Persönlichkeitspsychologie: Die „Big Five“ für Ihre Praxis
Heiko FeketeJeder Mensch ist in der Wesensart unterschiedlich, das gilt auch für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und ihr Praxisteam. Ein wissenschaftlich anerkanntes Modell kann dazu beitragen, die eigene Persönlichkeitsstruktur für den Praxisalltag besser zu nutzen.
Menschen nach ihrer Persönlichkeit zu charakterisieren, ist ein Feld, mit dem sich die Psychologie schon seit vielen Jahren befasst. In der Antike ordnete der griechische Arzt Galenos von Pergamon den vier sogenannten Kardinalsäften des Körpers je ein Temperament zu. Dieses Persönlichkeitsmodell unterschied zum einen zwischen dem Sanguiniker (rotes Blut – heiter, aktiv) und dem Phlegmatiker (weißer Schleim – passiv, schwerfällig). Dem gegenüber standen die Wesenszüge des Melancholikers (schwarze Galle – traurig, nachdenklich) und des Cholerikers (gelbe Galle – reizbar, aufbrausend). Auch wenn dieses Modell heutzutage rein historischen Charakter besitzt, hat es die weitere Persönlichkeitsforschung doch nachhaltig beeinflusst.
Definition: Das steckt hinter den „Big Five“
Das zeigt sich auch beim Modell der „Big Five“. Dieses Modell gilt heute als die wissenschaftlich fundierteste Charakteristik von Persönlichkeitsstrukturen und geht zurück auf die Theorie des lexikalischen Ansatzes. Damit vertraten die US-amerikanischen Psychologen Louis Thurstone, Gordon Allport und Henry Sebastian Odbert die Auffassung, dass sich Persönlichkeitsmerkmale in der Sprache niederschlagen. Bedeutet: Bestimmte Begriffe im Wörterbuch zeigen bereits auf, welche wesentlichen Unterschiede es zwischen Personen gibt. Die Big Five werden auch als Fünf-Faktoren-Modell oder im Englischen als OCEAN-Modell bezeichnet:
Grafik: Arzt & Wirtschaft
Alle Faktoren haben gemeinsam, dass sie einem gewissen Spektrum unterliegen. Jedes der fünf Big-Five-Merkmale kann bei einem Menschen von gering über mittelmäßig bis stark ausgeprägt sein. Die von Galenos beschriebenen Wesenszüge finden sich dort stellenweise wieder. So lassen sich Menschen mit reizbarer Persönlichkeit beispielsweise dem Spektrum von Neurotizismus zuordnen. Sanguiniker besitzen dagegen Eigenschaften, die bei Extraversion stärker ausgeprägt sind.
„Big Five“-Persönlichkeitsmodell hilft bei der Selbstreflexion
Übertragen auf die Arztpraxis können Praxisinhaberinnen und -inhaber anhand dieses Modells auch ihre eigene Persönlichkeitsstruktur reflektieren. Dabei müssen sie die Big Five nicht in all ihrer Komplexität ergründen – das ist angesichts der vielfältigen Kombinationen kaum zu leisten. Wissenschaftlich anerkannte Tests nach diesem Muster können rein rechnerisch die Möglichkeit von mehreren Millionen Persönlichkeitsprofilen ermitteln. Stattdessen können Niedergelassene auf den International Personality Item Pool (IPIP) zurückgreifen, der die Persönlichkeitsfaktoren und ihre zugewiesenen Eigenschaften in einer Online-Übersicht anschaulich zusammenfasst. Merkmale des Faktors „Verträglichkeit“ zum Beispiel dienen dazu, die Kommunikation mit Patienten in den Blick zu nehmen.
Ärztinnen und Ärzte können sich dabei selbst die Frage stellen: Wie gehe ich mit schwierigen Gesprächssituationen um? Habe ich das Gefühl, empathisch genug zu handeln und mich ausreichend in mein Gegenüber hineinzuversetzen? Schaffe ich es, durch die richtigen Argumente die Adhärenz zu verbessern? Ein hoher Verträglichkeitswert wird oft als ideale Voraussetzung für den ärztlichen Beruf charakterisiert, ebenso wie eine höher ausgeprägte Gewissenhaftigkeit.
Persönlichkeit ist aber nicht der alleinige Indikator, wie gut Menschen ihren Job ausführen. Psychologische Experten betonen, dass zur erfolgreichen Berufsausübung oft auch Wesensmerkmale wie Teamorientierung, Flexibilität oder Führungsmotivation dazugehören. Mit einem praktischen Beispiel ausgedrückt: Sehen Praxischefs bei sich Defizite in der Gewissenhaftigkeit, können sie bestimmte Aufgaben wie das Abrechnungsmanagement innerhalb des Teams an Mitarbeiter delegieren, die in einer strukturierten Tätigkeit ihre Stärken besser zur Geltung bringen können.