Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Politik

Insgesamt hat die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2020 43,3 Mrd. Euro für Arzneimittel ausgegeben. Das entspricht einer Kostensteigerung von 5,5 % im Vergleich zum Vorjahr. Bei den neuen patentgeschützten Arzneimitteln betrugen die Ausgaben 14,3 Mrd. Euro, wobei die Kostensteigerung bei fast 25 % gegenüber dem Vorjahr lag.

Haupttreiber der Kosten sind neue patentgeschützte Arzneimittel, insbesondere die sogenannten Orphan Drugs – also Therapien für seltene Krankheiten. Diese Ausgaben haben sich seit 2011 verfünffacht und lagen im Jahr 2020 im Durchschnitt bei 540.000 Euro pro Jahr und Patient. Das geht aus dem aktuellen AMNOG-Report 2022 der DAK-Gesundheit hervor.

Was bedeutet AMNOG?

Mit dem Ziel, steigende Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel zu reduzieren, ist am 1. Januar 2011 das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) in Kraft getreten. Es schreibt evidenzbasierte Bewertungen vor, die den Nutzen neuer Arzneimittel im Vergleich zum bisherigen Therapiestandard aufzeigen sollen. Die Ergebnisse dienen nicht nur der Markttransparenz, sondern bilden auch die Grundlage für Preisverhandlungen zwischen dem pharmazeutischen Unternehmen und dem GKV-Spitzenverband. Vor 2011 oblag die Preisgestaltung allein dem pharmazeutischen Unternehmen.

Was sind Orphan Drugs?

Unter „Orphan Drugs“ versteht man Therapien für Erkrankungen, die bei nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen vorkommen. Insgesamt waren 28 Prozent aller seit 2011 neu zugelassenen Arzneimittel Orphan Drugs, mit weiter steigender Tendenz. Davon entfiel fast die Hälfte (41 Prozent) auf den Bereich der Onkologie.

Bereits jetzt kosten einzelne dieser Therapien über zwei Millionen Euro pro Patienten – Tendenz immer weiter steigend. Im ersten Jahr nach Einführung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes 2011 kosteten neu zugelassene Arzneimittel für seltene Krankheiten durchschnittlich 97.000 Euro.

Politik soll Preisexplosion stoppen

„Die Grundidee des AMNOG, Preise für diese neuen Arzneimittel anhand ihres Nutzens zu ermitteln, gerät immer mehr aus dem Fokus. Wir benötigen dringend eine Neuregelung seitens der Politik, um den Zusatznutzen von Orphan Drugs zu erfassen. Nur so kann die bestmögliche Therapie für die Patienten gefunden und die Preisexplosion gestoppt werden“, sagt Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstands der DAK-Gesundheit.

Qualitativ unzureichende Daten

Gerade für neue Orphan Drugs würden vermehrt regelrechte Mondpreise aufgerufen – ohne, dass der Zusatznutzen der Medikamente empirisch belegt sei. Diese Entwicklung drohe das Solidarsystem an seine finanziellen Grenzen zu führen.

Der AMNOG-Report 2022 bestätigt, dass zu Orphan Drugs bei Markteintritt oft zu wenige oder nur qualitativ unzureichende Daten zur Verfügung stehen. Kommt es zum Nutzenvergleich, fallen die Ergebnisse oft überraschend schlecht aus: So konnte für knapp die Hälfte (46 Prozent) aller Orphan Drugs seit 2011 gar kein Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie festgestellt werden.

„Das IQWiG spricht von einem ‚fiktiven‘ Zusatznutzen, der momentan so nicht immer gerechtfertigt ist. Die Regelung, dass Orphan Drugs einen solchen Zusatznutzen qua Existenz zugebilligt wird, muss auch angesichts der hohen Markteintrittspreise dringend auf den Prüfstand“, so Andreas Storm.

Forderung nach verpflichtenden Datengrundlagen

Aus Sicht der DAK-Gesundheit sollten auch für Orphan Drugs daher spätestens ab Markteintritt verpflichtend valide Daten zum Zusatznutzen erhoben werden. Bis die Datengrundlage für eine Evaluation des Zusatznutzens ausreichend ist, sollte ein Interimspreis zwischen Herstellern und der Solidargemeinschaft gelten, so die Forderung. Dieser müsse an klar definierte Kriterien geknüpft sein und so lange gelten, bis ausreichend Daten für eine Nutzenbewertung generiert seien. Ein auf Basis dieser Daten vereinbarter Preis löst den Interimspreis ab. Um den Anreiz für eine rasche Datengenerierung durch die Pharmaunternehmen zu setzen, sollte der nachträgliche Rückzahlungszeitraum beschränkt werden. So würde ein fairer Risikoausgleich zwischen Pharmaunternehmen und Krankenkassen und -Versicherern geschaffen.

Bereits im AMNOG-Report 2020 forderte der jetzige Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine solche Interimspreis-Lösung.

Weitere Ergebnisse des AMNOG-Reports 2022

Bis Ende 2020 wurden insgesamt 299 neue Wirkstoffe in 527 Verfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf einen Zusatznutzen hin geprüft. Bei mehr als der Hälfte dieser Nutzenbewertungen (60 Prozent) konnte ein solcher belegt werden. Dieser Wert bleibt über die vergangenen Jahre konstant.

Die verhandelten Preisabschläge, welche für die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen den Preis neuer Arzneimittel reduzieren sollen, bleiben dabei ebenfalls auf einem weitgehend gleichbleibenden Niveau zwischen 18 und 27 Prozent. Dabei ist jedoch erkennbar, dass sich die Spielräume für Preisabschläge bei hochpreisigen Arzneimitteln nicht bedeutend vergrößern. Das heißt: Auch nach den Preisverhandlungen und entsprechenden Korrekturen nach unten werden die neu zugelassenen Arzneimittel im Durchschnitt immer teurer, da die durch die Pharma-Unternehmen aufgerufenen Preise immer höher werden.

Die mittleren Jahrestherapiekosten neu zugelassener Arzneimittel im Allgemeinen sind in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich 16 Prozent pro Jahr gestiegen. Bereits jetzt gibt die DAK-Gesundheit jährlich 4,02 Mrd. Euro für Arzneimittel aus. Das sind 717 Euro pro Versicherten. Arzneimittel sind damit der zweitgrößte Ausgabenblock nach den Kosten für Krankenhausbehandlungen.