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Das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, beträgt in Gesundheitsberufen durchschnittlich 35,2 Prozent. Es ist damit das höchste unter allen Berufen. Doch nicht bei jedem Erkrankten verläuft die Infektion gleich. Bei vielen dauern die Symptome von COVID-19 nur ein paar Tage. Manche brauchen zwei bis vier Wochen, um wieder auf die Beine zu kommen. Rund zehn Prozent leiden jedoch auch nach mehr als zwölf Wochen noch an Symptomen, die individuell sehr verschieden sein können.

Nach einer Rückkehr an den Arbeitsplatz fordert das von Praxisinhabern und Kollegen viel Verständnis und Rücksichtnahme. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) hat nun einen Leitfaden herausgegeben, der Arbeitgeber bei der Integration genesener Mitarbeiter unterstützen soll.

Betriebliches Eingliederungsmanagement nach Corona-Erkrankung wichtig

Grafik COVID-19

Bilder: Anatoli Kovoalov/dikobraziy – stock.adobe.com

Weil die Langzeitfolgen einers Corona-Infektion nicht genau vorhersehbar und veränderlich sind, müssen manche Arbeitnehmer ihre Leistungsfähigkeit über einen längeren Zeitraum wieder aufbauen. Sie können nur schrittweise ins Arbeitsleben zurückkehren. Je nach Aufgabenbereich, Langzeitsymptomen, Arbeitsumfeld und persönlicher Situation benötigen sie mehr oder weniger Unterstützung. Der Leitfaden zeigt, wie Arbeitgeber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz unterstützen können. Das können Beratungsgespräche oder die Anpassung der Arbeitsbedingungen sein.

Dazu gehört in Deutschland auch, Betroffene über die Möglichkeit einer betrieblichen Eingliederung zu informieren. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement, kurz BEM, ist ein Verfahren, mit dem die Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers nach einer längeren Krankheit wiederhergestellt werden soll. Es ist im Vierten Buch des Sozialgesetzbuchs geregelt.

Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitgeber allen Mitarbeitern, die innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen am Stück oder wiederholt arbeitsunfähig waren, ein BEM anbieten. Dabei ist egal, ob der Mitarbeiter wegen einer Langzeit­erkrankung oder aufgrund mehrerer Kurzerkrankungen ausgefallen ist. Es spielt auch keine Rolle, ob es sich um ein und dieselbe oder mehrere Krankheitsursachen handelt. Wer sechs Wochen krank war, hat Anspruch auf ein BEM. Für eine COVID-19-Erkrankung ist dies in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel vom 10. August 2020 sogar ausdrücklich vorgesehen.

Nur wenigen wird Betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten

Doch Untersuchungen zeigen, dass viel zu wenig Mitarbeitern ein BEM angeboten wird. Dies offenbat eine Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin von 2018. Von den befragten Beschäftigten, die Anspruch auf ein BEM hatten, erhielten nur 40 Prozent ein entsprechendes Angebot. Nur 27 Prozent haben es in Anspruch genommen. Damit nutzte nur jeder vierte potenziell Berechtigte das Angebot zur Wiedereingliederung.

Dabei hat ein BEM großes Potenzial. Der Mitarbeiter soll wieder fit für die Arbeit gemacht werden. Gleichzeitig wird geklärt, welche Unterstützung er dazu benötigt. Ein festes Verfahren gibt das Gesetz nicht vor, es lässt sich individuell justieren. Für den Arbeitgeber ist das BEM verpflichtend, für den Arbeitnehmer nicht. Er kann jederzeit aussteigen. Bietet der Arbeitgeber kein BEM an, gibt es keine Sanktionen. Er muss allerdings wissen: Ohne BEM ist eine krankheitsbedingte Kündigung schwer möglich.

Arbeitsstunden anpassen, Pensum reduzieren

Am Verfahren nehmen unter anderem Arbeitgeber und Arbeitnehmer teil, aber auch die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Rehabilitationsträger (gesetzliche Kassen, die gesetzliche Rentenversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung so­wie die Bundesagentur für Arbeit). Bei schwerbehinderten Mitarbeitern ist das Integrationsamt beteiligt. Sie alle können Vorschläge einbringen, die auf die individuelle Situation des Betroffenen zugeschnitten sind und ihm die Rückkehr erleichtern sollen.

Betroffene, die noch lange an den Folgen einer Corona-Infektion leiden, brauchen einen langsamen Wiedereinstieg. In der Regel reicht bei Long COVID eine kurze Übergangsphase nicht aus. Die Arbeitsstunden sollten mit der Zeit angepasst werden. Das empfiehlt der Leitfaden der EU-OSHA. Mitarbeitern mit Erschöpfungszuständen könnten etwa längere und häufigere Pausen helfen. Daneben empfiehlt die Europäische Agentur unter anderem folgende Änderungen:

  • bei den Arbeitszeiten (Verschiebung von Beginn, Ende und Pausen)
  • bei den zu leistenden Arbeitsstunden, beispielsweise kürzere Arbeitstage
  • im Arbeitsmuster, etwa langsameres Arbeiten, regelmäßige und/oder zusätzliche Pausen
  • beim Arbeitspensum, also weniger Aufgaben, mehr Zeit für die Erledigung der üblichen Aufgaben und keine knappen Fristen

Solche Maßnahmen helfen, Praxismitarbeiter behutsam wieder in den Praxisalltag zu integrieren. Erneute Fehlzeiten und Frustration können vermieden werden.

Wiedereingliederung kostet Arbeitgeber nichts

Der Arbeitnehmer erhält übrigens während der Eingliederung meist kein reguläres Arbeitsentgelt, sondern Lohnersatzleistungen wie Krankengeld, Übergangsgeld oder Verletztengeld. Die Kosten trägt der jeweils zuständige Rehabilitationsträger, also die Kranken- oder Rentenversicherung oder die Berufsgenossenschaft. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können für die geleistete Arbeit im Rahmen der Wiedereingliederung aber auch eine separate Entgeltvereinbarung treffen, die durch die Rehaträger ergänzt wird.

Den Leitfaden der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz können Sie unter osha.europa.eu herunterladen.

In fünf Schritten zurück an den Arbeitsplatz
Jeder Fall ist anders. Daher braucht jeder Praxismitarbeiter nach einer überstandenen Corona-Erkrankung abhängig von seinen Aufgaben im Team bei seiner Rückkehr mehr oder weniger Unterstützung. Mit folgenden Schritten können Sie ihm bei einer erfolgreichen Rückkehr an den Arbeitsplatz verhelfen:

  1. Halten Sie den Kontakt, während MFA oder angestellter Arzt krankgeschrieben sind.
  2. Bereiten Sie die Rückkehr an den Arbeitsplatz vor.
  3. Führen Sie ein Gespräch, sobald die genesene Person wieder da ist.
  4. Bieten Sie in den ersten Tagen nach der Rückkehr Unterstützung an.
  5. Halten Sie Ihre Unterstützung aufrecht und überprüfen Sie regelmäßig den aktuellen Stand.

Quelle: Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) 2021