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E-Health

Dr. Ralf Brügel betreibt mit drei Kolleginnen eine Kinderarztpraxis in Schorndorf und hat, wenn es um den Einsatz moderner Technik und Medien geht, keinerlei Berührungsängste. „Mich interessieren vor allem die Sozialen Medien“, sagt der Pädiater, der seit gut drei Jahren selbst auf Instagram aktiv ist. Dort gibt er wertvolle Gesundheitstipps, informiert über neue Erkenntnisse, etwa zum Raynaud-Syndrom, Kopfschmerzen bei Kindern oder dem RS-Virus und plaudert über den Praxisalltag. Das Engagement kommt bei den Eltern seiner jungen Patienten gut an: Mit etwa 2.500 Followern interagiert der Arzt regelmäßig über den Instagram-Kanal, seine Videos haben vierstellige Zugriffszahlen.

Kinderarzt testet ChatGPT in der Arztpraxis

„Wir wollen aufklären und Ängste nehmen“, so der Schorndorfer Arzt, der die Vorteile der Sozialen Medien inzwischen sehr zu schätzen weiß: Die virtuelle Kommunikation sorgt für Entlastung in der Praxis, weil sie Eltern mit Erstinformationen versorgt und so diverse Telefonate erspart. Seit Kurzem experimentiert Brügel auch mit Künstlicher Intelligenz. Die medial aktuell gehypte Software ChatGPT soll Fragen beantworten, Beiträge schreiben und auch komplexe Themen recherchieren können. Dr. Ralf Brügel hat sie für uns getestet und ihren möglichen Nutzen im Praxisalltag bewertet.

ChatGPT nicht besser als Doktor-Google

Vor allem bei der Einordnung von Symptomen, sieht der Kinderarzt, der selbst Vater dreier Töchter ist, die Nutzung von ChatGPT sehr kritisch. Das gilt vor allem, wenn Eltern nach möglichen Diagnosen zu akuten Krankheitsbildern suchen. Auf die Eingabe: „Mein Kind hat rote Punkte“, erhält Brügel beispielsweise eine lange Liste an Antworten mit möglichen Krankheitsbildern. „Was mir fehlt, ist eine Priorisierung“, so der Mediziner. Insofern hält er die KI für kaum besser als eine Google-Suche. Die ebenfalls wenig hilfreich sei, weil das Antwortspektrum meist viel zu breit ist.

Zwar ist die KI durchaus in der Lage, genauer zu antworten, doch dafür müssen auch die Fragen schon entsprechend präzise formuliert sein. So könnten Fachleute der KI die fehlenden Aspekte nennen und sie auffordern, diese in der Antwort zu berücksichtigen. So hatte Brügel etwa bei der Frage nach den roten Punkten Petechien vermisst. Die Hauteinblutungen können auf Meningokokken hindeuten. „Das darf nicht fehlen“, sagt der Kinderarzt. (Lesen Sie auch: Fehldiagnose durch ChatGPT – wer haftet?)

ChatGPT als Texthelfer für die Arztpraxis

Als durchaus realistisch und sinnvoll bewertet Brügel hingegen den Einsatz von ChatGPT für die eigene Praxis. So lässt der Kinderarzt die KI mit klaren fachlichen Vorgaben ein Merkblatt zum Thema „Das Wichtigste zu Schreibabys“ erstellen. Das Ergebnis findet Dr. Brügel “zu 80 Prozent gut”. Mit ein paar Eingriffen hinsichtlich der inhaltlichen Prioritäten wäre das Merkblatt tatsächlich brauchbar.

Das große Plus von ChatGPT: Der gesamte Prozess dauert nur einen Bruchteil der Zeit, die Dr. Brügel sonst für die Erstellung des Merkblatts gebraucht hätte – frei von Rechtschreib- oder Tippfehlern ist das Ergebnis natürlich auch.

Im Praxisalltag beschäftigen viele E-Mails besorgter Eltern zum Thema „Schlafen“ den Arzt, seine Kolleginnen sowie alle Fachangestellten. „Auch hier kann ich mir vorstellen, künftig von einer Künstlichen Intelligenz Textbausteine anfertigen zu lassen“, so Brügel, der das Potenzial der KI für administrative Tätigkeiten beim Testen erkennt.

