Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Eigentlich hat Ella F. eine 60-Prozent Stelle. Die alleinerziehende Mutter arbeitet in einer Klinik im Speckgürtel von München. Ihre 12-jährige Tochter Marie ist zwar aus dem Gröbsten raus. Eine Vollzeit-Position war der Fachärztin aber zu viel. „Ich kann mein Kind ja nicht permanent allein lassen oder bei Oma parken.“

Zwei Jahre später ist die Situation zu Hause immer noch dieselbe. Dennoch hat die Ärztin ihr Pensum aufgestockt. „Ich hatte zwischenzeitlich mehr als 1200 Überstunden“, erzählt die 45-jährige. Deren Bezahlung durchzusetzen, sei oft schwierig gewesen. Da sie faktisch ohnehin wie eine Vollzeitkraft arbeite, habe sie sich entschieden, auch vertraglich nachzulegen. Bei der Betreuung von Marie unterstützen sie Freunde und Familie. „So werde ich für meine Arbeit wenigstens adäquat bezahlt.“

Was nicht passt, wird passend gemacht

Ella F. heißt eigentlich anders. Sie will ihren Namen allerdings nicht in der Presse lesen. Das Thema anzusprechen, ist ihr trotzdem wichtig. Denn die Arbeitsbelastung in den Kliniken hat, gerade in der Corona-Krise, noch einmal deutlich zugenommen. „Gerade als wegen Omikron ständig Kollegen ausfielen, haben wir anderen Gesunden buchstäblich bis zum Umfallen gearbeitet“, erinnert sie sich.

Darauf, dass jede einzelne Überstunde bezahlt wird, können engagierte Ärzte aber auch in solchen Ausnahmesituationen nicht unbedingt vertrauen. Das liegt schon daran, dass viele Ärzte mehr Überstunden leisten, als gesetzlich erlaubt ist. Auch Ärzte dürfen nicht mehr als 60 Stunden pro Woche arbeiten. Eigentlich.

Wie viele Stunden darf man arbeiten?

Grundsätzlich begrenzt das Arbeitszeitgesetz die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden. In Einzelfällen kann das Pensum aber auf bis zu 60 Wochenstunden anschwellen. Grund: Der Gesetzgeber erlaubt pro Tag eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden, solange sichergestellt ist, dass sich die Durchschnittsbelastung innerhalb von sechs Monaten wieder auf acht Stunden pro Tag einpendelt.

Praxen und Kliniken seit Jahren am Limit

In der Praxis lässt sich diese Anforderung aber kaum noch erfüllen, so Ella F. „Wir bleiben also, bis auch der letzte Patient versorgt ist – egal, wie lange es dauert.“

Doch nicht nur die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind ein Problem, sondern auch die Vergütung der Mehrarbeit. Denn bezahlt werden müssen Überstunden nur, wenn der Chef sie angeordnet oder zumindest erkennbar gebilligt hat. Das unterstreicht einmal mehr eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21).

Bezahlung von Überstunden: Bundesarbeitsgericht nimmt Arbeitnehmer in die Pflicht

Im konkreten Fall hatte ein Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden aus dem Betrieb auf Vergütung von 350 Überstunden geklagt. Vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht hatte er mit seinem Anliegen allerdings keinen Erfolg. Der Grund: Der Arbeitnehmer erfüllte die strengen Beweisanforderungen des Gerichtes nicht. Denn auch wenn der Europäische Gerichtshof inzwischen entschieden hat, dass Arbeitgeber grundsätzlich ein Zeiterfassungssystem vorhalten müssen, ändert sich vorerst nichts an den vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Regeln zur Überstundenvergütung.

Wann werden Überstunden bezahlt?

• Arbeitnehmer müssen darlegen, dass sie mehr gearbeitet haben, als vertraglich geschuldet oder dass sie sich auf Weisung ihres Chefs hierzu bereitgehalten haben.
• Außerdem müssen Arbeitnehmer nachweisen, dass der Arbeitgeber die geleistete Mehrarbeit ausdrücklich oder zumindest geduldet oder nachträglich gebilligt hat.

Diese Beweisführung kann im Einzelfall schwierig sein. Wohl auch deshalb gehen viele Ärzte einen anderen Weg. So auch Ella F., die ihre offizielle Arbeitszeit an die tatsächlich geleisteten Stunden anpasste.