transformationsfonds für Krankenhäuser.

Weiter schreiben Union und SPD: “Die Definition der Fachkrankenhäuser überarbeiten wir mit dem Ziel, dass die in den Ländern bestehenden und für die Versorgung relevanten Fachkliniken erhalten bleiben können.” Die Zuweisung der Leistungsgruppen solle zum 1. Januar 2027erfolgen.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht positiv, dass die Lücke bei den Kosten aus 2022 und 2023 geschlossen werden soll. Weiterhin heißt es in einer Pressemitteilung der Gesellschaft: “Zwar handelt es sich dabei bedauerlicherweise nur um eine einmalige Zahlung und nicht um eine strukturelle Hilfe – dennoch zeigt sie, dass sich die Koalition der wirtschaftlich dramatischen Lage vieler Kliniken bewusst ist. Die Auszahlung dieser Sofort-Transformationskosten muss allerdings schnell und möglichst noch im ersten Halbjahr 2025 erfolgen.”

Pflegereform im Koalitionsvertrag von Union und SPD

Laut Koalitionsvertrag planen Union und SPD eine “große Pflegereform”. Ziel sei nachhaltige Finanzierung und Finanzierung der Pflegeversicherung und Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege. Wie diese Reform aussehen soll, soll laut Koalitionsvertrag eine Kommission erarbeiten. Diese Kommission soll verschiedene Aspekte prüfen und noch im Jahr 2025 ihre Ergebnisse vorlegen. Kurzfristig sollen Gesetze, etwa zu Pflegekompetenz und Pflegeassistenz auf den Weg gebracht werden.

Stabilisierung der Beitragsätze von GKV und Pflegeversicherung

Ziel von Union und SPD ist es laut Koalitionsvertrag die Finanzsituation der GKV stabilisieren. Wie das funktionieren soll, dafür bietet der Koalitionsvertrag noch keine konkreten Lösungen. Stattdessen soll eine Kommission eingesetzt werden, die bis Frühjahr 2027 Maßnahmen vorschlägt.

Die Vorstandvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, kritisierte in einer Pressemitteilung die Einsetzung einer Kommission: “Für stabile Finanzen ist es wichtig, jetzt rasch zu handeln, bevor die weiteren Maßnahmen greifen. Sorge bereitet uns, dass die Kommission, die die finanzielle Gesamtwirkung des Koalitionsvertrages für die gesetzliche Krankenversicherung in den Blick nehmen soll, erst im Frühjahr 2027 Ergebnisse vorliegen soll. Da stellt sich die Frage, ob die Politik den Ernst der finanziellen Situation wirklich erkannt hat.”

Im Gespräch mit dem RND betonte Pfeiffer, wie wichtig kurzfristige Maßnahmen seien, die die Finanzen stabilisieren könnten. Sie forderte ein Vorschaltgesetz, das noch vor der Sommerpause kommen solle. Außerdem forderte sie ein Ausgabenmoratorium, das so lange gelten solle, bis Einnahmen und Ausgaben durch Reformen wieder ins Gleichgewicht gebracht wären.

Auch die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, kritisierte in einer Pressemitteilung: “Die geplanten strukturellen Anpassungen und kurzfristigen Maßnahmen reichen nicht aus, um die steigende Ausgabendynamik zu stoppen. Die Pflegeversicherung muss von Grund auf saniert werden. Notfallpläne können die klaffenden Löcher nicht mehr schließen. Die Probleme liegen auf dem Tisch, jetzt brauchen wir Lösungen statt langer Beratungen. Jedes Jahr ohne eine umfassende Reform ist ein verlorenes und vergrößert das bestehende Defizit.” Mögliche Leistungskürzungen und höhere Hürden für Leistungsbewilligung seien außerdem keine Option, so Bentele. Denn das verschlechtere die Versorgung und belaste pflegende Angehörige weiter.

Attraktivität der Gesundheitsberufe soll erhöht werden

“Wir erhöhen die Wertschätzung und Attraktivität der Gesundheitsberufe”, heißt es im Koalitionsvertrag. Dafür wollen Union und SPD Verschiedenes umsetzen:

  • Geeignete Personalbemessung in Krankenhaus und Pflege

  • Eigenverantwortung der Pflege stärken und Selbstverwaltung aufwerten. Explizit erwähnen Union und SPD hier, dass die Pflege einen festen Sitz mit Stimmrecht im G-BA erhalten solle

  • Maßnahmen, um Unterschiede zwischen Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaft zu reduzieren

  • Mehrkosten zur Schaffung von Springerpools und Vergütungen für das Personal sollen ausgeglichen werden

  • Weiterqualifizierung von berufserfahrenen Pflegefachkräften durch DQR-Anerkennungsverfahren soll vereinfacht werden

  • Modernisierung der Vergütungsstruktur im Praktischen Jahr (soll mindestens BAföG-Satz entsprechen)

  • Kenntnisprüfung soll verbessert werden, unter anderem mit einer stärkeren sprachlichen Komponente, so Union und SPD

  • Reformierung der Berufsgesetze für Logopädie und Ergo- und Physiotherapie. Dass diese Berufe vollständig akademisiert werden, lehnen Union und SPD im Koalitionsvertrag ab

