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Medizinrecht

Ein Vater erfährt, dass seine Tochter im Alter von fünf und sechs Jahren mehrfach sexuell missbraucht worden ist. Die Ermittlungen und das Gerichtsverfahren, in dem der Täter verurteilt wird, fordern ihren Tribut: Unfähig, an etwas anderes als an die Leiden seines Kindes zu denken, verfällt der Mann in Depressionen und ist nicht mehr in der Lage, seiner Arbeit nachzugehen.

Schließlich verklagt der traumatisierte Vater den Täter wegen der erlittenen psychischen Beeinträchtigungen auf Schmerzensgeld. Das Leid, das seine Tochter erfahren musste, habe auch bei ihm zu einer schweren depressiven Verstimmung geführt, die er von einer Psychologin habe behandeln lassen.

In einer wegweisenden Entscheidung gestand der BGH dem Mann dem Grunde nach einen Schmerzensgeldanspruch zu und gab seine bisherige, restriktive Rechtsprechung zur Haftung für sogenannte Schockschäden auf. Diese müsse weiter gehen als in der Vergangenheit. Stehe fest, dass ein Vorfall bei einer nahestehenden Person eine pathologisch fassbare psychische Störung verursacht habe, liege unabhängig von der Schwere der Erkrankung eine (ersatzfähige) Gesundheitsverletzung vor.

Typische psychische Beschwerden reichen aus

Bislang hatten die obersten deutschen Strafrichter stets vertreten, dass Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens nur bei fassbaren psychischen Beeinträchtigungen zu zahlen ist, „die über die gesundheitlichen Probleme hinausgehen, die man beim Tod oder bei einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel erleidet“. Diese hohen Anforderungen hat der BGH nun fallen lassen (Az. VI ZR 168/21).

Zwar müssen die psychischen Beeinträchtigungen durch den Schock nach wie vor Krankheitswert besitzen. Es genügen aber typische psychische Erschütterungen nach einem prägenden Schadenereignis.

Urteil erweitert auch die Arzthaftung

Die Entscheidung des BGH ist auch für Ärzte bedeutsam, zumal das Gericht bereits vor Jahren entschieden hat, dass die zum Schockschaden entwickelten Grundsätze auch bei Behandlungsfehlern greifen können (Az. VI ZR 299/17). Trotz der Haftungserweiterung bleibt es aber dabei, dass mittelbar Geschädigte Ursache und Vorliegen einer seelischen Erkrankung beweisen müssen, um Schmerzensgeld zu bekommen.