IT-Experte sieht weitere Einsatzmöglichkeiten von Chatbots und Sprach-KI im Medizinbereich

„Niedergelassene Ärzte können hinsichtlich KI von anderen Organisationen und Verwaltungen lernen“, ist sich wiederum IT-Experte Felix Pflüger sicher, zu dessen 10.000 Kunden auch etliche Mediziner gehören. Er ist sich sicher, dass Künstliche Intelligenz neben Schreibarbeiten künftig auch Anrufe entgegennehmen wird: „Werden Chatbots mit Sprach-KI kombiniert, sollten Patienten nicht mehr unterscheiden können, ob eine Ärztin oder ein Chatbot antwortet“. Ob das so wirklich erstrebenswert ist, sei an dieser Stelle erst einmal dahingestellt…

Doch egal, ob Sprach- oder Textausgabe, um KI richtig zu nutzen, bedarf es klarer Aufgabenstellungen. „Oft ist die erste Antwort noch zu unkonkret“, bestätigt auch Pflüger. Eine Text-KI im nächsten Schritt zu bitten, das gelieferte Ergebnis „kurz zusammenzufassen“ – und wenn nötig noch zu kürzen – helfe, die Antwort zu verbessern und zu individualisieren. Um dem Kinderarzt Arbeit und Zeit zu sparen, wäre etwa beim Thema “rote Punkte” der Befehl: „Erstelle aus diesen Informationen ein Merkblatt für Patienten und Eltern“ der nächste Schritt gewesen.

Auch kann eine Text-KI dabei helfen, längere Texte „kurz zusammenzufassen“ und so Nachrichten zu verbessern und zu individualisieren. Was KI Programme dem Menschen aber nicht abnehmen können, ist die Prüfung der Ergebnisse auf Vollständigkeit und Richtigkeit.

Kollegenbriefe & Co. mit ChatGPT?

Das Ergebnis des Tests überzeugt auch eine gastroenterologische Praxis im Raum Stuttgart. Die Ärztin, die nicht namentlich genannt werden will, lässt sich künftig von der KI gerne bei der Erstellung diverser Schriftstücke unterstützen. So liefert die KI beispielsweise schnell und fehlerfrei die gewünschten Merkblätter für den Atemtest in der Praxis, zur Einnahme von Medikamenten oder zu den Patienten erlaubten Speisen und Getränken. Und auch für manchen Kollegenbrief lässt sich die Medizinerin von ChatGPT bereits Vorschläge machen. Betont aber: „Natürlich kontrollieren wir die Texte. Aber die Hauptaufgabe der Erstellung übernehmen inzwischen meine Mitarbeiterinnen und eben das Computerprogramm“.

Wie kann man KI selbst testen?

Ärzte und Ärztinnen, die Chat-GPT selbst testen möchten, müssen dafür einen OpenAI-Account erstellen. Dafür müssen sie sich auf der Seite https://chat.openai.com/auth/login anmelden. Benötigt wird dafür eine E-Mail-Adresse und eine gültige Telefonnummer (für den Bestätigungscode per SMS). Zu benutzen ist ChatGPT derzeit als Testversion. In den USA soll es bald ein Abo-Modell geben, Kostenpunkt circa 20 Euro pro Monat.

Dass Microsoft zehn Milliarden Euro in OpenAI investiert, lässt auch Tech-Riesen wie Amazon und Google aufhorchen. Google hat inzwischen auch einen eigenen KI-Chatbot vorgestellt: „Bard“ steht derzeit nur einem kleinen Kreis zum Testen zur Verfügung, soll jedoch bald öffentlich zugänglich werden.

Aber Vorsicht: Was die KI auch als Bezahlversion sicher nicht kann, ist Denken. „Jede Antwort ist auf Fakten und Plausibilität zu prüfen“, rät Pflüger deshalb. Denn selbst wenn ChatGPT ein enormes Wissen hat und dieses binnen Sekunden analysiert, und das Extrakt textet, eine automatische Qualitätskontrolle der Antworten gibt es nicht. Noch nicht.

Autor: Michael Sudahl