  • Osteopathie soll berufsgesetzlich geregelt werden. Forschung und Versorgung zu Naturheilkunde und Integrativer Medizin soll zur Präventionsförderung unterstützt werden

Abbau von Bürokratie im Gesundheitswesen

Union und SPD planen im Koalitionsvertrag ein Bürokratieentlastungsgesetz für das Gesundheitswesen, in dem Dokumentationspflichten und Kontrolldichten verringert werden sollen. Außerdem will die Koalition eine von Künstlicher Intelligenz unterstützte Behandlungs- und Pflegedokumentation ermöglichen. Auch andere Maßnahmen sollen bei dem geplanten Bürokratieabbau unterstützen, etwa:

  • Eine Bagatellgrenze von 300 Euro bei der Regressprüfung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte

  • Eine Absenkung der Prüfquote bei Krankenhäusern

  • Eine Vereinfachung der Verschreibung und Abrechnung von Heil- und Hilfsmitteln gegenüber den Krankenkassen

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft begrüßt in einer Pressemitteilung, dass Union und SPD sich zu einer Entbürokratisierung bekannt haben. Allerdings betont die Gesellschaft auch, dass die Koalition diese Pläne unbedingt ernst nehmen solle und es nicht bei “Sonntagsreden” bleiben sollte.

Auch der Marburger Bund begrüßt in einer Pressemitteilung die Pläne der Koalition, Dokumentationspflichten und Kontrolldichten zu verringern. Auch den Einsatz KI-gestützter Behandlungsdokumentation begrüßt der Verband. Die erste Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, betont: “Ein digitales Berichtswesen kann zusätzliche Zeitkontingente erschließen. Erst aber muss das Bürokratiedickicht gelichtet werden, sonst läuft die Digitalisierung ins Leere. Es nützt nichts, den gleichen Aufwand mit lediglich anderen Mitteln zu betreiben.”

Psychotherapie

Die Koalition plant niedrigschwellige Online-Beratung und digitale Gesundheitsanwendungen für Prävention, flächendeckende Versorgung und Akutsituationen. Außerdem sollen Vergütungsstrukturen angepasst werden, um eine bedarfsgerechte Versorgung zu ermöglichen. Zudem soll es eine Notversorgung durch Psychotherapeuten und das Suizidpräventionsgesetz umgesetzt werden. Damit Hausärzte eine bessere psychosomatische Grundversorgung ermöglichen können, sollen deren Regresse abgeschafft werden. Außerdem sollen Maßnahmen umgesetzt werden, um eine bessere Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen. Dafür planen Union und SPD unter anderem eine Strategie “Mentale Gesundheit für junge Menschen” mit den Schwerpunkten auf Prävention und Früherkennung psychischer Erkrankungen.

Die Bundespsychotherapeutenkammer lobt diese Strategie für junge Menschen in einer Pressemitteilung als “zukunftsweisendes Programm”. Die Präsidentin der Kammer, Dr. Andrea Benecke, sagt weiter zu den Plänen von Union und SPD: “Der Koalitionsvertrag gibt der psychischen Gesundheit einen neuen Stellenwert. Die Regierungskoalition hat eine ambitionierte Agenda für eine starke psychische Gesundheit vorgelegt. Diese Agenda muss gelingen. Dafür muss sie vor allem eins sein: verbindlich.“

Digitalisierung im Gesundheitswesen

Der Koalitionsvertrag thematisiert außerdem das Ausrollen der elektronischen Patientenakte (ePA). Des Weiteren will die Koalition Rahmenbedingung und Honorierung für Videosprechstunden, Telemonitoring und Telepharmazie verbessern.

Schutz von Angehörigen der Gesundheitsberufe

Union und SPD planen im Koalitionsvertrag den strafrechtlichen Schutz nicht nur von Einsatz- und Rettungskräften und Polizisten sondern auch von Angehörigen der Gesundheitsberufe zu verschärfen.

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie

Die Koalition will Betroffene seltener Erkrankungen mit weiteren Maßnahmen unterstützen. Explizit werden hier auch Personen genannt, die an myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS), Long- und PostCOVID und PostVac erkrankt sind. Für diese Betroffenen wollen Union und SPD die Versorgung und Forschung stärken. Die Pandemie selbst solle im Rahmen eine Enquete-Kommission aufgearbeitet werden und daraus Schlüsse für künftige Pandemie gezogen werden.

Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS begrüßte in einer Pressemitteilung, dass ME/CFS, Long- und PostCOVID sowie PostVac Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben. Außerdem lobt sie die Arbeit von Patient*innenorganisationen im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen.

Suchtabhängigkeit und Prävention

Union und SPD planen im Koalitionsvertrag Maßnahmen zur Prävention von und zum Umgang mit den Folgen von Suchtabhänigigkeiten. Kinder und Jugendliche sollen besonders geschützt werden. Auch eine Regelung zur Abgabe von Lachgas und KO-Tropfen soll es geben.

Cannabislegalisierung

Die Koalition plant eine “ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis” im Herbst 2025.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde begrüßt in einer Pressemitteilung die ergebnisoffene Evaluierung. Allerdings betont sie, dass die Auswirkungen der Änderungen nach zwei Jahren noch nicht vollständig sichtbar sein werden.

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