Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Klinik

Gravierende Qualitätsmängel – das beschreibt das Entlassmanagement der Kliniken in Deutschland ziemlich gut. Obwohl mit dem Versorgungsstärkungsgesetz der Rahmenvertrag Entlassmanagement zum 1. Oktober 2017 in Kraft trat und Versicherte seitdem einen Anspruch auf eine strukturierte Entlassung aus der Klinik haben, zeigt der Barmer Arzneimittelreport 2020 jetzt sehr deutlich, dass die Realität diesem Anspruch weit hinterherhinkt.

Bereits die Anamnese bei der Klinikaufnahme ist inadäquat

So sind Informationsdefizite bei der Krankenhausaufnahme die Regel. 17 Prozent der Patienten mit Polypharmazie – also fast jeder Fünfte – gaben an, keinen ärztlichen Medikationsplan erhalten zu haben, obwohl dies bereits ab drei verordneten Arzneimitteln gesetzlich vorgesehen ist. Nur 29 Prozent der befragten Patienten mit Polypharmazie verfügten über einen bundeseinheitlichen Medikationsplan mit QR-Code.

Die Umfrage zeigt zudem, dass bei knapp jedem dritten Patienten der Medikationsplan bezüglich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel im Hinblick auf die Verordnungen weiterer behandelnder Ärzte unvollständig ist. Mehr als die Hälfte aller Patienten konnten bei Krankenhausaufnahme aber auch keine Unterlagen zur medizinischen Vorgeschichte ihres niedergelassenen Arztes vorlegen. Auch die Qualität der Anamnese bei der Aufnahme ist nicht immer adäquat: Bei jedem zehnten Patienten werden Vorerkrankungen nicht erfragt, bei jedem zwanzigsten werden die Arzneimitteltherapie oder bestehende Allergien nicht abgefragt.

Aber nicht nur das. Auch Veränderungen der Arzneimitteltherapie im Krankenhaus wurden häufig nicht erklärt. Nur jeder siebte Versicherte gab an, dass er sich voll und ganz bezüglich der möglichen Nebenwirkungen der Medikation aufgeklärt fühlte. Zwei Drittel der Befragten fühlten sich eher nicht oder überhaupt nicht über Nebenwirkungen informiert. 30 Prozent gaben an, dass ihnen die neue Medikation nicht erklärt worden sei. Etwas mehr als ein Drittel berichteten, dass ihnen kein aktualisierter Medikationsplan mitgegeben wurde.

Nach der Klinikentlassung stellten sich 82 Prozent der Patienten innerhalb einer Woche bei ihrem behandelnden Arzt vor. 62 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr ambulant behandelnder Arzt die Empfehlungen zur Veränderung der Arzneimitteltherapie durch das Krankenhaus übernommen habe. 23 Prozent berichteten, dass die Arzneimitteltherapie in der Klinik verändert worden sei, der Hausarzt dies aber nicht mit ihnen besprochen habe.

Hausärztinnen und Hausärzte werden kaum informiert

Leidtragende des unorganisierten Entlassmanagements der Kliniken sind aber nicht nur die Patienten. Vor allem Hausärztinnen und Hausärzte sind davon betroffen. Im Rahmen der Untersuchung wurden 150 hausärztliche Kolleginnen und Kollegen zu ihren Erfahrungen mit der Informationsübermittlung bei der Krankenhausentlassung befragt. Es zeigte sich: Unbeabsichtigte und nicht erklärte Therapieänderungen sind keine Ausnahme. Viele beobachteten die unbeabsichtigte Unterbrechung einer weiterhin notwendigen Therapie bei jedem fünften Patienten (21,4 Prozent). Nur bei jedem dritten Patienten erhielten sie eine Begründung zur Veränderung der Arzneimitteltherapie durch das Krankenhaus. Zudem unterblieb häufig eine strukturierte Therapieprüfung durch das Krankenhaus. So gaben 19 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte an, es komme nie vor, dass sie vom Krankenhaus Hinweise auf Arzneimittel erhalten, deren Indikation von ihnen überprüft werden sollte. Fast drei Viertel der Ärzte dokumentierten außerdem, dass es nur selten vorkomme, dass im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts Arzneimittel mit der Begründung abgesetzt werden, dass sie nicht mehr indiziert sind. Eine adäquate Indikationsprüfung findet offensichtlich nicht standardmäßig statt.

Infografik Zufriedenheit von niedergelassenen Ärzten mit Informationen zur Arzneimitteltherapie durch Krankenhäuser

Klinikpatienten leiden unter Arzneimittelnebenwirkungen, die vermeidbar wären

Nach Studien aus Deutschland ist aber jeder dritte Patient bei der Krankenhausaufnahme von vermeidbaren unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen betroffen. 94 von 100 befragten Ärztinnen und Ärzten sagten jedoch, dass sie selten Hinweise auf Nebenwirkungen verordneter Arzneimittel durch das Krankenhaus erhalten würden. Nur zwölf Prozent gaben an, dass sie regelmäßig oder häufig, das heißt bei mehr als 60 Prozent ihrer Patienten, über notwendige Kontrollen neu begonnener Therapien informiert würden. Nur 1,5 Prozent der befragten Kolleginnen und Kollegen sind der Ansicht, dass die Klinik regelmäßig den Informationspflichten gegenüber dem Patienten nachkommt. Angesichts der von den Ärzten berichteten Erfahrungen wundert es nicht, dass 40 Prozent der Befragten unzufrieden oder sehr unzufrieden mit der Information zur Arzneimitteltherapie durch das Krankenhaus waren. Experten fordern hier dringend eine Verbesserung der Versorgungsform – vor allem auch zum Schutz der Patienten.